A Boy and his Blob03.12.2009, Paul Kautz
A Boy and his Blob

Im Test:

Computerspiele sind normalerweise emotionskalte Zonen, nur selten gibt es Wärme, Zuneigung oder Freundschaft - wie die Umarmung der beiden Schwestern in Mirror's Edge oder das gemütliche Fernsehen und Kuscheln in The Darkness. Und viel zu selten gibt es Spiele, in denen man einfach mal Danke sagen kann; Danke für die Unterstützung beim Bosskampf, Danke für die Schützenhilfe an der Front, Danke für die Räuberleiter. Immer wird einfach nur akzeptiert und weitergemacht. Oder... fast immer.

Zwei ungleiche Freunde

In A Boy and His Blob (ab 89,95€ bei kaufen) muss man nur auf dem Digipad nach oben drücken, und schon nimmt der namenlose Junge seinen weißen Glibberfreund in die Arme, um ihn ganz fest an sich zu drücken. Richtig fest. Die Augen sind zu, die Mundwinkel gaaaanz breit - und auch die sonst so emotionslose Kumpelblase lässt sich in diesem Augenblick zu einem Lächeln hinreißen. Das Ganze dauert nur ein, zwei Sekunden, dann ist's auch schon wieder vorbei. Aber die Herzenswärme, die diese kleinen Augenblicke der Dankbarkeit verbreiten, strahlt noch viel länger. So süß.

Dass Boy viel zu danken hat, ist keine Frage - denn er selbst kann nichts Besonderes: Einen kleinen Hopser kriegt er noch hin, kleinere Steine verschieben ist auch drin, aber das war's auch schon. Er ist kein Superheld, der sprinten, hangeln und sich akrobatisch überschlagen. Kämpfen kann er nicht, schwimmen nicht, allzu tief fallen sollte er besser auch nicht. Kontakt mit den dunklen Kreaturen, die vereinzelt auftauchen, ist für ihn sofort fatal. Kurz gesagt: Er ist ein ganz normaler kleiner Junge, der nicht von einer radioaktiven Spinne gebissen wurde. Seine Superkraft heißt stattdessen »Jelly Beans« (im einfachsten Sinne süße Weingummis), auf die Blob irre scharf ist. Der praktische Nutzen dieser Sucht: Je nach Süßkram verwandelt er sich in unterschiedliche Gestalten. Mal wird er zum Loch im Boden, mal zur Leiter, mal zum Trampolin, mal zum Luftballon, mal zur Bowlingkugel oder zum Springball. Das geschicht nicht nur zum Spaß oder zum Bewundern der tollen Morphing-Animationen, sondern bildet die Grundlage des Spielprinzips: Genau wie beim 1989er Original von David »Pitfall!« Crane muss man die richtigen Blob-Fähigkeiten an der richtigen Stelle nutzen, um durch den Level zu kommen. Das ist allerdings auch schon alles, was den Neuling mit dem Opa verbindet, denn Entwickler WayForward hat den frustierenden Design-Ballast des Originals über Bord geworfen: Die Zahl der Jelly Beans ist jetzt unlimitiert, früher musste man schottisch mit jeder einzelnen Bohne herumgeizen. Außerdem hat man jetzt in jedem Level nur die Bohnen dabei, die man tatsächlich auch braucht - maximal acht pro Abschnitt. Und ein Game Over, seinerzeit an der Minutenordnung, gibt es nicht mehr: Zwar führt Kreaturenkontakt zum Boy-Nickerchen, aber Checkpunkte, an die man automatisch zurückkehrt, gibt es in Hülle und Fülle - und die Zahl der Leben ist unbegrenzt.

Aus Liebe zum Pixel

Es ist eine laue Sommernacht: Der breite Vollmond strahlt mächtig am glitzernden Nachthimmel, eine sanfte Brise lässt die Spitzen der riesigen Tannen behutsam wackeln. Grün schimmernde Glühwürmchen erhellen dunkle Pfade, winzige Frösche blasen sich am Boden ein paar Mal auf, bevor sie sich gelenkig aus dem Bild schwingen. Eine sanfte Melodie schwebt über die Wiese,

Video: A Boy and His Blob zeichnet sich durch einen einzigartigen, liebevollen Grafikstil sowie das gemütliche, Experimentierfreudigkeit belohnende Spielprinzip aus.der Junge läuft vorbei, der weiße Blob hüpft hinterher. Raben fliegen aus dem Weg, Libellen, schwirren uninteressiert vorbei, Paul Kautz ist hin und weg. Liebhaber handgezeichneter »Plattformer« wie Braid oder Lucidity werden A Boy and His Blob von der ersten Sekunde an ins Herz schließen. Geht auch gar nicht anders, denn das Spiel versprüht eine Herzenswärme, die fast schon unheimlich ist. Die gesamte Umgebung, die kuschelweich in mehrere Ebenen scrollt, präsentiert sich in einem Wasserfarbenstil, der an Filme wie Lilo & Stitch erinnert, die Figuren erinnern leicht an Anime wie Prinzessin Mononoke, die Animationen sind herzallerliebst. Für Abwechslung ist ebenfalls gesorgt: Man beginnt in einer entspannten Wald-Umgebung, in der sich Tag und Nacht abwechseln, durchquert einen Sumpf, grübelt herum, während im Hintergrund die Sonne feurig unter den Horizont rutscht. Oder man sieht von den beiden Helden nichts als die Silhouette, während sie vor einem gemütlich glühenden Vollmond traben. Später geht es in die Großstadt, auf den Heimatplaneten des Blob sowie zur Festung des garstigen Blob-Imperators.          

Die vier Welten zeichnen sich durch enormen Abwechslungsreichtum aus.
Insgesamt erwarten 40 Levels das ungleiche Duo, die mit etwas Geschick und Grübelei in etwa sechs bis sieben Stunden durchquert sind, was nicht nur den verhältnismäßig langen Ladezeiten zu verdanken ist. Das ist aber nur die Hälfte des Spiels, denn in jedem Abschnitt sind drei Schatzkisten versteckt - anfangs offensichtlich, schon nach kurzer Zeit nur über Umwege und exzessive Blob-Nutzung erreichbar. Findet man alle drei, öffnet sich ein Herausforderungs-Level, den man jederzeit angehen kann - auch von denen gibt es 40. Schafft man diese, gibt es zur Belohnung jeweils eine Artwork-Animation zu sehen, die den Weg einzelner Grafikelemente von der ersten Konzeptzeichnung bis zur fertigen Pixel-Umsetzung als Minifilm zeigt. Am Ende jeder Welt wartet der obligatorische Bossfight, der hier jedoch, passend zum Rest des Spiels, weniger auf Reflexe als vielmehr auf Hirnschmalz setzt: Wenige Blob-Fähigkeiten müssen genutzt werden, um die Schwachstellen der Obergegner auszunutzen - teilweise sehr ideenreich inszeniert!

Weg mit dem Kolibri!

Wenn ein Spiel so gut aussieht wie A Boy and His Blob, dann darf es einfach auch nicht schlecht klingen - so funktioniert das Universum einfach. Und das tut es auch hier, denn der Soundtrack aus der Feder von Daniel Sadowski ist ebenso wunderschön wie die Kulisse - ruhig, beschwingt, bezaubernd, mächtig, aber nie aufdringlich oder unpassend. Das wäre auch fatal, denn er liefert den größten Teil der akustischen Untermalung: Es gibt kaum Soundeffekte, auch ist die Stimme des Jungen, wenn er nach Blob ruft, die einzige Sprachausgabe.

In jedem Level sind drei dieser Schatzkisten versteckt. Findet man alle drei, wird ein Herausforderungslevel freigeschaltet.
Die bekommt man allerdings häufig zu hören, denn die Verwandlungsfreude des Blobs ging offensichtlich mit einem Mangel an Gehirnmasse einher. Ständig hängt das Ding an Ecken und Kanten fest - würde man sich darauf verlassen, dass er zuverlässig hinter einem her dackelt, wäre das Spiel wohl drei Mal so lang. Gut, dass man nicht warten muss: Boy kann Blob rufen, mit jedem Mal wird seine Stimme etwas sorgenreicher - und beim dritten Mal schließlich wird ein Pfiff daraus, woraufhin sich Blob in einen Luftballon verwandelt und ratzfatz zum Jungen fliegt. Praktisch. Auch der Rest der Steuerung, die wahlweise über die Wiimote/Nunchuk-Kombination oder den Classic Controller erfolgt, geht simpel von der Hand, Bewegungssteuerung gibt es nicht: Hält man die Z-Taste gedrückt (und nicht die C-Taste, wie die Anleitung erzählt), wird ein Ringmenü geöffnet, aus dem man die vorhanden Jelly Beans wählen kann. Die kann man dann entweder direkt ablegen oder über den Analogstick ein Stück weit werfen, woraufhin sich Blob gefräßig darauf stürzt - das ist aber fummelig, da die Analogsteuerung etwas zu zackig reagiert. Aber man kann sich ja alle Zeit der Welt lassen, was man spätestens machen sollte, sobald Kolibris ins Spiel kommen: Sind die nämlich im Bild, schnappen sie sich jede Bohne, noch bevor Blob rankommen kann - ein sehr unterhaltsames Zusatzpuzzle. Und ein schöner Insiderwitz, war doch im Original der Honiggummi, der Blob in einen Kolibri verwandelte, die nutzloseste Bohne des ganzen Spiels.   

Fazit

Es gibt sie in letzter Zeit gefühlt häufiger, diese inspirierten Spiele mit Seele, die nicht das Hetzen zum Levelende, sondern das Erkunden, das Grübeln und das Forschen in den Vordergrund stellen. Ich denke dabei an Spiele wie Braid , Soul Bubbles oder eben A Boy and His Blob. Das Spielprinzip ist gemütlich, entspannt, alles andere als hektisch - und doch bietet es Anspruch und Tiefe, verlangt und belohnt Experimentierfreude. Was man nicht zuletzt daran erkennt, dass es kein Tutorial im klassischen Sinne gibt - Ausprobieren ist angesagt. Und Liebhaben, was aber auch gar nicht anders geht, wenn man nicht gerade ein Herz aus Sauron hat: Alleine das spielerisch völlig nutzlose, aber wunderschön in Szene gesetzte Umarmen von Blob ist so niedlich, dass man heulen könnte. Klar, technisch dürfte das Spiel keinen Shooterfan aus den Socken hauen, ganz besonders, da es nur auf Wii erscheint. Aber in jedem einzelnen Pixel steckt eine Menge Liebe und Herzblut - und das dürfte weitaus wertvoller sein als ein möglichst hoher Polycount. Es ist allerdings eine Schande, dass dieses einfach schöne Spiel wie viele andere, die WayForward in den letzten Jahren entwickelt hat (zuletzt Contra 4 ), hierzulande auf absehbare Zeit nicht offiziell erscheint. Am Übersetzungsaufwand kann das wohl kaum liegen: A Boy and His Blob kommt nämlich ohne Text aus.

Pro

<P>
liebevolle, inspirierte Präsentation
toller Grafikstil
sympathische Hauptfiguren
bezaubernde Musik
ideenreiches Puzzledesign
abwechslungsreiche Blob-Möglichkeiten
aufregende Bosskämpfe</P>

Kontra

<P>
etwas einfach
häufige und lange Ladepausen
gelegentlich fummeliges Bohnenwerfen</P>

Wertung

Wii

Liebevoll, einzigartig und ideenreich: A Boy and His Blob ist gut für Hirn und Herz!

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