Quantum Break07.04.2016, Michael Krosta

Im Test: Das Ende ist nah...

Man stelle sich vor, die Zeit würde einfach aufhören zu existieren. Nicht nur die Zeiger der Uhr, sondern auch alles Leben, wie wir es kennen, würde erstarren. In Quantum Break (ab 9,99€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) droht dem gesamten Universum dieses fatale Schicksal nach einem gescheiterten Experiment. Entwickler Remedy setzt nach Alan Wake und Max Payne einmal mehr auf viel Action, stylische Zeitlupen und eine starke Story, will mit der einmaligen Kombination aus Shooter und einer TV-Serie aber auch neue Wege beschreiten. Geht das ungewöhnliche Konzept auf?

Wenn die Zeit ein Ei wäre...

Ein Riss in der Zeit. Das hört sich im ersten Moment halb so wild an. Einfach nach etwas, das nach irgendwelchen Zeitreise-Experimenten schon mal passieren und was man sicher wieder zusammenflicken kann. Kein Problem, oder? Ja. Zumindest theoretisch. Doch mit einem Pflaster oder einer Nähnadel ist es nicht getan. Stattdessen liegen alle Hoffnungen auf einem speziellen Gerät, das genau für einen solchen Notfall als Gegenmaßnahme entwickelt wurde. Nach den verhängnisvollen Ereignissen des Einstiegs wird es zum letzten Strohhalm, an den sich die Menschheit noch klammern kann. Doch leider weiß Protagonist Jack Joyce weder ob die Hightech-Konstruktion seines älteren Bruders überhaupt funktioniert noch wo sie sich befindet. Fest steht nur, dass der Großkonzern Monarch Solutions unter der Leitung von Jacks ehemaligem Freund Paul Serene eigene Pläne mit der Gegenmaßnahme verfolgt und diese auch mit aller Gewalt umsetzen will. Entsprechend schnell wird man mit den bewaffneten Spezialtruppen konfrontiert, die Jack und seinen wenigen Verbündeten nach dem Leben trachten.

Das Erwachen der Macht

Schauspieler Shawn Ashmore (X-Men) verkörpert Protagonist Jack Joyce und wurde für die Zwischensequenzen aufwändig nachmodelliert.
Dabei setzt man sich nicht nur mit einem gewöhnlichen Arsenal aus Pistolen, Gewehren und Schrotflinten zur Wehr, sondern kann auch auf spezielle Zeitkräfte zurückgreifen, die als Folge des Zeitexperiments langsam in Jack erwachen und später sogar noch durch das Sammeln sowie Verteilen von Chrononwellen innerhalb eines Upgrade-Systems nach eigenen Vorlieben ausgebaut werden können. Mit ihnen friert man Gegner z.B. kurzzeitig in einem begrenzten Bereich ein, weicht rasend schnell auf Knopfdruck den Kugeln aus oder generiert einen Schutzschild, an dem jede Patrone einfach abprallt. Außerdem darf man sich später mit „Flashen“ in Zeitlupe bewegen und dabei nicht nur aus heiklen Situationen fliehen, sondern auch Widersacher mit einer Nahkampf-Attacke ausschalten. Der Zeitblick scannt dagegen die Umgebung und hebt nicht nur Feindpositionen, sondern auch Waffen, interessante Objekte und Rucksäcke mit ihren unendlichen Munitionsreserven optisch hervor, so lange man sich nicht bewegt. Im Gegensatz zu den Feinden hat man zwar keine Granaten zur Hand, doch bietet die Fähigkeit Zeitexplosion zusammen mit explosiven Fässern eine gute Alternative, um mehrere Gegner auf einen Schlag zu eliminieren.

Der Zeitschild schützt vor dem Kugelhagel - nur eine von vielen Fähigkeiten, von denen man profitiert.
Mit diesen cool inszenierten Zeit-Fähigkeiten setzt man sich inhaltlich auf jeden Fall positiv von gewöhnlichen Shootern ab. Doch da man bereits früh Zugriff auf diese mächtigen Kräfte bekommt und die Abklingzeit meist verschwindend gering ausfällt, weicht das Gefühl des Besonderen schnell einer vertrauten Normalität – mit entsprechend schnellen Ermüdungserscheinungen. Man wirbelt und schleudert gefühlt im Sekundentakt den Gegnern irgendwelche Zeitmanipulationen um die Ohren und entsprechend verpufft der Wow-Effekt in einem rasenden Tempo, auch wenn es immer wieder Spaß macht, die Fähigkeiten einzusetzen. Allerdings machen sie Jack und damit auch den Spieler viel zu schnell viel zu mächtig: Selbst wenn man auf die optionalen Zielhilfen verzichtet, haben die Feinde zumindest auf den ersten beiden der drei Schwierigkeitsgrade diesem Power-Overkill kaum etwas entgegenzusetzen. Obwohl spätere Gegnertypen ebenfalls Zugriff auf die ein oder andere Zeitkraft bekommen und teilweise mit starken Körperpanzern ausgestattet werden, sind sie diesem Ansturm nur selten gewachsen. Abseits von Jacks übermächtigen Fähigkeiten liegt das auch daran, dass die Monarch-Truppen nicht gerade mit Intelligenz gesegnet wurden. Sie bewegen sich meist stur auf mich zu, sprechen sich nicht untereinander ab und nutzen kaum Deckung. Anders ausgedrückt: Sie präsentieren sich meist als hilfloses Kanonenfutter und strahlen eigentlich nur durch ihre hohe Anzahl und mehrere Wellen eine echte Gefahr aus. Hinzu kommt, dass Jack ordentlich einstecken kann und sich dank eines regenerativen Heilsystems und den meist zahlreich vorhandenen Deckungsmöglichkeiten relativ schnell erholt. Insgesamt mangelt es den Schusswechseln auf Dauer an Spannung, Dramatik und Abwechslung. Remedy inszeniert damit keine überragende, sondern lediglich solide Baller-Action, die gleichzeitig den schwächsten Teil des Spielgeschehens markiert.

Die Qual der Wahl

In anderen Bereichen macht Quantum Break eine deutlich bessere Figur – allen voran bei der durchdachten Geschichte, die dank interessanter Figuren und Handlungsbögen nicht nur die Neugier weckt, sondern deren Fortgang sich an so genannten Junction Points auch mit Entscheidungen beeinflussen lässt. Diese trifft man stets in der Rolle des Antagonisten Paul Serene und erhält in diesen kurzen Abschnitten interessante Einblicke in dessen Motive und den Konflikt innerhalb von Monarch Solutions. Dieser steht auch innerhalb der vier TV-Episoden im Mittelpunkt, die als Verbindungsstücke zwischen den fünf Akten fungieren. Bevor man sich an den Story-Gabelungen endgültig für einen der beiden Wege entscheidet, bekommt man auf Wunsch vorher noch einen kurzen Einblick, welche Konsequenzen die jeweilige Wahl mit sich bringen würde. Schon der erste Junction Point hat es in sich: Lässt man alle Zeugen eines Zwischenfalls brutal hinrichten oder fährt man lieber eine verlogene PR-Kampagne mit dem Risiko, dass die Wahrheit doch noch ans Licht kommt?

Dank spezieller Anzüge können sich einige Feinde auch im Nullzustand bewegen und attackieren.
Je nach Entscheidung trifft man z.B. auf andere Nebenfiguren im Spiel und sogar die Handlung innerhalb der TV-Serie wird mit alternativen Szenen entsprechend angepasst. Eigentlich eine coole Idee, für die ein entsprechend hoher Aufwand betrieben wurde. Hat man aber erst mehrere Varianten des Zeitstrangs ausprobiert, wird man schnell feststellen, dass sich die Unterschiede und Auswirkungen bei den Entscheidungen in Grenzen halten. Meist werden nur ein paar Dialogzeilen und Szenen ausgetauscht, die für das große Ganze genauso wenig von Bedeutung sind wie der mögliche Verlust von Nebenfiguren. Es läuft immer auf das gleiche unvermeidbare Ziel hinaus, dem man sich immer auf dem gleichen Weg nähert. Wie schön wäre es z.B. gewesen, je nach Entscheidung auch andere Schauplätze zu sehen oder alternative Endsequenzen zu erleben... Einen weiteren Schwachpunkt im Story-Bereich stellen die zahlreichen Textdokumente wie E-Mails oder Zettel dar, durch die man sich für ein komplettes Verständnis der Hintergründe wühlen sollte. Selbst wenn man nicht länger darüber nachdenkt, warum man neben den Munitions-Rucksäcken auch so einfach Zugriff auf vertrauliche Dokumente erhält: Man übertreibt es für meinen Geschmack mit diesen Text-Lawinen, die auch noch von ausgelagerten und langweilig präsentierten Audio-Logs umrahmt werden. Eine deutlich bessere und angenehmere Lösung stellen für mich die wenigen Video-Aufnahmen dar, die man sich auf Fernsehern direkt im Spiel anschauen kann. Ja: Remedy hat viel zu erzählen und viele Details sind durchaus interessant. Aber die Methode, all dies überwiegend durch das Studieren des Mailverkehrs zu vermitteln, erscheint suboptimal. Besser gelingt dies in den Zwischensequenzen oder den Dialogen zwischen Figuren im Spiel, auch wenn diese manchmal mittendrin abgebrochen werden. Die Echos aus der Vergangenheit, die man suchen und aktivieren kann, liefern ebenfalls nützliche Erkenntnisse. Nicht zu vergessen die unterhaltsamen Episoden der Serie, die im Stil einer XL-Zwischensequenz mit realen Schauspielern die Story vorantreibt. Und auch wenn die Inszenierung der Actionszenen mitunter etwas gestellt und amateurhaft wirkt, fügen sich diese kleinen TV-Auszeiten klasse in die Handlung ein. Das Konzept mit der Kombination aus Spiel und Live-Action-Serie geht überraschend gut auf!

Gefährliche Anomalien

Was hat es mit der ominösen Beth Wilder auf sich? Sie steckt zwar in der Monarch-Uniform, scheint Jack aber helfen zu wollen.
Ebenso überzeugt der Wechsel aus Schießereien, Erkundung und Geschicklichkeitseinlagen. Vor allem Letztere haben mir richtig gut gefallen, weil sie meist in die visuell beeindruckenden Zeitanomalien eingebettet werden. So hüpft und klettert man z.B. durch einen massiven Schiffs-Unfall an einer Brücke, der mitten in einer Zeitschleife feststeckt und immer wieder ruckartig in einer kurzen Sequenz abgespult wird. Hier ist man ebenfalls auf die übernatürlichen Fähigkeiten angewiesen, um sich einen sicheren Weg durch die Katastrophe zu bahnen. Leider tauchen solche Abschnitte nur selten auf und fallen zudem sehr kurz aus. Gleiches gilt für die kleinen und durchweg simplen Rätseleinlagen, bei denen man sich mit Zeitmanipulationen und Fähigkeiten in der Regel Zugang zu weiteren Arealen verschaffen muss. Will man z.B. die Tiefgarage erreichen, spult man an der entsprechend markierten Stelle zunächst die Zeit zurück und spurtet anschließend zusammen mit dem Lieferwagen durch das Tor, das man durch diese Aktion geöffnet hat. Schade, dass man sich nicht zutrauen konnte oder wollte, ein paar komplexere Zeiträtsel zu designen – das Potenzial wäre auf jeden Fall da gewesen.                              

Imposante Bilder

Während der Einstieg mit der Ankunft am Campus der Universität von Riverdale grafisch noch spröde wirkt, entfaltet sich die visuelle Pracht erst nach dem Einsetzen der Zeitanomalien. Wenn man sich durch eine Lagerhalle mit Glasdach bewegt, während der Rest der Welt plötzlich in einen Zeitraffer inklusive Tag-/ und Nachwechsel versetzt wird, dann sind das großartige Momente, die sich ins Gedächtnis brennen. Ebenso beeindruckend präsentieren sich die ruckartigen Zeitschleifen und das Eintreten des Nullzustands, in dem die Welt komplett still steht – bis auf die Widersacher, die dank spezieller Anzüge ebenfalls durch diese imposanten Standbilder huschen und sich mit Jack anlegen können. Gerade bei diesen effektreichen Auseinandersetzungen innerhalb des Nullzustands glänzt Remedy mit famosen Kulissen und Momentaufnahmen, in denen man nicht länger über die Auflösungsdebatte nachdenkt und sogar gnädig über die etwas detailarm gestalteten Figuren-Modelle, vereinzeltes Tearing oder die die mitunter hölzernen Bewegungen hinwegsieht. Die filmreife Inszenierung weiß überwiegend zu gefallen, auch wenn manche Übergänge von kleinen Ruckeleinlagen begleitet werden und die Darstellung in größer angelegten Arealen schon mal

Die Live-Action-Serie fungiert als Bindeglied zwischen den fünf Akten und dreht sich vor allem um den Konflikt innerhalb von Monarch Solutions.
ins Schwitzen kommt. Auch die Steuerung fühlt sich nicht immer griffig an und wirkt stellenweise sogar leicht schwammig – nicht nur in Gefechten beim Zielen, sondern auch in manchen Sprungpassagen lässt die Präzision hin und wieder zu wünschen übrig.

Wenig Grund zur Klage bieten der Audio-Bereich und die Lokalisierung: Abseits kleinerer Rechtschreibfehler in den Dokumenten überzeugen neben der guten Abmischung und den wuchtigen Surround-Effekten vor allem die hervorragenden Sprecher – und das nicht nur im englischen Original. Auch die deutschen Stimmen können sich dank einer hochwertigen Besetzung hören lassen und dürften am Ende des Jahres sicher auch ein Wörtchen dabei mitreden, wenn es darum geht, den Gewinner für die beste Lokalisierung 2016 zu küren.

Fazit

Quantum Break mag nicht die Wucht eines Max Payne haben. Oder die Mystery-Faszination eines Alan Wake. Denn dafür leidet die Action trotz imposanter Zeit-Fähigkeiten zu schnell an Ermüdungserscheinungen und der planlosen KI, die den übermächtigen Kräften von Jack Joyce kaum etwas entgegenzusetzen hat. Doch abseits der redundanten Gefechte, die dank Anomalien und Nullzuständen zumindest audiovisuell beeindruckend inszeniert werden, überzeugt Remedy einmal mehr in seiner Königsdisziplin, die das Studio seit jeher auszeichnet: der Story! Die dramatische Geschichte rund um das drohende Ende der Zeit motiviert trotz des übertriebenen Text-Angebots und den schwächelnden Action-Passagen immer wieder zum Weiterspielen. Das Konzept, eine Live-Action-Serie einzubetten und dort eine andere Sicht der Dinge zu beleuchten, funktioniert ebenfalls prima und erweist sich als Bereicherung für die Geschichte. Ärgerlich , dass sich die tatsächlichen Auswirkungen der Entscheidungen an den Knotenpunkten in Grenzen halten – wie beim Rätseldesign oder den zu kurzen Geschicklichkeitspassagen hätte ich diesbezüglich mehr erwartet. Doch obwohl spielerisch und technisch nicht alles rund läuft: Mit Quantum Break hat Remedy einmal mehr ein besonderes Erlebnis geschaffen, an das man sich vor allem aufgrund seiner imposanten Bilder sowie dem ungewöhnlichen Ansatz gerne erinnern wird.

Pro

Geschichte wirkt durchdacht und macht neugierig
coole Zeitkräfte (inkl. Verbesserungen)...
filmreife Inszenierung
imposante Zeitriss-Visualisierung bei Anomalien und im Nullzustand
kleine Geschicklichskeits- und Rätselpassagen
Entscheidungen beeinflussen die Handlung...
Mischung aus Spiel und TV-Serie funktioniert erstaunlich gut
sehr gute Lokalisierung und überzeugende Schauspieler
ordentlicher Umfang (ca. 8-10 Stunden)

Kontra

KI präsentiert sich meist als dummes Kanonenfutter
...die sich schnell regenerieren und früh zu mächtig sind
Steuerung stellenweise schwammig
übertrieben viele Lese-Dokumente und Logs
Dialoge werden z.T. einfach abgebrochen
...aber nicht so sehr wie erhofft
Gegnertypen ähneln sich stark (auch hinsichtlich Schwachstellen)
TV-Serie wirkt stellenweise amateurhaft inszeniert
mitunter stockende Bildrate bei Übergängen und größeren Arealen
grobe und etwas hölzern animierte Figuren (In-game)
vereinzeltes Tearing

Wertung

XboxOne

Quantum Break überzeugt vor allem hinsichtlich der Story und filmreifen Präsentation, inszeniert trotz cooler Zeitkräfte aber nur mittelmäßige Shooter-Gefechte mit schnellen Ermüdungserscheinungen.

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