Special:
Für europäische Füße zu klein?
Da ich als Sport-Laie die Qualität der Yoga-, Fitness- und Muskeltrainings-Übungen nicht fachmännisch beurteilen kann, habe ich jemanden in die Redaktion eingeladen, der deutlich mehr davon versteht: den Körpertherapeuten Wolfgang Lafferton.
Seine ausführliche Einschätzung findet ihr auf Seite 3. Nun aber zurück zu mir und dem schmalen, weißen Karton, der vor mir steht. Beim Öffnen der Lasche sticht sofort ein großes grünes Schild ins Auge: Bis zu 150 Kilogramm dürft ihr auf die Waage bringen, um mit Wii fit zu trainieren. Das dürfte für die meisten Couch Potatoes unter den Zockern ausreichen. Was dagegen verwundert, ist die Größe des Controllers. Nintendo hat es tatsächlich auch für uns Europäer bei der japanischen Originalgröße belassen. Meine Treter in Schuhgröße 42/43 passen gerade noch bequem hinauf. Lebt ihr auf größerem Fuß, müsst ihr euch darauf einstellen, vorne mit den Zehen überzulappen oder hinten abzurutschen. Sinnlos oder konditionssteigernd? Nicht alle Übungen finden auf dem Board statt: Beim Jogging steckt ihr die Fernbedienung in die Tasche und lauft auf der Stelle...
Damit letzteres nicht passiert, darf ich mich zu Beginn der Anleitung durch mehrere Seiten Warnhinweise wühlen. Nintendo empfiehlt, dass ihr euch nicht nur die Schuhe, sondern auch die Socken auszieht. Das wirkt unhygienisch, doch vermutlich sind bei den Testspielern Sockenträger häufiger abgerutscht als barfüßige Probanden. Beim Auspacken des Controllers klappern dessen vier Füße ein wenig, doch sobald ihr das Gerät auf den Boden gelegt habt, steht es dank seiner flachen Bauweise und der dicken Gummistopper sehr stabil. Per Synchronisations-Knopf im Batteriefach nimmt der Wii Fit-Controller Kontakt mit der Konsole auf - leider darf bisher nur je ein Exemplar angemeldet werden.
»Feet-on«
Also nichts wie Schuhe aus, Controller eingeschaltet und draufgestiegen. Überraschung: ein animiertes Ebenbild der Wage redet mit mir - zum Glück nicht all zu lange aber in einer ekelhaft hochgepitchten Piepsstimme, die noch seltsamer klingt, als die zwei deutschsprachigen Trainer, die mich später in die Übungen einweisen. Nachdem ein Profil und der dazugehörige Mii registriert sind, startet zum ersten mal der tägliche Körpertest. Die einzelnen Profile auf einer Konsole können übrigens mit einem Passwort gesichert werden, damit z.B. euer übergewichtiger Bruder
...oder ihr cheatet, nehmt die Fernbedienung in die Hand und schüttelt. Tut ihr das zu schnell, legt sich euer Mii auf die Nase. |
Zunächst wird das Gleichgewicht gemessen. Sollte euer durch einen Punkt gekennzeichneter Körperschwerpunkt zu sehr nach rechts verrutscht sein, stellt sich das Programm darauf ein und präsentiert euch eine passende Übung. Um ein Gefühl für den kleinen roten Kreis zu bekommen, bewegt ihr ihn durch Gewichtsverlagerung in das entsprechende Fenster. Alternativ dazu gibt es Tests, bei denen ihr auf einem oder zwei Beinen möglichst still auf der Stelle verharrt. Als Ergebnis spuckt das Programm sowohl euer Gewicht, den Body-Mass-Index - also das Verhältnis von Gewicht und Körpergröße - und euer durch die Balance-Tests ermitteltes Wii Fit-Alter aus.
Stolperfalle
Uff - bei mir liegt es bei 49 Jahren, also schon ein klitzekleines Bisschen über meinen tatsächlichen 29 Lenzen. Wenig schmeichelhaft, aber immerhin motivierend. "Neigst du dazu, zu stolpern?" fragt mich das Programm rotzfrech. Auch an anderen Stellen kommentiert das Programm meine Leistungen und gibt mir Ratschläge für das tägliche Leben
Euer Trainer macht die Übungen vor und gibt helfende Kommentare, wenn z.B. der rot symbolisierte Körperschwerpunkt zu sehr zur Seite verrutscht. |
So, genug getestet, jetzt wollen wir die klapprigen Gamer-Knochen mal in Wallung bringen. Zunächst setzte ich fest, wie viele Kilo ich in in einem Zeitraum von zwei Wochen bis zwölf Monaten abnehmen will. In einem Diagramm lassen sich Fortschritte und Rückfälle begutachten. Außerdem gibt es für jede Minute Training eine Münze ins »Schweinchen Fit«. Nein, das ist kein Scherz - die animierte Kreuzung aus Sparschwein und Fernseher heißt tatsächlich so und schaltet mit voranschreitender Mästung neue Trainings-Disziplinen frei. Dazu gehören über vierzig Übungen, die in die Kategorien Aerobic, Yoga und Muskel-Training und Balance-Spiele eingeteilt sind.
Keine Müdigkeit vorschützen
Euren wahlweise männlichen oder weiblichen Vorturner betrachtet ihr während der Verrenkungen von vorne oder hinten. Wenn ihr wollt, schaut ihr ihnen erst bei einem Tutorial zu oder macht gleich selbst mit und ahmt die Bewegungen nach.
Bei der Muskelübung Beinstrecker spielt ihr z.B. Superman, winkelt ein Bein an und streckt eine Faust nach schräg oben. In diese Kategorie fallen außerdem Klassiker wie das Klappmesser, der Taillendreher sowie das Rudern. Ein kleiner roter Kreis symbolisiert auch hier euren Körperschwerpunkt. Bleibt der brav in der Mitte, streicht ihr eine gute Bewertung ein - so kann selbst das eigentlich für die Entspannung gedachte Yoga zur Highscorejagd mutieren. Beim süchtig machenden Slalom lässt sich das Gewicht am besten verlagern, indem ihr in die Hocke geht...
Als dritte Kategorie warten Aerobic-Übungen auf euch: Beim Hula-Hoop schwingt ihr rhythmisch die Hüften und fangt weitere Ringe auf indem ihr euch zur Seite lehnt. Auch diesmal geht es um Punkte: Jede Drehung eines Reifens zählt jeweils einen Punkt. Trotzdem reagieren die Ringe nicht direkt auf eure Bewegungen. Es genügt, einen Rhytmus aufrecht zu erhalten - als echtes Spiel ist die Übung also nicht sonderlich gut geeignet. Bei anderen Disziplinen wie dem Jogging steigt ihr komplett vom Brett, steckt die Fernbedienung in die Tasche und lauft auf der Stelle. Ihr könnt euch aber auch einfach bequem aufs Sofa setzen und die Remote schütteln - das angezeigte Ergebnis ist das gleiche.
Wintersport-Highlights
Für Zocker am interessantesten sind die kleinen Balancespiele. Am längsten motivieren die gelungenen Winterdisziplinen. Hier sieht die Grafik zwar genau so karg und kantig aus wie im Rest des Spiels, doch dank des spielerischen Prinzips und der sensiblen Steuerung können euch die Abfahrtsläufe auf Skier und Snowboard sowie das Skispringen ein paar Stunden beschäftigen. Bei Ersterem verlagert ihr euer Körpergewicht schlicht und einfach nach rechts und links. Lehnt ihr euch so nach vorne, dass sich die Schwerpunkt-Markierung in ein schmales Feld bewegt, gibt euer Fahrer Gummi. Beim Skispringen müsst ihr einen ähnlichen Punkt in einem Feld halten, um eine hohe Geschwindigkeit zu erreichen. Kurz vor dem Absprung bewegt ihr euch aus der Hocke nach oben, damit euer Mii sich abstößt. In der Luft balanciert ihr euch noch einmal von neuem aus, um zur Belohnung ganz weit hinten aufzusetzen.
...aber Vorsicht: Nach drei Stunden Dauerzocken könnt ihr euch auf einen saftigen Muskelkater gefasst machen. |
Wer hätte gedacht, dass ich einmal so verrückt nach einem Wintersport-Spiel bin. Auch unser Gast-Tester und SPA-Therapeut Wolfgang Lafferton konnte sich kaum von der Piste losreißen. Der Slalom und der Skisprung sind auf jeden Fall für ein paar vergnügliche und Muskelkater verursachende Stunden gut. Der Wii Fit-Controller ist für diese Art Steuerung wie gemacht. Hoffentlich kommen auch wir in den Genuss von Namcos in Japan bereits erhältlichen »We Ski« - ein Europa-Release steht allerdings noch nicht fest. Die meisten der übrigen Balance-Spielchen sind leider allenfalls für ein paar lustige Minuten gut. Schade, dass es keinerlei Online-Funktionen oder weltweite Highscorelisten gibt. Ihr könnt zwar im Konsolen-Menü einen Wii Fit-Kanal anlegen, doch dort dürft ihr lediglich euer Wii Fit-Alter testen und die eigenen Trainingserfolge einsehen. Auch eine Funktion zum schnellen Gewicht messen als Ersatz für die heimische Personenwage wäre schön gewesen. Ihr könnt euch zwar wiegen, doch müsst ihr dazu erst den Test starten. Wenn ihr wissen wollt, wie ein Körpertherapeut das Trainingsprogramm einschätzt, solltet ihr auf die die nächte Seite blättern.
Sinnvolles Training oder bloße Spielerei? Wir haben den Rücken- und Entspannungstrainer Wolfgang Lafferthon, Inhaber von Wellness-Concept in die Redaktion eingeladen, haben zusammen mit ihm ein paar Übungen ausprobiert und sein Urteil darüber festgehalten:
»Ich halte Wii Fit für eine nette Freizeitbechäftigung, aber mehr nicht. Die Balance-Disziplinen wie der Ski-Slalom und das Kopfball-Spiel haben auf jeden Fall Unterhaltungswert, aber über den sportlichen Trainingseffekt kann man sich streiten. Ein Problem an Wii Fit ist, dass es bei seiner Beurteilung von Trainingserfolgen und bei der Analyse des Benutzers nicht die persönlichen Lebensumstände und Voraussetzungen einbezieht. Den aktuellen Gesundheits- oder Fitnesszustand aus ein paar wenigen Details zu deuten ist unseriös, was in teilweise widersprüchlichen Aussagen des Gerätes deutlich wird. So gibt z.B. auch der Body-Mass-Index (BMI) lediglich einen groben Richtwert an und ist daher in der Fachwelt umstritten, da er die Statur eines
Menschen und die individuelle Zusammensetzung des Körpergewichts aus Fett- und Muskelgewebe naturgemäß nicht berücksichtigt. So macht z.B. die innere Stützmuskulatur, die vor allem bei Menschen ausgeprägt ist, die sich auf der Arbeit viel bewegen und die von außen nicht zu sehen ist, den Körper schwerer. An anderer Stelle wird beim Messen des Schwerpunktes nicht darauf Rücksicht genommen, dass wir als Links- oder Rechtshänder immer dazu neigen, nicht völlig mittig zu stehen. Das ist aber auch kein Problem, solange wir uns ausreichend bewegen und nicht einfach nur auf der Stelle stehen. Spielerei oder sinnvolles Training? Wolfgang Lafferthon nimmt Wii Fit unter professionellen Gesichtspunkten unter die Lupe.
Die Empfehlungen, die das Programm gibt, sind zum Teil hilfreich, aber auch nicht immer sinnvoll. Ärzte sagen, man sollte - abhängig vom Ausgangsgewicht - nicht viel mehr als ein Kilo im Monat abnehmen, damit sich der Körper darauf einstellen kann und es keinen Jojo-Effekt gibt. Wii Fit hält dagegen 1,4 Kilo in zwei Wochen für ein gutes Ziel und verschweigt, dass für eine gesunde Abnahme nicht nur Bewegung, sondern auch und vor allem eine richtige Ernährung absolute Voraussetzung ist. Auch der Tipp, eine gerade Haltung sei gesund, ist nur bedingt richtig. Bewegung ist das A und O für den menschlichen Körper. Deshalb ist es wichtig, im Laufe des Tages nicht nur gerade zu sitzen, sondern die Position öfter mal zu wechseln, um verschiedene Körper-Regionen zu be- und entlasten. Aus diesem Grund sind übrigens auch die Knie-Stühle wieder vom Markt verschwunden, die den Besitzer in eine feste unbewegliche Position gezwängt haben.
Der menschliche Körper ist für das stundenlange Sitzen ebenso wenig geschaffen, wie dafür, zwölf Stunden lang auf einen Monitor zu starren. Daher ist es bei einem Bürojob wichtig, öfter mal aufzustehen und sich zu bewegen. Bei Wii Fit vermisse ich Hinweise, die sich mit diesem Problem befassen. Es nützt dem Menschen überhaupt nichts, wenn er sich z.B. abends 1 Stunde mit dem Wii Fit bewegt aber in den übrigen ca. 15 Stunden überwiegend sitzt. Der Stress, der durch das ständige Sitzen vor dem Bildschirm entsteht, ist nicht zu unterschätzen. Der Mensch ist nicht dafür ausgelegt, über einen langen Zeitraum viele Sinneseindrücke von einem Bildschirm aufzunehmen. Für das Gehirn ist das praktisch eine simulierte Stresssituation.
Auf derartige Belastungen reagiert unser Körper heute wie vor Millionen von Jahren mit Flucht- und Kampfinstinkten. Deshalb machen Belastungen vor allem die krank, die sich durch ihren Beruf oder durch die Gestaltung Ihres Lebensalltags nur wenig bewegen, aber viele Sinneseindrücke aufnehmen. Die gesundheitlichen Folgen wiegen schwerer als bisher geglaubt - und sie betreffen bei weitem nicht nur den Rücken.
Der Anstieg des Energiestoffwechsels und die Begrenzung der für Flucht oder Jagd unwichtigen Prozesse wie der Immunabwehr oder aber auch die Unterdrückung der Darmtätigkeit wird weder in eine Aktion umgesetzt noch findet eine »schnelle Lösung« statt.
Während sich früher die Ur-Belastungen stets schnell aufgelöst haben - entweder man gewann den Kampf, man konnte erfolgreich flüchten, oder man wurde geheiratet, verspeist oder zumindest getötet - bleiben heute Körper und Geist über Monate und Jahre in Alarmbereitschaft.
Statt mit wilden Tieren, plagen wir uns heute z.B. mit mobbenden Kollegen. Wir haben Vollzeit-Belastungen, die wir am Schreibtisch oder vor dem Fernseher aussitzen. Über Stunden, Tage, Wochen, Monate und Jahre befindet sich der Körper in Alarmbereitschaft. Die Energie, die uns unser Körper zu Verfügung stellt, wird nicht verbraucht, sindern in Fettzellen gespeichert. Die heruntergefahrene Immunabwehr bereitet Eindringlingen leichtes Spiel. Die ständig für die Flucht oder den Kampf angespannten Muskeln - also vor allem die des Rückens - verhärten und verkürzen sich. Die unterdrückte Darmmotilität erzeugt hingegen Verdauungsprobleme usw.
Die Folgen: Anstieg von Fettleibigkeit, Diabetes, Infektionen, Rückenbeschwerden, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten, Neurosen, Ängste - eben genau jener Zivilisationskrankheiten, unter denen unser Gesundheitssystem immer mehr leidet. Dass bei diesen massiven Problemen, die das Gesundheitssystem schon heute jährlich mit Milliardenbeträgen belasten, ein Wii Fit nicht helfen kann ist offensichtlich. Im Gegenteil, es verstärkt nur die Tendenz, noch mehr seiner wertvollen Freizeit vor einem Bildschirm zu verbringen. Vermutlich wurde dieses Thema genau deshalb ausgeklammert -schließlich müsste sich das Spiel sonst selbst kritisieren.
Gut gefallen hat mir, dass bei vielen Muskelaufbau- und Yoga-Übungen der Körperschwerpunkt angezeigt wird und so gut ausbalanciert werden kann. Allerdings ist es besser, mit der Zeit ein Gefühl für den eigenen Körper zu bekommen - und das funktioniert besser, wenn man die Augen schließt, sich auf den eigenen Körper konzentriert und nicht auf einen Bildschirm starrt. Die Idee, die hinter Wii Fit steht - nämlich sich zu bewegen - finde ich okay. Das Programm darf aber die sonstige sportliche Betätigung und Bewegung nicht ersetzen. »Führen Sie zweimal am Tag ihren Hund aus, auch wenn Sie keinen haben« ist in jedem Fall sinnvoller, als sich auf einen Wii Fit-Controller zu stellen. Für jemanden, der sonst nicht für Bewegung oder Sport zu motivieren ist, ist es immerhin besser, mit Wii Fit zu trainieren, als gar nichts zu tun.«
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