Fortschritt ist keine Option?
Bei der rund 70 Missionen dauernden Kampagne hat Rockstar natürlich inhaltlich keine Änderungen eingebracht. Das wiederum bedeutet, dass die gleichen positiven wie negativen Eindrücke des
Tests aus dem letzten Jahr weiterhin Bestand haben. Die Erzählstruktur rund um die drei ungleichen Figuren Trevor, Franklin und Michael, zwischen denen man ab einem Punkt im Spiel frei wechseln darf, ist nach wie vor einzigartig in der Spielewelt und wird mit sauberer Regie-Arbeit inszeniert. Es bleibt allerdings auch dabei, dass bei all den Anspielungen auf bekannte Filme oder Serien von Backdraft bis Lethal Weapon, von The Sopranos bis Breaking Bad noch mehr cineastische Stilmittel hätten eingesetzt werden können. Mit dem Abgelieferten liegt man jedoch nach wie vor deutlich vor Titeln wie z.B. Watch Dogs oder den Far Crys, die deutlich konservativer inszeniert werden. Auch die trotz der Wechselmöglichkeit stringente und bis auf die spannenden Raubzüge bar jegliche Konsequenzen nach sich ziehende Entscheidungen liegende Erzählstruktur bleibt unangetastet.
Das kann doch nur zum Unfall führen... Doch ungeachtet dessen sorgt die neue Ego-Ansicht, die auch im Fahrzeuginnern konsequent umgesetzt wurde, für eine neue GTA-Erfahrung.
Die sich unter dem Strich trotz unterschiedlicher Eigenschaften zu ähnlich spielbaren Protagonisten sind mir auch immer noch ein Dorn im Auge. Dass die Figuren nach dem "Learning-by-Doing"-Prinzip ihre Eigenschaftswerte z.B. hinsichtlich Fahren, Umgang mit Schusswaffen oder Ausdauer verbessern können, ist gut. Doch Rockstar hätte die Angleichung der Charaktere (und damit auch den Zwang zum Spezialisierungs-Wechsel) in der neuen Version dadurch fördern können, dass Michael z.B. den Fahren-Wert zwar kontinuierlich steigern kann, sein Maximum aber deutlich unter dem von Spezialist Franklin läge. Der wiederum wäre theoretisch auch trotz seiner Stämmigkeit in punkto Fitness dem alternden, von Exzessen gezeichneten Trevor überlegen. Doch diese subtilen Unterschiede werden weiterhin nicht gefördert.
Kein Bedarf?
Past-Gen-Rückkehrer in die Welt von Los Santos können sich auf ein paar zusätzliche Missionen in der offenen Welt freuen.
Bei einigen anderen Bereichen hat GTA 5 ohnehin kaum Verbesserungsbedarf: Das Missionsdesign ist abwechslungsreich und bietet auch abseits der vielseitigen Kampagne von Sport bis Kopfgeldjagden mehr als ausreichend Aktivitäten. Und es gibt in der Version für PS4 und Xbox One noch einiges mehr: Man kann u.a. an Stock-Car-Rennen teilnehmen, einen Mordfall lösen und es gibt neue Zufallsmissionen in der Stadt zu entdecken. Als besonderes Easter-Egg kann man halluzinogene Pflanzen finden, die bei Verzehr eine Vision auslösen, in der die Figuren sich in ein Tier verwandeln, das man fortan durch die Welt steuert - als Vogel natürlich auch fliegend, wobei man sich sogar einen Spaß daraus machen kann, den Darm des Flugtiers auf Passanten oder Fahrzeuge zu entleeren.
Die radikale Darstellung und Sprache ist ebenfalls nach wie vor ein großer Pluspunkt von GTA 5. Filme wie Martin Scorseses The Wolf on Wall Street werden u.a. wegen ihres Mutes gelobt, so offenherzig mit Schimpfworten umzugehen, während Quentin Tarantinos Meisterwerke trotz ihrer expliziten Gewalt ständig als Oscar-Kandidaten gehandelt werden. In diesen Maßstäben ist das Abenteuer in Los Santos ebenbürtig. Es ist schonungslos. Es ist radikal. Es ist mitunter an der Grenze des guten Geschmacks. Und selten sogar an der zum Erträglichen. Aber als Gesamtkunstwerk ist es stets überzeugend in seiner (Über-)Zeichnung der menschlichen Abgründe und der vorgegaukelten Glitzerwelt Kaliforniens und Hollywoods im Speziellen.