Sonic Boom: Lyrics Aufstieg25.11.2014, Jan Wöbbeking

Im Test: Armer Sonic!

Sonic-Fans mit einer Wii U haben es nicht leicht: Auf Nintendo-Systemen scheint Sega einfach kein glückliches Händchen zu haben. Bereits Sonic Lost World litt trotz der hübschen Planetenwelt unter Übersichts- und Steuerungs-Macken und mit den zwei Titeln zur Zeichentrick-Serie Sonic Boom erreicht man jetzt sogar einen neuen Tiefpunkt. Im Test klären wir, woran es hapert.

Vom Bordstein zur Skyline und zurück in die Gosse

Diesmal ist Sonics Trip in überwucherte Tempel an die gleichnamige TV-Serie Sonic Boom angelehnt. Während der 3DS ein klassisches zweidimensionales Jump-n-Run mit eigener Story bekommt, erzählt der 3D-Plattformer auf Wii U die Vorgeschichte. Bei einem Rennen mit Dr. Robotnik entdecken Sonic und seine Freunde einige mystische Ruinen. Es handelt sich um die Überbleibsel einer tausend Jahre alten Zivilisation, in der offenbar auch der blaue Igel eine Rolle gespielt hat. Die Urahnen nutzen bereits komplexe Apparaturen und eine schier grenzenlose Energiequelle. Allerdings trieb seinerzeit auch ein fieses Reptil namens Lyric sein Unwesen, das im Laufe des Spiels zu Sonics neuem Gegenspieler avanciert.

Zu schwache Blecheimer muss man leider gleich dutzendfach vertrimmen.
Die Gespräche zwischen Sonic, Tails & Co. Gingen klingen allerdings derart infantil, dass es mich nicht gewundert hätte, wenn plötzlich Samson ins Bild geplatzt wäre, um die Szene mit einem zünftigen „Uiuiui!“ zu kommentieren. „Hey, das vorne sind Rampen!“, „Die können wir bestimmt als Rampen benutzen!“ Toll kombiniert, Sherlock! Auch Amys grausam synchronisiertes Gequieke über Mode bewegt sich hart an der Grenze zur akustischen Körperverletzung.

Tomb Raider lässt grüßen

Leider wird es auch beim Hüpfen, Rennen und Kämpfen nicht wirklich besser. Die überwucherten Schluchten, Bergwerke und riesigen Zahnräder unter Tage haben mich zwar angenehm ans gute alte Sonic Adventure erinnert, doch leider gilt das auch für die Technik: Zumindest in meiner Erinnerung waren die Texturen auf Dreamcast und Gamecube auch nicht viel unschärfer als das, was Sega seinen Kunden hier zumutet. Und das, obwohl sogar die potente CryEngine lizenziert wurde! Während Sonic, Tails, Amy und Knuckles durch die Landschaft sprinten, wechsle ich immer wieder per Steuerkreuz zwischen den vier Freunden. Tails verschießt z.B. Projektile und schwebt mittels Schwanz-Helicopter über Abgründe, Amy beherrscht einen Dreifach-Sprung und Knuckles klettert an rauen Felswänden zu abgelegenen Vorsprüngen. Neu dabei ist außerdem eine Energie-Harpune, mit der ich mich an elektrischen Haken entlang schwinge und Schalter aus der Wand ziehe. Nach und nach erschließe ich mir in der offenen, aber überschaubaren Welt neue Gebiete und geheime Grotten voller gigantischer antiker Konstruktionen und Mechanismen.

Immerhin die Konzeptzeichner haben sich beim Design einiger Schauplätze Mühe gebeben. Die Innenräume und Grotten ähneln sich aber stark.
Rätsel ergeben sich trotzdem nicht wirklich: Hier und da gibt es abseits des Weges ein paar versteckte Boni zu entdecken, alle anderen Puzzle-Ansätze werden aber im Keim erstickt, weil sie meist völlig offensichtlich in den Weg gebaut wurden. Außerdem mimt Sonic oder einer der Begleiter Co ständig den Spielverderber und verrät die Lösung, wenn ich länger als eine Sekunde vor einer Konstruktion verweile: „Da ist eine poröse Wand – die lässt sich bestimmt durchbrechen!“, „Zieh doch mal am Hebel – mal sehen, was passiert!“ Ja doch, ich bin doch schon auf dem Weg! Nun lass mich doch mal eine Sekunde lang selbstständig agieren, statt mir wie einem Kleinkind alles vorzubeten. Selbst die vermutlich ziemlich junge Zielgruppe der Serie hat bestimmt mehr drauf, als Entwickler Big Red Button ihnen zumutet.

Outsourcing von Spielspaß

Big Red Button? Ja: Sega hat sich nicht mal mehr persönlich mit der Entwicklung eines Sonic-Spiels abgegeben. Es befinden sich zwar Ex-Mitglieder von Naughty Dog im Team, davon ist hier aber beim besten Willen nichts zu spüren. Auch die Kämpfe in runden Arenen arten meist in unmotiviertes Knopfgehämmer aus. Ich kann zwar jede Menge Sammelkram und alte Relikte anhäufen, um einige Statuswerte oder Spezialtechniken aufzumotzen, doch das spielt wegen der zu schwachen Gegner ohnehin kaum eine Rolle. Nicht einmal Sonics Königsdisziplin – das Sprinten und Hüpfen, hat mich wirklich gefordert. Durch die zickige wackelnde Kamera und eine niedrige Bildwiederholrate kommt nicht einmal das serientypische Geschwindigkeitsgefühl auf. Vor allem in Loopings oder beim Gleiten an einer Elektro-Schiene wird es durch das leichte Ruckeln anstrengend, den Überblick zu behalten. Zwischendurch schaltet die Perspektive übrigens immer wieder in die Seitenansicht, aus der ich z.B. mit Knuckles verschüttete Bergarbeiter rette. Dazu stoße ich mit Hilfe seiner Bärenkräfte durch dicke Geröllhaufen.

Die schlichten Schalter-Puzzles sind viel zu einfach konstruiert.
Ein theoretischer Vorteil ist, dass in den Story-Modus jederzeit ein Freund offline einsteigen kann. Sonics Freunde laufen sonst computergesteuert mit, was von einigen KI-Aussetzern abgesehen recht ordentlichen funktioniert. In der Praxis ist das geteilte Leid im Koop-Spiel aber noch größer, weil die Engine offenbar damit überfordert ist, die Kulisse getrennt für Fernseher und den Touchscreen des Gamepads zu berechnen. Das Ergebnis sind wilde Ruckel-Attacken. In den drei faden zusätzlichen Arcade-Modi für bis zu vier Spieler gehen die technischen Probleme sogar so weit, dass Sonic manchmal mit ein paar Zehntelsekunden Verzögerung springt – nicht gerade praktisch für ein Wettrennen um die Bestzeit!

Fazit

Armer Sonic, das hat er nun wirklich nicht verdient! Nach dem starken Generations und dem Absturz mit Lost World ist Segas Maskottchen an einem neuen Tiefpunkt angelangt. Warum gibt sich Sega nicht mal mehr persönlich mit dem verstoßenen Sohn ab, sondern beauftragt unbekannte Studios? Beim Anschauen der Konzeptzeichnungen erahnt man, dass die Designer den pfeilschnellen Igel und seine Freunde eigentlich in eine schöne mystische Umgebung versetzen wollten – doch im Spiel erkennt man kaum noch etwas davon wieder. Sicher, beim Erforschen der offen gestalteten Welt voller überwucherter Tempel kamen schöne Erinnerungen an Sonic Adventure hoch, allerdings erinnern auch die kargen Kulissen an uralte Gamecube-Titel. Das Spieldesign unterbietet die alten Klassiker sogar um Längen: Weder die monotonen Kämpfe noch die viel zu einfachen Rätsel haben mich gefordert. Knifflig wurde es auch beim Hüpfen höchstens dann, wenn wieder einmal die zickige Kamera, die niedrige Bildrate oder andere technischen Macken dazwischen funkten. Viel habe ich bei diesem Spiel zur Zeichentrickserie zwar nicht erwartet, aber dass Sega seinen einstigen Star derart hängen lässt, hätte ich nicht gedacht.

Pro

mystisch überwucherte Tempel voller antiker Mechanismen
Story und Arcade-Modi kooperativ auf zwei Screens spielbar

Kontra

steinzeitliche Grafik mit unscharfen Texturen, Popups und kreisrunden Schatten
niedrige Bildrate
zusätzliche Ruckler und Steuerungsmacken im Koop
fade Kämpfe
simple Rätsel mit viel zu vielen Hinweisen
zu leichte Plattformabschnitte
meist schwaches Geschwindigkeitsgefühl
übertrieben infantile, schlecht betonte Dialoge
mitunter hektische Kamera

Wertung

Wii_U

Das hat Sonic nicht verdient: Eine steinzeitliche Technik, Kameramacken und ein viel zu niedriger Schwierigkeitsgrad bescheren Segas Maskottchen einen neuen Tiefpunkt.

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