Phantom Brave - We Meet Again03.12.2009, Mathias Oertel
Phantom Brave - We Meet Again

Im Test:

Rundenbasierte Strategie ist eigentlich optimal geeignet für Konsolen. Vor allem, wenn man das Thema mit einem ordentlichen Batzen Rollenspiel anreichert. Und dennoch findet man bis auf Spiele wie Fire Emblem kaum Vertreter dieser Gattung in Europa. In Amerika hingegen verstecken sich einige Perlen in den Verkaufsregalen. Wie z.B. Phantom Brave - We meet again, die erweiterte Neuauflage eines gut fünf Jahre alten PS2-Titels.

Einsteigerfreundliches Abenteuer

Dass sich Nippon Ichi America ausgerechnet für Phantom Brave entschieden hat, um auf Wii Fuß zu fassen, ist eine weise Entscheidung. Denn es ist das zugänglichste der Strategieschwergewichte aus diesem Hause.

Das betrifft nicht nur die Geschichte, die bei weitem nicht so albern und überzogen daher kommt wie beispielsweise in den Disgaeas und hier eher ruhige, häufig auch melodramatische Töne anschlägt. Auf Wii wird sie zudem mit einer zusätzlichen Alternativ-Kampagne, neuen Figuren sowie Gegenständen ergänzt, so dass sich die ohnehin hohe Spielzeit, die sich in etwa

Man sollte sich von diesem Artwork nicht einlullen lassen: Phantom Brave ist ein strategisches Schwergewicht, aber visuell ein Relikt vergangener Zeiten.
zwischen 70 und 100 Stunden einpendeln dürfte, noch weiter verlängert. Im Mittelpunkt steht die Waise Marona, die als Medium nach dem Tod ihrer Eltern unter dem Schutz des Phantoms Ash auf Phantom Island lebt und ihren Lebensunterhalt als "Söldnerin" verdient. Um ihr eigenes Haus erwerben zu können, nimmt sie Aufträge an, bei denen sie anfänglich Langfingern auf die Spur kommen muss und schließlich das Schicksal der Welt in Händen hält und die Bedrohung durch böse Dämonen abwehren muss.

Auch wenn es von Zeit zu Zeit lustig zugeht, hat man immer wieder Mitleid mit Marona, wenn sie als freakiger Außenseiter von allen gemieden wird und selbst ihre Auftraggeber an ihrer Zurechnungsfähigkeit zweifeln, da sie mit Geistern reden kann.

Leicht zu erlernen, schwer zu meistern

Doch diese Fähigkeit ermöglicht ihr, Phantome verschiedener bekannter Archeklassen (z.B. Kämpfer, Heiler, Magier, Händler) auf dem Schlachtfeld zu beschwören. Und damit sind wir schon mittendrin im Kampfgewühl. Denn natürlich wird die Geschichte nicht nur genutzt, um die Figuren zu vertiefen und eine emotionale Bindung herzustellen, sondern um zum nächsten Gefecht überzuleiten. Und davon gibt es in den 20 Kapiteln der Hauptstory mit ihren zahlreichen Unterabschnitten mehr als genug. Zumal man häufig auch in bereits besuchte Gebiete zurückkehren muss, um seine Figuren auf eine oder mehrere neue Stufen zu bringen, wenn man feststellt, dass die nächsten Story-Kämpfe in der gegenwärtigen Verfassung schlichtweg zu schwer sind. Doch was bei vielen Online-Rollenspielen als unnötiger so genannter "Grind" kritisiert wird, fällt hier kaum ins Gewicht. Denn ganz nebenbei kann man sich auch neue Taktiken aneignen und seine Strategien verfeinern, indem man die Gruppe durch Experimente noch besser aufeinander abstimmt.

Doch wie laufen die rundenbasierten Kämpfe ab? Im Gegensatz zu den üblichen Genre-Vertretern, in denen man meist mit einer festgelegten Armee über Quadrate oder Hexfelder zieht, gibt es hier einige Besonderheiten. Eine der wesentlichsten ist der Wegfall von Beegrenzungen: Die Figuren können sich, wenn sie an der Reihe sind, frei auf dem Feld bewegen, solange ihre Bewegungspunkte noch nicht komplett verbraucht sind. Und natürlich ist Bewegung sowohl vor als auch nach einer Angriffsaktion möglich, so dass man sich im Zweifelsfall außerhalb des gegnerischen Radius zurückziehen kann.

Durch diese Öffnung der Zugmechanik kommt es zwar zum Wegfall von positionsabhängigen Angriffen oder Kombinationen,

Nein, hier handelt es sich nicht um ein Spiel der 16-Bit-Ära...
wenn etwa mehrere Verbündete nebeneinander stehen, doch sollte man sich deshalb nicht zu der Fehleinschätzung verleiten lassen, dass die Kämpfe deswegen weniger Anspruch haben.

Der ergibt sich nämlich aus einem anderen Element: Bevor die Phantom-Gefährten Maronas neben ihr und für sie in den Kampf ziehen können, müssen sie erst einmal beschworen und quasi in einem festen Gegenstand auf dem Schlachtfeld "verankert" werden. Der Clou: Je nach Anker ändern sich ihre Eigenschaften. Nutzt man z.B. einen Stein, hat die Figur einen höheren Defensivwert, was diesen Aufenthaltsort natürlich für Kämpfer prädestiniert. Magier hingegen dürften vorrangig mit Blumen glücklich werden, die ihnen eine höhere Intelligenz spendieren.

Doch damit nicht genug: Da jede Figur nur einmal pro Kampf beschworen werden kann und die Kraft Maronas sie nur für eine bestimmte Anzahl Züge an den Gegenstand bindet, sollte man sich schon vor der ersten Beschwörung eine Strategie zurechtlegen. Ansonsten kann es schnell passieren, dass man ohne Phantome da steht, bevor die Mission abgeschlossen ist.

    

Strategie ist alles

Doch an dieser Stelle macht Nippon Ichi noch lange nicht Schluss: Manche Gegenstände sind miteinander verbunden und stehen damit in einer Beziehung zueinander. So kann es Bäume geben, die dafür sorgen, dass alle mit ihnen verbundenen Sachen z.B. nach Ende eines Zuges Lebensenergie zurückgewinnen.

Bereits vor fünf Jahren auf PS2 war die Kulisse veraltet...
Doch Vorsicht: Es gibt auch negative Einflüsse und natürlich kann es auch sein, dass Gegner unter einem Schutz stehen, so dass man tunlichst erst diesen ausschalten sollte.

Mit vielen anderen hinzu kommenden Gelegenheiten wie auf den Schlachtfeldern platzierten Waffen oder aufrüstbaren Gegenständen werden die strategischen Möglichkeiten trotz eines leichten Einstiegs um ein Vielfaches erweitert. Und wer Zeit und Mühe investiert, wird einige weitere gut versteckte Möglichkeiten finden, seine Figuren noch weiter zu entwickeln, so dass Phantom Brave in puncto Tiefgang seinen Disgaeaschen Brüdern im Geiste kaum nachsteht. Wenn es sein muss, kann man sogar seine Gegner vom Feld schubsen, woraufhin sie Schaden nehmen und dann wieder platziert werden. Aber Vorsicht: Auch die intelligent agierenden, starken Feinde wenden diese Taktik immer wieder an.

Mit der Abkehr von "Feldern", auf denen sich die Figuren bewegen, taucht auch das eine oder andere Übersichtsproblem auf - vor allem wenn es um das Zielen auf einen bestimmten Gegner in einer Gruppe geht. Bevor man sich versieht, geht der Angriff trotz der Möglichkeit, das Geschehen aus einigen Winkeln zu betrachten, auf einen nicht vorgesehenen Feind oder im schlimmsten Fall auf eine befreundete Figur nieder. Daher ist es ratsam, sich lieber zwei- oder drei Mal zu vergewissern, ob man jetzt das richtige Ziel unter dem Cursor hat.

Visuelle Verbesserungen

Man muss Nippon Ichi zugute halten, dass man für die Wii-Version ein wenig Politur an der bereits zur Erstveröffentlichung vor fünf Jahren hoffnungslos veralteten Kulisse hat: Jetzt darf man einen Filter aktivieren, der die Figurenränder etwas glättet, was vor allem unter Verwendung eines Komponentenkabels und des 480p-Modus angeraten sei, da die Charaktere ansonsten böse Randmarkierungen aufweisen.

Auch die teils idyllisch gezeichneten 2D-Hintergründe in den Zwischensequenzen wirken im Vergleich zur "alten" PS2-Variante leicht überarbeitet - sie sehen farblich etwas frischer und damit einen Hauch ansehnlicher aus.

Die Effekte bei Angriffen und vor allem bei Magie- sowie Sonderattacken waren schon immer die Hingucker bei den Nippon Ichi-Abenteuern - und daran hat sich auf Wii nichts geändert.

Die Effekte während der Kämpfe sehen zwar gut aus, können aber auch nicht zur Rettung beitragen. Ein klassischer Fall des Kampfes Inhalt gegen Aussehen.
Trotzdem wirkt  die Kulisse noch mehr als zum PS2-Start von Phantom Brave extrem spröde. Natürlich bringt sie dadurch auch einen gewissen Retro-Charme mit sich, wenn sowohl die eigenen komplett zweidimensionalen Kämpfer als auch die Gegner (ebenfalls 2D)  mit nur wenigen Animationsphasen über die in diversen Stufen drehbaren Polyonschlachtfelder huschen. Bei den Zwischensequenzen bleibt man sich ebenfalls treu: Sie bestehen entweder aus einfachen Comic-Bildern im Anime-Stil oder aus Spielgrafik, bei der die Figuren nun vor einem gezeichneten Hintergrund agieren, während Sprechblasen eingeblendet werden, zu denen zumeist gute englische (bzw. wahlweise japanische) Sprachausgabe ertönt. Dadurch entsteht ein charmanter Retro-Minimalismus. Dennoch wird es langsam Zeit, die alten Engine-Zöpfe abzuschneiden.

Steuerung für alle Fälle

So weitreichend die Taktik auch gehen mag und so sperrig sich PB dadurch gestaltet - in einem kann man Nippon Ichi nichts vorwerfen: Kontrolloptionen. Mit Ausnahme des Balance Boards und WiiMotion Plus wird alles unterstützt, was Wii zu bieten hat.

Remote solo, wahlweise horizontal oder vertikal; in der Kombination mit Nunchuk; per Classic Controller; per GameCube-Pad: Alles geht. Und alles funktioniert richtig gut, wobei natürlich die Navigation durch die übersichtlichen, aber zahlreichen Menüs mit Classic Controller oder GameCube-Pad am komfortabelsten vonstatten geht.

 

Fazit

Man sollte sich nicht vom niedlichen Figuren-Design, der Einsteigerfreundlichkeit oder den zahlreichen Kontroll-Optionen einlullen lassen: Spiele aus dem Hause Nippon Ichi haben sich noch nie an Anfänger oder Gelegenheitsspieler gerichtet - und Phantom Brave macht da keine Ausnahme. Wer schnell die strategische Flinte ins Korn wirft, braucht gar nicht erst über den Import nachzudenken. Wer allerdings bereits mit Titeln wie Disgaea eine Menge Spaß hatte oder wem z.B. Valkyria Chronicles zu seicht war, sollte Urlaub einreichen. Der taktische Tiefgang ist enorm, die einzelnen Elemente sind -wie bei Nippon Ichi üblich- wunderbar miteinander verzahnt und die Geschichte, die auf Wii mit einer alternativen Kampagne aufgewertet wird, zieht einen mit ihrer überraschend melodramatischen Note schnell in ihren Bann. Die Armee-Duelle in den Kampfarenen wurden von einer starren "Zugfeld"-Mechanik befreit, haben aber im Gegenzug Probleme mit der Cursor-Positionierung. Doch das ist nicht einmal das größte Problem, das Phantom Brave belastet. Denn die Kulisse, die bereits zur Veröffentlichung der PS2-Version vor gut fünf Jahren absolut veraltet war, ist in der heutigen Zeit ein Affront und erinnert mit Ausnahme der aufwändigen Effekte eher an die gute alte Ära des Super Nintendos. Das sollte die Taktik-Rollenspiel-Genießer dennoch nicht abschrecken, da man im Gegenzug eines der umfangreichsten und forderndsten Abenteuer seiner Art nach Hause einlädt.

Pro

enorme strategische Tiefe
zahlreiche Einflussmöglichkeiten
melodramatische Geschichte
gute Sprachausgabe
stimmige Musikuntermalung
viele Specials und Zauber zu erlernen
neue zusätzliche Kampagne

Kontra

steile Lernkurve
vorsintflutliche Kulisse
Cursor-Positionierung mitunter problematisch

Wertung

Wii

Inhaltlich ein Schwergewicht für Strategie-Fans, ist die Kulisse trotz kleiner Verbesserungen zur fünf Jahre alten PS2-Version hoffnungslos veraltet.

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