Far Cry: Instincts01.10.2005, Mathias Oertel
Far Cry: Instincts

Im Test:

Exzellente Grafik, klasse KI und eine phänomenale Atmosphäre: das alles zeichnete Cryteks PC-Shooter Far Cry aus. Doch angesichts des Grafik-Pomps war ich skeptisch, als Ubisoft eine Multiplattform-Konsolen-Fassung ankündigte, von der mittlerweile nur noch die Xbox-Variante übrig bleibt. Mittlerweile mit dem Untertitel "Instincts" versehen, soll Jack Carver Halo 2 den Kampf ansagen. Ob er instinktiv alles richtig macht und meine Skepsis verfliegt?

Nachholbedarf?

Ich muss zugeben: Als Far Cry seinerzeit auf Rechenknechten veröffentlicht wurde, reichte meine Hardware nur suboptimal für ein flüssiges Gameplay. Also habe ich meinen privaten Rechner im Laufe der Zeit bis heute etwas aufgerüstet, um den Kollegen beim Test nicht nur über die Schulter schauen zu müssen.

Flammendes Inferno: Der Dschungel ist nicht so idyllisch, wie er anfänglich scheint. Action und Spannung ist garantiert.

Tja, und all das nicht ahnend, dass Ubisoft im stillen Kämmerlein an einem Far Cry-Konsolenprojekt schraubt. Aber angesichts der Zuckergrafik, der ausgefeilten KI, der spielerischen Freiheit sowie einer grandiosen Atmosphäre war es schon damals schwer, nicht dem Far Cry-Virus zu verfallen. Und heute?

September 2005: Der PC ist aufgerüstet. Und wenn ich es auch nie direkt zugeben würde – in erster Linie für Far Cry. Jetzt muss ich feststellen, dass das ganze Drehen an der Hardwareschraube vollkommen für die Katz war. Warum? Die Xbox-Version ist da und lässt mich fluchen: Hätte ich doch nur Geduld gehabt!

Denn was die Entwickler da aus der Xbox herauskitzeln, begeistert ebenso wie seinerzeit auf dem PC. Dabei solltet ihr allerdings nicht den Fehler machen und auf eine Konvertierung hoffen. Denn nicht nur der Untertitel "Instincts" ist neu: Missionen, Story, Features – überall wurde geschraubt, gebastelt und hinzugefügt. Kenner der PC-Variante mögen sich bitte das Inselabenteuer auf Steroiden vorstellen – und dazu noch in einer Grafik, die für Xbox-Verhältnisse teilweise atemberaubend ist. Verdammt noch mal, ich werde zu euphorisch! Ist Far Cry Instincts der Award überhaupt noch zu nehmen?

Probleme über Probleme

Eigentlich ein Routine-Auftrag: Die Journalistin Val Cortez hat Jack Carver angeheuert, um sie zu den Jacutan-Inseln im idyllischen Mikronesien zu bringen. Doch eine verschwundene Reporterin und ein explodiertes Boot später kann man nicht mehr von Routine sprechen. Nicht nur, dass der Dschungel alleine ausreichen kann, um einen erwachsenen Mann umzubringen – die Söldner, die sich auf den Inseln nieder gelassen haben, kommen hinzu

Wenn es sein muss, wird auch beidhändig aus allen Rohren gefeuert - allerdings auf Kosten der Zielgenauigkeit!

Um zu überleben, muss sich Jack nicht nur auf seine militärische Ausbildung, sondern auch auf seine Instinkte verlassen. Mehr, als er es je zu träumen gewagt hätte…

Alles neu, alles anders, alles besser?

Dies sind die Voraussetzungen, mit denen ihr als Jack Carver ins Xbox-Abenteuer stürzt. Doch obwohl sich die Grundstory nur unwesentlich von der PC-Version unterscheidet, werden selbst Kenner von Far Cry schnell feststellen, dass es sich um ein komplett neues Spiel handelt.

Natürlich gibt es hin und wieder Schnittmengen zwischen den beiden Fassungen: So z.B. das karibische Szanerio mit seinen weitläufigen Inseln, düsteren Höhlen, mysteriösen Anlagen usw.

Und auch die reaktive KI, die sich auf eure Aktionen einstellt, ist ein Feature, das es vom PC auf die Xbox geschafft hat. Ebenso wie die Möglichkeit, in einem Haufen Fahrzeugen zu Lande, zu Wasser und in der Luft durch die Gegend zu heizen. Doch drum herum wurden Level- und Missionsdesign komplett neu aufgebaut und die Technik akkurat an die Xbox angepasst.

Dass dann noch einige neue Features auftauchen, die dem ohnehin schon spannenden und intensiven Spielerlebnis zusätzliche Würze geben und es damit sogar über den PC-Cousin hinaus katapultieren, hätte ich allerdings so nicht erwartet.

   

Nehmen wir z.B. die Fallen: Während Claymore-Minen zwar neu im Far Cry-Universum, aber nicht im Genre sind, bringen die Astfallen, die ihr an Bäumen anbringen könnt, nicht nur einen kleinen innovativen Ansatz ins Spiel, sondern sprechen banale Jagdinstinkte an: Wenn man ein kleines Waldstück mit diesen tödlichen Gerätschaften ausstattet und es dann schafft, eine kleine (oder größere) Gegnergruppe hineinzulocken, kann man sich nicht nur am Munitions sparenden Massensterben laben.

Die Jagd ist eröffnet: Mit den Astfallen könnt ihr schnell die Gegner dezimieren. Aber Vorsicht: die KI lernt immer dazu, so dass es später nicht mehr so einfach sein wird.
Urplötzlich stellt man fest, dass man nicht nur der Gejagte, sondern auch der Jäger sein kann - inklusive kleiner bis peinlicher Adrenalinkicks: Wer zum Teufel ist John Rambo? John Rambo ist für Kleinkinder. Ich bin Jack Carver – der König des Dschungels! Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als ich selber in eine meiner Fallen laufe und das Zeitliche segne. Dumm gelaufen.

Doch dank des ebenfalls vom PC übernommenen Checkpoint-Systems mit clever, aber teilweise weit voneinander entfernt angelegten Rücksetzpunkten wird der Frust auf einem erträglichen Niveau gehalten.

Und so ein Patentmittel ist das Fallenstellen auf lange Sicht auch nicht. Denn wenn ihr z.B. nur zwei oder drei Gegner aus einer größeren Gruppe isolieren könnt, laufen die zwar in eure Fallen, doch der Rest geht jetzt deutlich vorsichtiger ans Werk – ein Zeichen für die schon angesprochene gute bis sehr gute, stets auf eure Aktionen reagierende KI. 

Ur-Instinkte

Ab einem bestimmten Punkt in der Geschichte erhaltet ihr nach und nach die so genannten "Wilden Fähigkeiten", die im Englischen mit "Primal Abilities" besser kategorisiert werden.

Doch streiten wir uns nicht über die Lokalisation, die im Großen und Ganzen sehr gut gelungen ist – Fakt ist, dass mit diesen Fähigkeiten eine vollkommen neue Wendung

ins Spiel kommt.

Auch das Heranschleichen an Gegner sorgt stets für Spannung und einen Adrenalinschub!
Bereits mit dem ersten "Wilden Angriff" scheint sich das Blatt zu euren Gunsten zu wenden: Eure Nahkampfattacke wird so mächtig, dass die Gegner ihr gleich reihenweise zum Opfer fallen – zumal ihr gleichzeitig auch eure Gesundheitspunkte automatisch regeneriert. Doch wo anfänglich noch der Eindruck des übermächtigen Helden aufkommt, wird schnell klar, dass sich die Entwickler dieses Problems bewusst waren. Es gibt zahlreiche Elemente, die für ein ausgewogenes Balancing und damit für ein weiterhin spannendes und forderndes Spielerlebnis sorgen:

Denn nicht nur, dass schon bald sehr starke Gegner eure neu erworbenen Fähigkeiten auf die Probe stellen werden – auch der Adrenalinspiegel, der quasi als Treibstoff für eure Wildheit dient, muss im Auge behalten werden, da die Attacken z.B. massiv von der nicht üppigen Leiste zehren.

Mit den anderen Fähigkeiten "Wilder Sinn" (Jacks Sehvermögen wird bis zu dem Punkt verbessert, dass er die Wärme anderer Organismen wahrnehmen kann) und "Wildes Tempo" (extreme Geschwindigkeit und enorme Sprungfähigkeit) ist die Adrenalinabnahme zwar nicht so stark wie mit den Raubtierangriffen, aber dennoch spürbar.

Aufladen könnt ihr euer Adrenalin unterschiedlich: Kalorienreiche Adrenalin-Einheiten liegen z.B. wie Healthpacks in der Gegend herum. Und dass Jacks Adrenalin-Spiegel regeneriert, wenn er in Deckung geht und nichts macht, ist ebenso logisch wie zwangsläufig. Doch auch wenn er verwundet wird und Schmerzen spürt, steigt das Hormon an. Aber nichts kann das durch den Körper pumpende Adrenalin besser beschleunigen als die Jagd: Schafft ihr es, euch unbemerkt an einen Gegner heran zu schleichen und auf einen Kill vorzubereiten, schießt das Adrenalin durchs Dach.

 

Und urplötzlich verschwimmen wieder die Grenzen zwischen Spielfigur und Spieler: Denn genau so wie Jacks Adrenalinspiegel ansteigt, werdet ihr urplötzlich hellhörig, unheimlich aufmerksam und gespannt wie ein Bogen. Die Verschmelzung zwischen Spiel und Spieler ist vollkommen. Und dieses Phänomen haben bislang nur wenige Spiele (und noch weniger davon auf Konsole) eindrucksvoll schaffen können.

Wer hier die Ruhe bewahrt, kann sich auf einen neuen fahrbaren Untersatz freuen!
Technisch am Ende?

Dass die opulente Grafik der PC-Fassung nur schwer auf die Xbox zu transportieren ist, war klar. Und im Detail ist die Umgebung bei weitem nicht so ansehnlich wie das PC-Pendant. Vor allem die Felsen überzeugen eher mit grauem Texturmatsch als mit differenzierten Gesteinsmustern.

Doch im Gesamtbild ist die Grafik mit ihren Echtzeitschatten, den überzeugenden Wassertexturen, den dicht bewaldeten Dschungelgebieten, weiträumigen Höhlen und anderen unterirdischen Gebieten ein exzellentes Beispiel dafür, dass die Xbox auch kurz vor dem Start des Nachfolgers immer noch in der Lage ist, exzellente Optik auf den Bildschirm zu zaubern.

Was die Charaktermodelle und –Texturen betrifft, werden Puristen wahrscheinlich anmerken, dass die Figuren sowohl in Riddick als auch in Doom 3 besser aussahen. Stimmt. Danke, setzen! Aber trotzdem sehen die Modelle immer noch überdurchschnittlich gut aus. Und die beiden angesprochenen Referenz-Produkte verzichten auch auf großräumige Gebiete, die euch innerhalb der Mission größtmögliche Freiheit geben. Genau so wie es verschiedene spielerische Möglichkeiten gibt, die jeweilige Aufgabe zu lösen, so viele Wege gibt es auch zum Ziel. Und das alles, ohne großartiges Nachladen, da nach Beginn der Mission alles nahtlos durch den Grafikchip gestreamt wird. 

Allerdings ist der Grafikmotor, so ansehnlich er auch ist, nicht vor Rucklern gefeit. Vor allem wenn man mit einem der zahlreichen leicht zu steuernden Fahrzeuge unterwegs ist, kann es passieren, dass ihr euch schneller bewegt, als es der Engine recht ist und sie leicht in die Knie geht. Doch in keinem Moment wird dadurch der Spielspaß beeinflusst. 

Im Detail schwächer als der PC-Cousin, überzeugt die Optik insgesamt auf breiter Front und scheint die Xbox an ihre Grenze zu führen.
Mit einer stimmungsvollen, mal spannenden, mal euphorischen Musikuntermalung, brachialen Kampfgeräuschen und ebenso auf den Punkt gebrachten Waffeneffekten wird das Dschungel-Abenteuer akustisch adäquat untermalt. Und dann verwundert es auch nicht, dass die deutsche Sprachausgabe sich von ihrer besten Seite zeigt, im Fall der gegnerischen Sprachsamples aber ab und an zu Wiederholungen bietet.

Mehrspieler-Bestie

Nachdem Far Cry Instincts bereits im Einzelspieler-Erlebnis eine mehr als gute Figur macht, wird es Anhänger von Multiplayer-Duellen freuen, dass auch hier ein spannendes Erlebnis wartet. Zwar tragen die Standard-Modi in FCI mit "Chaos", "Team-Chaos" und "Klau die Probe" etwas ungewöhnliche Namen. Doch dahinter verbergen sich "nur" Deathmatch, Team Deathmatch und CTF, die allerdings mit allen Waffen und Fahrzeugen aus dem Einzelspieler-Abenteuer genau so viel Spaß machen wie in vergleichbaren Titeln. Der vielversprechendste und reizvollste Modus hingegen ist Jäger: Hier ist ein Spieler mit den Wilden Fähigkeiten ausgestattet und macht Jagd auf eine Gruppe von Söldnern, die wiederum versuchen muss, das Gebiet des Jägers zu durchqueren, um einen Alarm auszulösen, der den "Predator" tötet.

Mit 14 Karten, von denen einige jedoch nur für bis zu sechs bzw. bis zu acht Spielern vorgesehen sind, scheint die Auswahl nicht gerade üppig. Zum Ausgleich gibt es allerdings einen Editor, mit dem die FCI-Community eigene Maps erstellen kann. Geduld sollte man aber mitbringen, denn da das mächtige Tool nur über das Pad zu steuern ist, kann es ein Weilchen dauern, bis die Umgebung so erstrahlt, wie ihr euch das vorgestellt habt.   

Fazit

Skepsis wich Euphorie und die Euphorie wich gnadenloser Spannung sowie Adrenalin pur: Far Cry Instincts zeigt, wie ein Xbox-Shooter spielerisch und optisch auszusehen hat. Ubi Montreal hat hier weitaus mehr abgeliefert als eine "simple" Umsetzung: Von Grund auf neu, die technischen Grenzen der demnächst von der Xbox 360 abzulösenden Hardware scheinbar bis zum Letzten ausreizend und spielerisch bis auf kleinere Ausnahmen über jeden Zweifel erhaben, hat sich Jack Carver auch auf Konsolen den Award redlich verdient. Da zusätzlich auch Anhänger von Mehrspieler-Partien besser auf ihre Kosten kommen als in der PC-Fassung und weiterhin die Möglichkeit haben, mit dem ebenso gewöhnungsbedürftigen wie mächtigen Editor eigene Karten zu erstellen, dürfte die Online-Langelebigkeit von FCI garantiert sein. Kurzum: Wenn ihr ein Fan von First-Person-Action seid und eine Xbox im Wohnzimmer habt, sollten euch eure Instinkte ganz schnell zu Jack Carver führen. So spannend, intensiv, atmosphärisch dicht und abwechslungsreich werdet ihr auf der Xbox vielleicht nicht  mehr unterhalten werden.

Pro

stimmungsvolle Grafik
gute Steuerung
klasse reaktive KI
haufenweise Fahrzeuge
imposante Waffenauswahl
wilde Fähigkeiten als sinnvolle Gameplay-Ergänzung
stimmige Soundkulisse
gute Spielbalance
mächtiger Editor
Fallen und Minen
Garant für einen Adrenalin-Rush

Kontra

manche Umgebungstexturen im Detail schwach
hin und wieder Ruckler
Editor umständlich zu bedienen

Wertung

XBox

Fans von Ego-Action mit Xbox kommen nicht an Jack Carver vorbei!

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