Final Fantasy 1506.12.2016, Mathias Oertel
Final Fantasy 15

Im Test: Roadmovie mit Startschwierigkeiten

Final Fantasy ist fast so alt wie das Videospiel selbst. Seit NES-Zeiten sorgen die Rollenspiele für gute bis sehr gute Unterhaltung. Und nachdem mit Final Fantasy 7 auf der PSone der ganz große Durchbruch gelang, hat man mit beinahe jeder Ausgabe versucht, sich neu zu erfinden. Doch nur selten gab es so gravierende Änderungen wie in Final Fantasy 15 (ab 16,00€ bei kaufen). Ob sich das Risiko gelohnt hat, auf eine offene Welt und Echtzeitkämpfe zu setzen, klären wir im Test.

Viel Luft nach oben

Dass die einzige Erfahrung, die der japanische Zweig von Square Enix mit offenen Welten hat, aus dem Online-Rollenspiel kommt, merkt man dem ambitionierten Final Fantasy 15 sehr häufig an. Bereits im ausgedehnten Prolog, der einen mit dem Kronprinz Noctis sowie seinen Freunden, Leibwächtern und Beratern in Personalunion Gladiolus, Ignis und Prompto auf eine scheinbar harmlose Reise zu seiner Hochzeit mit dem Orakel und Kindheitsfreundin Lady Lunafreya schickt, werden die Defizite offenbar. Wo Bethesda in Fallout 4 oder Skyrim Welten kreiert, in denen man gerne seinen Instinkten folgt und schaut, was sich hinter der nächsten Markierung auf der Karte verbirgt, wird man in der an den amerikanischen Mittelwesten der Gegenwart (samt Autos und Mobiltelefonen) angelehnten und damit auf wenige Landschafts-Zonen reduzierte Welt von Eos nur durch die mitunter hervorragende Kulisse angetrieben, sich umzusehen. Wo es The Witcher 3 gelingt, eine lebendige Welt aufzubauen, in der man auch noch Stunden später von Zivilisten auf eine Aktion angesprochen werden kann, die man sich geleistet hat, muss man hier schon froh sein, wenn man überhaupt interagieren kann. Selbst weitreichende Ereignisse werden hier kaum kommentiert. Und beim Missionssystem in der offenen Welt kommt man leider niemals über die berüchtigten Hol- und Bringdienste sowie einschlägig bekannte Töte-diesen-oder-jenen-Gegner hinaus. Dass die Fundorte meist mit gefährlichen Gegnern gefüllt sind, die erst erledigt werden sollten, ist dabei ebenfalls keine Überraschung.

Die offene Welt von Eos ist schick, aber unter der Oberfläche erschreckend blutleer.
Statt interessanter Aufgaben jenseits der einträglichen Jagd tragen einem die Restaurant-Besitzer/Tippgeber nur Sammelstellen und neue Orte auf der Karte ein, an denen neue Tippgeber warten. Das Autofahren ist ebenfalls eine halbgare Kompromisslösung. Zwar kann man auch selber fahren, anstatt sich chauffieren zu lassen. Doch dann stellt man fest, dass man den auf einem Audi R8 basierenden todschicken Regalia nur marginal nach rechts und links steuern kann und einzig an Abzweigungen und Kreuzungen eine andere Richtung einschlagen kann.  Freie Bewegung mit Fahrzeugen sieht definitiv anders aus. Immerhin: Man kann jederzeit anhalten und aussteigen oder umkehren. Und man darf bereits besuchte Orte per "Schnellreise" anwählen - muss dann aber einen geringen Entschädigungsaufwand zahlen. Sprich: Entweder man ist im Zweifelsfall bis zu fünf, sechs Minuten mit dem Regalia unterwegs und kann die Landschaft oder die gelegentlich aufkeimenden Gespräche zwischen der Gruppe rund um Noctis genießen bzw. den während der Fahrt zugänglichen Shop nutzen, um sich mit vorzugsweise Heilgegenständen einzudecken oder man wird zur Schnellreise-Kasse gebeten. Und spätestens hier war der Punkt erreicht, an dem ich zu zweifeln begann, ob Square Enix mit Final Fantasy 15 wirklich den richtigen Weg eingeschlagen hatte. Doch rückblickend, nach etwas mehr als 36 Stunden, einem dramatischen Finale und nervenaufreibenden sowie Heilmittel verschlingenden Bosskämpfen, gibt es nur vergleichsweise wenige Momente, in denen ich meine Zeit als vergeudet empfinde. Allerdings auch, weil ich mich später in der offenen Welt nicht mehr als nötig aufgehalten habe – sprich: um gelegentlich einen Level zu grinden oder weil ich noch den einen oder anderen Heilgegenstand benötigte und deswegen einen Jagdauftrag angenommen habe, um ihn mir leisten zu können.

Kernkompetenz

Der Fokus wird vor allem im letzten Drittel auf eine ausgefeilte Dramaturgie und straffere Erzählung gelegt.
Daher habe ich auch die Entscheidung von Game Director Hajime Tabata begrüßt, die letzten fünf von 14 Kapiteln weitgehend linear zu gestalten, dem Spieler aber immer wieder die Möglichkeit zu geben, in die offenen Bereiche zurückzukehren. Denn ab hier spielt Square Enix seine Kernkompetenz überaus erfolgreich aus, die zuvor in der offenen Welt zu selten zum Tragen kommt. Die Hauptfiguren, die am Anfang mit ihrer angedeuteten Geschichte rund ums "Erwachsenwerden" (auch induziert durch eine interessante Version von Stand by Me vorgetragen durch Florence and the Machine) und das Übernehmen von Verantwortung kaum Sympathie bei mir entfacht haben und überfordert scheinen, bekommen spätestens hier eine dringend benötigte Tiefe, die bis zum Finale kontinuierlich ausgebaut wird. Keine Spur mehr von dem vermeintlichen „Boyband“-Charakter, der sich auf den ersten oberflächlichen Blick ergibt. Dazu gesellen sich dramatische Momente, wie man sie seit Teil 7 mit der Serie assoziiert, Schicksalsschläge und einige interessante Wendungen. Mitunter geht man dabei zwar etwas zu sehr ins Klischee, wodurch man die subtilen Momente entwertet, in denen man nur über einen Kommentar oder ein leichtes Zucken in der Mimik auf die kochenden Emotionen hingewiesen wird. Doch nicht nur in dieser Hinsicht entpuppt sich Final Fantasy 15 als würdiger Vertreter der Serie.

Das schwach konzeptionierte Autofahren ist eines der größeren Übel in der offenen Welt.
Das gilt übrigens auch für die  Entwicklung der Figuren. Während bei einem Aufstieg der Charakterstufe die Lebensenergie aller sowie die Magiekraft von Noctis automatisch steigen, kostet die Erweiterung von Fähigkeiten besondere Punkte. Diese wiederum gibt es nicht nur beim Erreichen einer neuen Stufe, sondern auch für sekundäre Missionen in Kämpfen, als Ergebnis einer bestimmten Gesprächsführung usw. - teils sogar für das ausgiebige sowie erstaunliche spaßige Reiten von Chocobos, die ich dem drögen Autofahren jederzeit bevorzuge! Allerdings sollte man sich gut überlegen, für was man diese Fähigkeitspunkte ausgibt. Es gibt neun an das Sphärenbrett aus Final Fantasy 10 erinnernde, aber nicht miteinander verknüpfte Bäume, bei denen die jeweils aufeinander aufbauenden Felder kontinuierlich mehr Punkte kosten und die aktive oder passive Fähigkeiten bzw. Wertverbesserungen bei nur einem Mitglied des Teams oder allen freischalten können. Je nachdem, welchen Spielstil man im Kampf pflegt, kann man hier Defizite stärken oder seine favorisierten Aktionen pflegen. Doch ein Tausendsassa wird man so schnell nicht.

Neue Wege

Überhaupt bleibt festzuhalten, dass die anfänglich leichten Kämpfe gegen Schluss massiv an Anforderung zunehmen. Allerdings werden sich Serienveteranen umstellen müssen. Denn nicht nur bei der offenen Welt geht Final Fantasy 15 neue Wege. Es gibt hier kein Active-Time-Battle-System, keine in Runden ablaufenden Auseinandersetzungen. Und auf Zufallskämpfe wird auch weitgehend verzichtet. Zwar kann es immer wieder passieren, dass man unvermutet auf direkt vor oder neben einem auftauchende aggressive Feinde trifft, doch da die Kämpfe in Echtzeit ablaufen, kann man entsprechend leicht fliehen, indem man Kampfhandlungen einstellt und einfach aus dem auf der Miniatur-Karte als rotes Kampfgebiet markierten Bereich herausläuft. In den meisten Fällen sind die Gegner jedoch schon aus einiger Entfernung auszumachen, wobei hier zwischen aggressiven Feinden unterschieden wird, die einen auch selbsttätig angreifen, wenn man in ihren Einzugsbereich kommt und jenen, die einem friedlich  gesinnt sind. Diese werden das Quartett nicht eigenständig attackieren, können sich aber kompetent verteidigen, wenn man dem Irrglauben erliegt, dass die Grasfresser leichte Beute sind.

Die Echtzeitkämpfe sind dynamisch und für ihre einfache Bedienung erstaunlich abwechslungsreich.
Obwohl das Echtzeit-System mit nur einem Schlagknopf auskommt, über den man leicht Kombos erreichen kann, während die Kumpanen nach bestem Wissen und Gewissen auf die Feinde mit ihren Waffen einschlagen oder sie mit Projektilen eindecken, gibt es eine erstaunliche Tiefe. Dies ist zum einen dem Blocken bzw. Ausweichen zu verdanken, das mit gutem Timing einen Konter zulässt, bzw. Noctis per Dauerdruck als blauen Schatten aus der Angriffsbahn von Standard-Attacken bringt. Schafft man es, seine Gegner auf diesem Wege zu flankieren oder hinter sie zu gelangen, richtet man Bonus-Schaden an; noch mehr, wenn Gladiolus, Ignis oder Prompto in der Nähe sind, die dann zu einem sehenswerten Gruppenangriff ansetzen und sich danach abklatschen. Allerdings kostet das Ausweichen ebenso Magiepunkte wie die Warp-Angriffe, die nur der Kronprinz setzen kann. Wenn er einen Gegner anvisiert, kann er ihn nicht nur im Auge behalten oder seinen Kumpels gezielte Angriffs-Befehle geben, sondern sich über eine große Distanz auf ihn stürzen oder verheerenden Schaden anrichten. Aufladen kann Noctis die Magiepunkte sowie Lebensenergie nicht nur über die bekannten Heiltränke, sondern auch, wenn er in Deckung geht. Da dies aber nicht ungefährlich ist, sollte man während der Auseinandersetzungen nach so genannten Warp-Punkten Ausschau halten, da der Warp nicht nur offensiv eingesetzt werden kann. Richtet man ihn auf eine Position, die nicht von einem Gegner besetzt ist, teleportiert Noctis sich dorthin. Und nimmt man einen Warp-Punkt ins Visier, der meist mit einer erhöhten Position verbunden ist, landet man dort und kann sekundenschnell die Magiepunkte regenerieren, um einen erneuten Warp-Angriff zu starten.

Waffenwahn und Magie-Granaten

Nach Einbruch der Dunkelheit und in Dungeons begegnet man vermehrt Dämonen.
Was ich allerdings vermisse, ist eine zielgerichtete KI der Mitstreiter. Abseits der aufladbaren Attacken, die die Kumpane auf das aktuell anvisierte Ziel abfeuern, hat man keine Möglichkeit, ihnen Vorgaben wie "Greife den stärksten/schwächsten Gegner" oder auch nur "Greife mein Ziel an". Auch der Befehl, sich zurückzuziehen, fehlt leider. Und das kann bei den häufig mehrstufigen und mitunter lang dauernden Bosskämpfen zum Verhängnis werden. Denn wenn man anhand des Bewegungsmusters feststellt, dass eine großflächige Attacke um den Boss herum folgt, hat man zwar genug Zeit, um Noctis außer Reichweite zu bringen. Doch das nicht mit Warp-Fähigkeit gesegnete Trio wird häufig voll erfasst. Das wiederum kann zu einem exorbitanten Verbrauch an Phönixfedern oder der Gruppenvariante „Mega-Phönix“ führen. Und das geht massiv ins Geld. Das jedoch könnte man besser in neue Waffen für seine Kumpel investieren, die allerdings später ganz schön teuer werden können. Sprich: Man sollte an diesen Punkten einen Abstecher in die offene Welt machen und ein paar der Standardaufgaben erledigen, damit man das nötige Kleingeld parat hat. Und unter diesem Aspekt erfüllt das offene Eos voll und ganz seinen Zweck – man darf sich nur keinen Illusionen hingeben, dass die Welt über Interaktion eine ähnliche Sogkraft ausübt wie bei CD Projekt Red oder Bethesda.

Nur wenn man rastet, wird die bis dahin gesammelte Erfahrung dem Konto gutgeschrieben.
Bei Magie und Beschwörungen geht Final Fantasy 15 ebenfalls einen neuen Weg, wobei vor allem Ersteres gut gelungen ist. Noctis kann an bestimmten Orten der Spielwelt Elementmagie der Kategorien Feuer, Eis und Elektrizität aufsaugen. Diese kann er verwenden, um daraus Granaten zu basteln, die auch von Gladio, Iggy und Prompto angelegt und verwendet werden können. Der Clou: Er kann nicht nur die Intensität der Granaten bestimmen, sondern auch Verbrauchsgegenstände einsetzen und so die Eigenschaften der Wurfgeschosse modifizieren. Setzt man z.B. eine Hi-Potion als Katalysator ein (mehrere wirken verstärkend), nehmen die Gegner nicht nur Schaden, sondern werden die Gruppenmitglieder bei der Detonation geheilt. Allerdings haben die Granaten auch einen Nachteil, den man immer im Hinterkopf haben sollte: Bereichsschaden, der auch vor den Freunden oder Noctis nicht Halt macht. Daher sollte man sich in engen Räumen mehrfach überlegen, ob man die Feuergranate einsetzt, ohne vorher entsprechenden Schutz aktiviert zu haben. Die Beschwörungen von Gottheiten wie Shiva, Ramuh oder Titan hingegen sind zwar ansehnlich inszeniert, lassen sich aber nur in bestimmten Situationen auslösen. Dabei kann der Ort ebenso Ausschlag gebend sein wie der Zustand von Noctis oder der Gruppe. Und das ist mir zu zufällig. Natürlich ist die Hilfe von Gottheiten nichts, was man zwingend einfordern kann. Doch es hätte eine elegantere Lösung geben können.

Du bist, was du isst

Die gibt es jedoch beim allgemeinen Kampfsystem für all diejenigen, die mitunter durchschnaufen und sich auf neue Situation einstellen wollen. Im Optionsmenü kann man unter Kampf den "Wartemodus" einschalten. Dahinter verbirgt sich eine Pause, die immer dann aktiv ist, wenn man keine Bewegung durchführt und keinen Knopf drückt. Das Geschehen wird gestoppt, während man in aller Ruhe durch die Gegner schalten, sie evaluieren und ggf. Schwachstellen finden kann, bevor man wieder in die Echtzeitaction übergeht - eine gute Idee, die einen Hauch von Runde suggeriert, obwohl das natürlich nur ein Gefühl ist. Noch besser wäre es allerdings gewesen, den Wartemodus über eine Taste aktivieren zu können, anstatt immer ins Pausemenü flüchten zu müssen. Denn nicht jeder Kampf erfordert eine derart taktische Einstellung, so dass man durchaus längere Zeiträume hat, in denen man den Kampf auf „Aktiv“ stellt, dann aber in eine Gefahrensituation kommt, in der "Warten" vielleicht die bessere Lösung ist, man dies aber nur über den Umweg Optionsmenü regulieren kann. Besser wäre es gewesen, diese Option auf die gleiche Schultertaste zu legen wie die Gebrauchsgegenstände oder die Chocobo-Pfeife. Diese nutzt man ohnehin in späteren Stufen häufiger und man hätte alle für den Kampf wichtigen Funktionen im Griff.

Essen ist ein wichtiger Bestandteil, um sich punktuell für einen kurzen Zeitraum Vorteile im Kampf zu verschaffen.
Um die visuell eindrucksvolle und mitunter traumhaft schöne Panoramen mit imposanten Licht-, Nebel- oder sonstigen Wettereffekte generierende, aber hinsichtlich Missions-Tiefe und -Vielfalt eher pragmatische offene Welt mitsamt ihren stimmungsvollen sowie abwechslungsreichen Dungeons aufzuwerten, setzt man auf zusätzliche Spielmechaniken. So sollte man z.B. der Dunkelheit möglichst entgehen und an den Zeltplätzen bzw. in Campingwagen oder Hotels Station machen. Nachts wird die Gegend von Dämonen heimgesucht, die zumindest in der ersten Spielhälfte Kleinholz aus der Gruppe machen, da sie deutlich über dem Level von Noctis & Co liegen. Doch die Übernachtungen haben noch einen anderen Vorteil: Erst wenn man schläft, wird die bis dahin gesammelte Erfahrung dem Konto gutgeschrieben und kann zu einem Levelaufstieg führen. In bestimmten (kostenplichtigen) Etablissements kann man den Erfahrungszuwachs sogar noch steigern. Beim Zelten jedoch kann Ignis als designierter Chefkoch Eigenschaftswerte fördernde Gerichte zubereiten, die aber nur temporär Wirkung zeigen. So kann man z.B. seine Angriffskraft sowie Lebenspunkte steigern, während gleichzeitig z.B. eine Feuerresistenz aufgebaut wird. Und hier kommen die mühsam in der Wildnis gesammelten Zutaten ins Spiel: Je mehr man sammelt, umso mehr Rezepte kann Ignis verarbeiten. Alternativ kann man natürlich auch für seine schwer verdienten Gil in Restaurants oder an Imbissbuden investieren, seinem Gaumen folgen und kulinarische Genüsse entdecken – vielleicht schnappt Ignis sogar das eine oder andere Rezept auf.

Verwirrung statt Aufklärung

Um alle Aspekte der Geschichte zu verstehen, sollte man auch die zu FF15 gehörenden Geschichten Kingsglaive und Brotherhood kennen.
Dass Final Fantasy 15 Teil eines größer angelegten Universums ist, wird leider allzu deutlich. Das komplette emotionale Spektrum der Geschichte z.B. erschließt sich erst, wenn man neben dem Spiel auch noch den CG-Film Kingsglaive sowie die Anime-Serie Brotherhood als Quelle hinzuzieht, da sie die Beziehung zwischen bestimmten Figuren und ihre Herkunft eingehender beleuchtet. Und während die gute deutsche Version keine lokalen Dialekte verwendet, ist die englische Variante zwar unter dem Strich noch einen Hauch professioneller ausgefallen, verwirrte mich aber durch Klischees, die in dieser Größenordnung nicht nötig gewesen wären, da die betreffenden Figuren markant genug sind. Es reicht, dass die Automechanikerin Cidney stets nur knapp bekleidet durch die Botanik stapft und ihr beim Putzen der Scheibe beinahe der Vorbau aus dem BH purzelt. Sie muss nicht auch noch mit einem dick aufgetragenen Südstaatenakzent sprechen, der in keinerlei Zusammenhang mit dem Großvater steht, bei dem sie aufgewachsen ist. Das allerdings ist immer noch besser als der Haufen an Zivilisten, die nur in begrenzten geskripteten Momenten mit einem kommunizieren und einen ansonsten weitgehend ignorieren – selbst wenn man in sie hineinläuft. Auch hier zeigt sich, dass Square Enix Nachhilfe in Sachen "Offene Welt" vertragen könnte. Wenn man es irgendwann schafft, in diesem Bereich ebenso für Aufsehen zu sorgen wie bei der linearen Erzählung, müssen sich andere Titel in dieser Richtung warm anziehen. So aber ist Eos abseits der Hauptgeschichte nicht mehr als ein sehr schick aussehender Hintergrund für belanglose Missionen.

Wer will, kann während der Fahrt mit dem Regalia alte Final-Fantasy-Soundtracks genießen und Einkäufe erledigen.
Technisch allerdings sorgt vor allem die Version für Xbox One für kleinere Sorgenfalten, wenn man nach Altissia kommt. Die aufwändig modellierte sowie von Venedig inspirierte Flussmetropole ist eine Quelle von bis dahin sowie auch danach unbekannten Bildratenproblemen. Von denen ist die PS4 an dieser Stelle zwar auch nicht ausgenommen (es sei denn, man nutzt die Pro mit der Standardauflösung), doch treten die Frame-Zuckungen auf dem Sony-System seltener auf. Da Altissia allerdings nur eine weitgehend kampffreie, aber dramaturgisch wichtige Durchgangsstation ist, hat es keinen wesentlichen Einfluss auf die Mechanik. Und so sehr man das Autofahren per se auch verbockt hat, kann man sich hier auf ein kleines stimmungsvolles Sahnehäubchen freuen: Man darf hier die Soundtracks alter Final-Fantasy-Spiele einlegen. Das mag für einige vielleicht ein Einreißen der vierten Wand zu sein, doch erst mit diesen Melodien im Ohr wird man sich bewusst, wie behutsam und vor allem erfolgreich die Kingdom-Hearts-Komponistin Yoko Shimomura versucht, bekannte Elemente mit neuen Melodien zu verweben, so dass zumindest akustisch der Schulterschluss zu den anderen Teilen hergestellt wird.

Fazit

Als offene Rollenspiel-Welt ist Eos nur zweite Wahl. Zwar durch die Bank sehr ansehnlich (die Bildraten-Probleme in Altissia ausgenommen), sind Missionsdesign sowie Figurenverhalten höchst oberflächlich – hier merkt man Square Enix die fehlende Erfahrung in diesem Bereich an. Anders sieht es bei der Story und allen damit zusammen hängenden Aufgaben sowie Charakteren aus. Zwar ist vor allem das Heldenquartett zu Beginn nicht klar genug definiert. Doch spätestens wenn das letzte Drittel auf lineare Level setzt und einen die Regie von Höhepunkt zu Höhepunkt treibt, macht dies viele Defizite der Anfangsphase wett. Die Geschichte wurde zudem gut mit dem Figurenfortschritt verknüpft, so dass man selbst die simplen Hol-und-Bring- sowie Jagd-Missionen einigermaßen motiviert angeht, um Zutaten oder Erfahrung zu sammeln. Zwar ist das Fahren des schicken Regalia vollkommen missraten, aber einige andere Neuerungen wissen zu gefallen: Das frische Echtzeit-Kampfsystem überrascht trotz einfacher Handhabung mit Tiefe, hinzu kommt die interessante Einbindung der Magie – einzig die Beschwörungen hätten angesichts der eindrucksvollen Visualisierung besser integriert werden können. Square Enix ist ein großes Risiko mit den Figuren und Mechaniken in Final Fantasy 15 eingegangen. Doch auch wenn man aufgrund der Defizite in der offenen Welt nicht begeistern kann, demonstriert man nicht nur hinsichtlich der Dramaturgie seine Kernkompetenz. Dieses Rollenspiel hat mich unterm Strich richtig gut unterhalten.

Pro

nach dem zu trockenen Einstieg gelungene Charakter-Zeichnung
Story mit zahlreichen dramatischen Höhepunkten und interessanten Bosskämpfen...
stimmungsvoller Soundtrack von Yoko Shimumura
eingängiges Echtzeit-Kampfsystem
Befehle für Sonderaktionen ans Team
Kampf lässt sich optional in Wartemodus setzen, um seine Aktionen zu planen oder Gegner zu evaluieren
ansehnliche Kulisse
stimmungsvolles Welt- und Figurendesign
saubere deutsche Lokalisierung
spaßiges Chocobo-Reiten
modifizierbare Magie-Granaten
passable Figurenentwicklung
spannende Sozio-Dynamik im Team
das lineare letzte Drittel zeigt bekannte Square-Tugenden
Essen als "Buff"-System
stimmungsvolle Dungeons

Kontra

Befehlsstrukturen für Kameraden nur rudimentär
... aber inhaltlich meist Standard-Gut-gegen-Böse
nur wenige Klima-/Landschaftszonen in der offenen Welt
Missionen in der offenen Welt biederer Fedex
und Killstandard
misslungenes Autofahren mit kostenpflichtiger Teleportfunktion
nahezu null Interaktion mit Zivilbevölkerung
Bildraten-Einbrüche in Altissia (v.a. One)
mitunter Grindnot

Wertung

XboxOne

Gelungene Neuausrichtung der Serie, die erzählerisch auf alte Square-Tugenden aufbaut, während die offene Welt nur selten mehr als einen schicken Schauplatz für die Echtzeit-Kämpfe darstellt.

PlayStation4

Gelungene Neuausrichtung der Serie, die erzählerisch auf alte Square-Tugenden aufbaut, während die offene Welt nur selten mehr als einen schicken Schauplatz für die Echtzeit-Kämpfe darstellt.

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