Getting Up: Contents under Pressure11.03.2006, Mathias Oertel
Getting Up: Contents under Pressure

Im Test:

Wenn sich ein junger HipHop-Modeschöpfer als Spieldesigner versucht, ist erst einmal Skepsis angesagt. Doch Getting Up aus der Feder von Marc Ecko, entstanden unter tatkräftiger Mithilfe des Teams von The Collective, möchte beweisen, dass Einflüsse aus anderen künstlerischen Gebieten durchaus hilfreich sein können, um einem Spiel neue Impulse zu geben.

Self-Made-Man

Er fing an mit einer Dose Farbe und sechs T-Shirts. Mittlerweile gehört ihm ein kleines Klamotten-Imperium. Stars wie Sean "Diddy" Combs oder Spike Lee tragen seine Kreationen. Er kommt wie Bruce Willis aus New Jersey. Sein Name: Marc Ecko. Und nun macht sich der eigenwillige Designer auf, die Spielewelt zu erobern. Für das erste Projekt, das von Ecko Unltd. Games erscheint, entfernt er sich auch nicht all zu weit von seinen Wurzeln und lässt euch mit Getting Up – Contents under Pressure am unaufhaltsamen Aufstieg der Graffiti-Kultur teilhaben. Doch reichen die Vision von Marc Ecko und die kreative Unterstützung des Teams von The Collective (Buffy The Vampire Slayer, Star Wars, Ep. III), um aus dem Erstlingswerk einen Hit zu machen?

Graffitis wie diese sehen klasse aus, können aber nur an vorgegebenen Positionen platziert werden,
Anarchie und der Weg nach oben

Willkommen in der fiktiven Stadt New Radius. Eine Metropole, die mit ihrer freundlichen Atmosphäre und ihrer weltoffenen Einstellung eine Lebenskultur-Perle darstellt. Kunst, Kultur und Kommerz gehen Hand in Hand und schaffen so den Nährboden für aufstrebende Künstler? Mitnichten! Denn wie ihr in der Haut des aufstrebenden "Graffitisten" Trane feststellen müsst, sorgt die autoritäre Regierung dafür, dass die Luft zum Atmen für alle, deren Kunst außerhalb der Staatsnorm liegt, erschreckend dünn wird. Doch nicht nur das: Auch rivalisierende Gangs machen euch auf dem Weg nach oben das Leben schwer und sorgen dafür, dass eure Kampfkraft genau so gefordert wird wie eure Graffiti-Fähigkeiten.

Sprühdosen-Warrior

Mit der durchdachten Design-Mixtur aus Graffiti sprühen, Gebiets-Erforschung und Kämpfen betritt Getting Up an sich kein Neuland: Im Wesentlichen kennt man diese Elemente auch aus Rockstars Filmumsetzung The Warriors, zu denen man sich zusätzlich Sprungeinlagen vorstellen muss, die Busenwunder Lara Croft zu Ehre gereicht hätten. Aber auch wenn sich hier und da gewisse Überschneidungen ergeben –so ist z.B. die Getting Up-Kampfmechanik ähnlich intuitiv und umfangreich wie bei The Warriors- liegen die Spielerlebnisse weit auseinander.

Die Prügel-Engine ist durchdacht und bietet zahlreiche Kombo-Möglichkeiten und Specials.
Denn letztlich ging es Marc Ecko nicht darum, eine bandenlose Warriors-Variante zu entwickeln, sondern ein Spiel, das die Gefahren eines jeden Graffiti-Künstlers widerspiegelt und Respekt vor der Sprüh-Kultur schafft. Dieses Vorhaben ist größtenteils gelungen. Angefangen von der Gefahr, die von harmlosen Passanten ausgeht, die euch bei Beobachtung an das ausführende Staatsorgan CCK verpfeifen bis hin zu den Risiken, die ein Sprüher auf sich nehmen muss, um hoch gelegene Punkte zu erreichen, bekommt ihr ein deutlich überzeichnetes, aber durchaus glaubwürdig scheinendes Bild der Szene präsentiert. Was nicht zuletzt an den echten Graffiti-Legenden liegt, die einen Cameo-Auftritt im Spiel feiern und euch mit Tipps zur Seite stehen.

Gegen die Eintönigkeit

Zudem hat es The Collective geschafft, jeweils in dem Moment, in dem ein Spielmechanismus ausgereizt zu sein scheint, die Kurve zu kriegen und neuen Schwung zu bringen. Ein Beispiel: Ausgewachsene Graffitis könnt und müsst ihr in verschiedenen Größen an vorgesehenen Orten platzieren. Dazu reicht es aber nicht, sich einfach hinzustellen und den Knopf zu drücken. Stattdessen müsst ihr über sorgfältige Bewegungen des rechten Sticks das Piece selber malen. Das passiert zwar in einem Durchgang und nicht in mehreren Schichten, ist aber durchaus zeitaufwändig. Genau in dem Moment jedoch, in dem man sich denkt "jetzt reicht es aber" bekommt ihr ein Upgrade, mit dem ihr schneller sprühen könnt. 

Ein weiteres Beispiel: Anfänglich reicht es vollkommen aus, die Gegner in einem neuen Abschnitt per Prügelei auszuschalten und sich dann in aller Ruhe dem Sprühen zu widmen. Und so intensiv die gut kontrollierbaren Gefechte auch sind, hat man relativ schnell den Faden raus und macht die Kontrahenten im Handumdrehen fertig – strategische Bosskämpfe ausgenommen. Bevor allerdings Routine oder gar Langeweile aufkommt, werden die Anforderungen

Auch Schleich-Einlagen gehören zu den abwechslungsreichen Missionen.
an euch leicht modifiziert: Gegner werden so stark bzw. greifen euch in Gruppen an, die man nur in Ausnahmefällen besiegen kann. Und schon kommt ein kleines Stealth-Element ins Spiel, das zwar nicht mit Ikonen wie Sam Fisher oder Solid Snake mithalten kann, aber für dringend benötigte Abwechslung sorgt.

Derlei Variationen der Spielmechanismen und das Einfügen weiterer Elemente finden sich immer wieder, so dass keine Langeweile aufkommt.

Es ist nicht alles Gold…

Allerdings findet man neben den neuen und motivierenden Elementen auch immer wieder Versatzstücke im Spiel, die anfängliche Euphorie schnell auf ein "normales" Maß zurecht stutzen. Bedauerlicherweise sind diese nicht nur technischer Natur, sondern auch im Design zu finden.

Nehmen wir die KI der CCK-Schergen in späteren Abschnitten: Sobald sie Sichtkontakt aufnehmen, geht die Verfolgung los – das ist gut! Schafft ihr es aber, direkt vor ihren Augen über einen Zaun zu klettern und aus ihrem Sichtfeld zu verschwinden, tut das ausführende Staatsorgan so, als ob nichts passiert wäre und geht langsam, aber sicher auf seinen angestammten Platz bzw. seine Kontroll-Route zurück – das ist schlecht!

Aus Designsicht kann ich zwar verstehen, dass es faire Punkte gibt, an denen man als Spieler sicher ist. Doch so augenscheinlich grenzdebil wird sich niemand verhalten, der Anarchie unterdrücken will.  Auch einige andere Entscheidungen kann ich aus Fairnessgründen nachvollziehen. Was allerdings nicht hilft, Mängel im KI-Design zu verschleiern: Wie z.B. der Abschnitt, in dem ihr wandernden Scheinwerfern ausweichen müsst. Sobald sie euch erfassen, wird zwar wie wild gefeuert, doch wenn ihr aus dem Lichtkegel verschwindet, passiert… nichts! Kein Versuch, euch wieder ins Visier zu bekommen; nicht einmal schnellere Bewegungen der Suchleuchten. Hier werden diverse Chancen verschenkt, das Spielerlebnis noch intensiver zu gestalten.

Ein weiterer Punkt, der sauer aufstößt, betrifft die Graffitis: Ihr habt zwar im Laufe des Spieles Zugriff auf einen Haufen unterschiedlicher Sprühmuster, doch ein Tool zum Erstellen bzw. auf dem PC zum Importieren eigener Graffitis sucht man vergeblich. Und auch hier gilt: Aus Designsicht durchaus verständlich, da die Geschichte um Trane und seine Graffitis im Mittelpunkt steht. Trotzdem: Die Sprühkunst lebt von ihrer Individualität und daher ist es sehr bedauerlich, dass man keinerlei Möglichkeiten hat, seiner eigenen Kreativität freien Lauf zu lassen.

Die vertikale Gefahr ist durchweg überzeugend.
Schwankende Technik

So zwiespältig wie das Spielerlebnis zeigt sich auch die Technik im Systemvergleich. Generell weiß der Grafikstil, der sich irgendwo zwischen der GTA-Serie und EAs Def Jam-Spielen einsortiert, zu gefallen: die Animationen passen, die Umgebungen sind stimmig und das Gefühl, in schwindelnder Höhe sowohl Graffitis zu sprühen als auch gefährliche Sprungpassagen zu bewältigen, ist kaum zu beschreiben.

Wer allerdings die Wahl des Spielsystems hat, sollte bei den Konsolen bleiben. Die Xbox- und PS2-Fassungen sind zwar nicht so hoch aufgelöst, bieten aber keine Flackertexturen wie am PC und sind zudem besser zu steuern als mit der unglücklichen Maus-/Tastatur-Kombination. Wer allerdings ein Xbox 360-Pad am PC anschließt, wird mit einer Steuerung verwöhnt, die den Konsolen in nichts nachsteht und zudem nicht konfiguriert werden muss.

Auf allen Systemen gleichermaßen madig ist die deutsche Lokalisierung. Zwar hat man mit Afrob einen einigermaßen populären deutschen HipHop-Star hinter das Mikrofon zerren können, um Trane seine Stimme zu leihen, doch selbst er kann die miese Qualität der lokalisierten Texte nicht schön reden. Da greift man lieber zum O-Ton, in dem sich Stars wie Michelle Rodriguez, Talib Kweli und Sean "Diddy" Combs die Klinke in die Hand geben und eine überzeugende Vorstellung abliefern.

Letzterer ist zusammen mit Marc Ecko auch für den Soundtrack zuständig, der das herausragende Merkmal von Getting Up darstellt. Die fetten Beats der lizenzierten Songs passen zu dem Graffiti-HipHop-Lifestyle-Abenteuer wie die Faust aufs Auge. Und mit etwas mehr Kreativität wäre auch der Rest des Spieles zu einem außergewöhnlichen Erlebnis geworden. So aber bleibt Getting Up "nur" ein leicht überdurchschnittliches Action-Adventure, dessen gute Ideen nicht ausreichend ausgearbeitet wurden.   

Fazit

So ganz der erhoffte Überflieger ist Getting Up nicht geworden. Ob es möglicherweise kreativen Differenzen zwischen The Collective und Marc Ecko zuzuschreiben ist, bleibt offen. Fest steht aber, dass sich der Genremix nur als leicht überdurchschnittlich präsentieren kann. Spielerisch mit Elementen aus Tomb Raider und The Warriors durchaus ansprechend, sorgen die abwechslungsreichen Missionen immer wieder für gute, aber eben nicht herausragende Unterhaltung. Außerdem bekommt man so ganz nebenbei gehörig Respekt für die Gefahren, die echte Graffiti-Legenden auf sich genommen haben, um "nach oben" zu kommen. Doch das bei einem Spiel, das sich so sehr mit individueller Kunst auseinander setzt, keine Möglichkeit besteht, eigene Graffitis zu entwerfen, ist bedauerlich. Noch bedauerlicher ist allerdings die insgesamt schwache deutsche Sprachausgabe. Als hiesiger Sprecher von Trane gibt sich Afrob zwar hörbar Mühe, doch mit den Texten, die ihm vorgesetzt wurden, hätten selbst professionelle Synchronsprecher ihre liebe Not. Denn was immer die Übersetzer auch geritten haben mag – an der Intensität des englischen Originals sind sie zielsicher vorbei galoppiert.

Pro

extrem cooler Soundtrack
gut gelungene Pad-Steuerung
abwechslungsreiche Missionen
guter Einblick in die Graffiti-Kultur
überzeugende Prügel-Engine
nette Optik

Kontra

keine eigenen bzw. importierten Graffitis möglich
mitunter grenzdebile KI
deutsche Sprachausgabe misslungen
ab und an Grafikfehler (PC)
fitzelige Maus-/Tastatur-Steuerung (PC)
suboptimale Kamerapositionierung
Graffitis nicht überall platzierbar

Wertung

XBox

PlayStation2

PC

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