Advent Rising08.03.2006, Benjamin Schmädig
Advent Rising

Im Test:

Advent Rising (ab 5,00€ bei kaufen) dreht einen alt bekannten Spieß um: Die außerirdische Rasse, welche als Erlöser der ganzen Galaxie gilt, ist hier kein fremdes Volk. Stattdessen ist die Menschheit selbst der Retter des Universums. Die fantastische Inszenierung sucht ihresgleichen. Aber wie steht es um die inneren Werte?

Vorschusslorbeeren?

Was würdet ihr dazu sagen, wenn ich gleich vom Start weg in Lobeshymnen verfalle? Was wäre, wenn ich von einem Titel begeistert bin, der meist mit durchschnittlichen Wertungen bedacht wird? Was, wenn ein Epos so mitreißend inszeniert wurde, dass ich spielerische Mängel nur am Rande registriere? Das hat zuletzt Wing Commander IV geschafft – eines der intensivsten Science Fiction-Abenteuer aller Zeiten. Als die Credits über den Bildschirm rollen, fällt es mir

So beginnt das fantastische Abenteuer: Ihr dreht in aller Ruhe eine Runde im All.
jedenfalls schwer, in die Realität meines drögen Zimmers zurück zu kehren. Was mache ich nur nach dem Abspann?

Schon als der Chor des Hollywood Studio Symphony mein Shuttle zu einer Raumstation trägt, vor der ein gigantischer Alien-Kreuzer wartet, hat mich die fantastische Atmosphäre fest im Griff. Wenige Minuten später steht mein Schiff im Hangar und ich bin zu Fuß unterwegs: Über der Glaskuppel erstreckt sich der Weltraum, während ich über die Balustrade wandele und den Gesprächen der restlichen Besucher lausche. Zugegeben: Mein Alter Ego, Gideon Wyeth, bewegt sich etwas steif und die Umgebung wirkt unscharf und detailarm. Im Gegenzug bin ich dafür in ausgesprochen weitläufigen und lebendigen Arealen unterwegs. Ärgerlich ist nur die Tatsache, dass der Held nach einem Sprung schon mal mitten in der Luft oder stehend im Wasser hängen bleibt, ohne dass ich ihn kontrollieren könnte. Die Zwischensequenzen überzeugen dafür mit filmreifen Bildern und schönen Animationen - egal ob in Spielgrafik oder als CGI-Einspielung.

Auf ins Abenteuer!

Zunächst begleite ich Gideon und seinen Bruder in eine Bar und lerne bei einer zünftigen Prügelei die Feinheiten des Nahkampfes kennen. Anschließend erfährt Gideon in diversen Übungsräumen, was er auf dem Kasten hat: In jede Hand passt eine Waffe und das Feuern mit doppeltem Kaliber macht Laune. Anders als in vergleichbaren Abenteuern muss ich mich allerdings nicht auf mein Augenmaß verlassen, sondern wähle das Ziel durch Antippen des rechten Analogsticks. Der Anvisierte bleibt anschließend im Fokus, so dass sich Gideon voll und ganz aufs Ballern und Ausweichen konzentrieren kann.

Dermaßen gut vorbereitet macht er sich schließlich auf den Weg. Sein Auftrag: Er steuert das Raumschiff, dessen Crew einen ersten Kontakt mit den Aliens, die ihren Kreuzer vor der Raumstation geparkt haben, herstellen soll. Es sind die ersten Außerirdischen, denen die Menschheit begegnet und sie gehören zum Glück zu den friedlichen Spezies. Allerdings kamen sie nicht zum Kaffee-Plausch, sondern

Fliegender Weltenretter: Der Held ist im Gleiter seiner Feinde unterwegs.
 haben ein paar hässliche Verfolger im Schlepptau: Während die Aurelianer und andere Rassen die Menschheit als eine Art Gottheit mit übernatürlichen Kräften verehren, brennen die Sucher nur darauf, ihnen den Garaus zu machen. Und so wird schon der Heimweg zur Höllen-Tour: Die Flotte der Sucher fällt sowohl über die Raumstation als auch den Aurelianer-Kreuzer her, mit Landungskapseln dringen die Monster in die Station ein.

Doppelfeuer

Die geradlinige 3D-Action lässt Gideon mehr erleben als Luke Skywalker in drei Filmen gesehen hat: Freunde fallen auf dem Schlachtfeld, er wird Zeuge eines Verrats und entwickelt so ganz nebenbei Kräfte, die den Star Wars-Buben blass aussehen lassen. Das Ganze wird von einem Soundtrack untermalt, der das Drama mal mit melancholischen Streichern unterlegt, um später den Männerchor unter Pauken und Trompeten zum Angriff blasen zu lassen. Glückwunsch an Tommy Tallarico, denn das ist ein heißer Kandidat für den Soundtrack des Jahres! Schöner wäre es nur gewesen, wenn Tallarico seine Themen aufeinander aufgebaut hätte. So gibt es lediglich die immer gleichen Melodien zu ähnlichen Stimmungen. Das mindert die Qualität der Kompositionen aber in keiner Weise.     

Zurück zum Ort des Geschehens, wo sich Gideon ähnlich wie der Master Chief mit verschiedenen "Ausbaustufen" einer Hand voll Gegner anlegt: Entweder wirft er ihnen eine Granate zwischen die Beine oder legt sich im Nahkampf mit dem fiesen Gesindel an. Ein einziger Knopfdruck reicht aus, um Schläge und Tritte zu kombinieren. Je öfter er die Technik anwendet, desto schneller lernt er neue Tricks und erledigt die Fieslinge später mit coolen Finishern.

Das gilt auch für die Waffen: Mein Alter Ego darf jedes Schießeisen in jede Hand nehmen und drückt jeweils mit den beiden Schultertasten ab. Da Gideon dem Ziel automatisch folgt, liegt der Schwerpunkt weniger auf dem Treffen als vielmehr darin, im richtigen Moment per Sprung zur Seite auszuweichen oder zu schießen. Vor allem das Springen sollte der Held perfektionieren, denn er weicht nicht nur aus, sondern tut das später auch in Zeitlupe. Visiert er dann einen Gegner an, nimmt er dessen Schwachstelle

Bis zu drei Schilde kann Gideon beliebig platzieren - bei Gefechten in engen Gängen eine perfekte Deckung.
 ins Visier – die folgenden Schüsse richten entsprechend mehr Schaden an. Schade nur, dass im Nahkampf schnell die Übersicht verloren geht, denn der Held bewegt sich so abrupt, dass ihm das Auge nicht immer folgen kann.

Höhepunkte gesucht

So weit, so cool – wenn auch aus anderen Titeln bekannt. Richtig klasse wird es aber erst, wenn Gideon nach und nach jene Kräfte entdeckt, aufgrund derer die Sucher hinter ihm her sind. Mit diesen könnt ihr z.B. Gegenstände oder Gegner anheben und durch die Luft schleudern. Später geht ihr hinter Energieschilden in Deckung oder schleudert den Angreifern Druckwellen entgegen. Den meisten Spaß hatte ich mit dem erwähnten Lift: Es ist ausgesprochen lässig, einen Widersacher anzuheben und ihn nah an sich heran zu ziehen, nur um eine volle Ladung Blei in den wehrlosen Bösewicht zu entladen. Alternativ könnt ihr die Sucher auch einfach packen und über dem nächsten Lava-See wieder fallen lassen – klasse!

So ganz schöpfen die Entwickler das Potential der Superkräfte aber nicht aus, da die meisten Fähigkeiten im Grunde nicht mehr sind als bessere Schießprügel. Lediglich Lift und Energieschild sowie die alternativen Verwendungszwecke lassen durchblitzen, dass Gideon einem ausgebildeten Jedi in nichts nachsteht. Damit reißt ihr eurem Gegenüber z.B. den Schießprügel aus den Händen. Für eure Waffen gilt das Gleiche: Nutzt ihr eine Blei- bzw. Laserspritze oft genug, dürft ihr im zweiten Feuermodus Granaten werfen oder baut einen Schutzschirm auf.

So umfangreich die Möglichkeiten aber auch sind, so hakelig geht das Hantieren mitunter von der Hand: Wenn Gideon zwischen Waffe und Superkraft wechselt, geschieht dies über ein separates Menü. Will ich den zweiten Feuermodus aktivieren, muss ich vom Analogstick auf den schwarzen Button umgreifen und die linke Schultertaste ziehen. Das ist zuviel für die hektischen Kämpfe. Abgesehen davon hätte ich mir mehr Bosse gewünscht, die Gideon nur mit seinen Kräften besiegen kann. Das Abenteuer strotzt nur so vor erzählerischen Höhepunkten – spielerisch sind sie leider rar gesät.

Emotional oder nüchtern?

Manchmal ist Gideon auch auf vier Rädern unterwegs oder gleitet in einem Flieger der Sucher über die Oberfläche. Genau wie in Halo gibt die Blickrichtung hier die Marschroute vor und der Held steuert das Fahrzeug selbstständig. Erstaunlich ist, wieviel Schaden die Vehikel einstecken, bevor sie als Alteisen liegen bleiben. Feindliche Landungsboote oder ähnliches

Die Druckwelle in Aktion: Die praktische Fähigkeit stößt auch tote Materie zurück.
zerbröseln hingegen überraschend schnell. Dabei ist es egal, mit welcher Waffe Gideon ballert: Sowohl die Schießeisen als auch stationäre Flak-Geschütze richten ein ähnliches Maß der Zerstörung an. Nur in den oberen beiden Schwierigkeitsstufen sind die Unterschiede glaubwürdig.

Zählt man nüchtern die Fakten zusammen, bietet Advent Rising trotz vieler guter Einfälle wenig Neues. Aber darum geht es nicht. Die Entwickler wollten eine mitreißende Geschichte erzählen – ein Star Wars für Xbox-Spieler. Und das gelingt ihnen nahezu perfekt. Von der Zerstörung ganzer Planeten über zurückbleibende Freunde, die Flucht aus einem zerberstenden Raumschiff (der Kreuzer zerfällt noch während Gideon einen Ausweg sucht!) bis hin zum brillanten Finale: Die Story aus der Feder von Science Fiction-Autor Orson Scott Card lässt keine Möglichkeit aus, mich emotional zu fesseln - wenn auch nur in englischer Sprache. Und damit bleibt nur eine Frage offen: Was mache ich nach dem Abspann? Doch darauf gibt das Spiel selbst die überraschendste Antwort seit Fight Club…  

Fazit

OK, die Zeitlupe erinnert an Max Payne, die Kulisse und die Fahrzeuge an Halo und die Superkräfte sind aus Star Wars geklaut. Aber hat mich das gestört? Nein, denn ich hatte zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, einen lieblosen Mix zu spielen. Stattdessen greifen die Elemente perfekt ineinander und erwecken das Gefühl, tatsächlich der Held zu sein, von dem die Geschichte erzählt. Glaubwürdige Charaktere in einem bombastischen Epos? Ich muss etliche Jahre zurückdenken, um ein Spiel zu finden, das ähnliche Begeisterungsstürme bei mir ausgelöst hat wie Advent Rising. Die Story schreitet unaufhaltsam voran, Freund und Feind wechseln die Fronten, immer wieder erwartet mich ein neuer Schauplatz. Ich stehe dazu, dass mir eine dermaßen beeindruckende Präsentation wichtiger ist, solange das Spiel nicht von eklatanten Mängeln gebremst wird. Und die gibt es zum Glück nicht. Sicher: Ich hätte mir schönere Texturen, eine intuitive Steuerung, mehr Übersicht im Nahkampf und Spezialkräfte, die sich deutlicher von gewöhnlichen Waffen unterscheiden, gewünscht. Auch sollte es möglich sein, dass die Figuren lippensynchron sprechen. Aber auch ohne das bombastische Drumherum stecken in Advent Rising so viele Ideen, dass ich direkt nach dem Ende noch mal von vorne spielen musste.

Pro

zwei unabhängig nutzbare Waffen
coole Superkräfte
genialer Epilog
der Soundtrack des Jahres?
mitreißende Science Fiction-Story
abwechslungsreiche Szenarien
weitläufige Ebenen, teils riesige Innenräume

Kontra

matschige Texturen, wenig Details
etwas zu komplexe Steuerung
steife Animationen
spürbar bei Halo abgeschaut
relativ wenig Schaden durch große Kaliber
nicht immer lippensynchron
englische Sprachausgabe

Wertung

XBox

Fantastisches Science Fiction-Epos für Fans mitreißender Geschichten.

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