Dead Rising 412.12.2016, Mathias Oertel
Dead Rising 4

Im Test: Weihnachtszeit, Zombiezeit

Weihnachtszeit ist Zombiezeit. Zumindest für Frank West, den es nach zehn Jahren wieder nach Willamette verschlagen hat. Dorthin, wo die Plage begann und er in einem der ersten Spiele mit offener Welt auf der Xbox 360 gegen Psychopathen und Untote kämpfte. Seitdem haben sich sowohl Zombie-Spiele sowie offene Welten als auch die Serie weiterentwickelt. Kann das Gemetzel immer noch überzeugen? Der Test gibt die Antwort.

Neuer alter Held

Er ist ein Held wider Willen. Ein Held, den man hierzulande eigentlich gar nicht kennen dürfte. Der Fotojournalist Frank West eckte in seinem ersten Auftritt auf der Xbox 360 mit dem deutschen Jugendschutz an - die seinerzeit noch von Keiji Inafuna produzierte Zombie-Action wurde staatsanwaltschaftlich beschlagnahmt. Das war jedoch nicht der Grund, weswegen sich Blue Castle Games (mittlerweile Capcom Vancouver) für die Fortsetzung auf einen neuen Helden stürzte - den Motorrad-Champion Chuck Greene. Der konnte jedoch auch nichts an der folgenden Indizierung ändern. Genauso wenig wie der Protagonist aus Teil 3, Nick Ramos, der in der fiktiven Stadt Los Perdidos versuchte, einer Verschwörung auf die Spur zu kommen. Dass die Entwickler einen Narren am Ur-Helden gefressen hatten, wurde spätestens dann deutlich, als ein Wii-Ableger sowie eine alternative Version des zweiten Teils mit Frank West als Hauptdarsteller erschienen - natürlich sind beide hierzulande ebenfalls indiziert.

Frank West ist wieder da, wo alles begann: Willamette.

Dieses Schicksal könnte auch Dead Rising 4 (ab 5,80€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) widerfahren, das abermals auf den Reporter, seine Kamera und seine flappsigen Sprüche setzt, die sich mittlerweile grob an Bruce Campbells Figur Ash Williams aus Evil Dead orientieren. Damit wiederum hat man hinsichtlich der Grundstimmung im Vergleich zum ersten Ausflug nach Willamette eine 180-Grad-Kehrtwende vollzogen. War Teil 1 noch düster, bedrohlich und mitunter verstörend (diese Elemente wurden in allen Teilen in unterschiedlichen Portionen angewendet), ist hier davon kaum noch etwas übrig geblieben. Und das, obwohl man nahezu alles integriert hat, mit dem auch die Vorgänger motivieren konnten, angefangen von Zombiehorden, Bossen und Psychopathen, über die Möglichkeit, Waffen zu kombinieren und damit besonders potente Todbringer herzustellen, visuelle Gewalt, bis hin zum Fotografieren und dem Pflügen durch Massen an Untoten mit Fahrzeugen.

Fehlzündung

Mit dem Sprengbogen lässt sich eine Menge explosiver Schabernack treiben.

Doch der Funke will trotz des merkwürdig passenden Humors nicht immer überspringen. Ja: Teil 2 hatte mit einem neuen Helden zu kämpfen. Teil 3 mit anfänglichen technischen Macken sowie einer nochmals weiter geöffneten Spielwelt. Dennoch ist es ihnen mit nur geringen Abstrichen gelungen, an wesentlichen Kernmerkmalen der Serie festzuhalten. Und dazu gehört nun mal auch ein gehobener Schwierigkeitsgrad. Selbst heute habe ich bei Teil 1 und 2 immer noch massive Probleme mit einigen Gegnern. Davon kann in Dead Rising 4 nicht die Rede sein. Das Kampfsystem wurde einerseits massiv vereinfacht, während gleichzeitig vor allem die Kombowaffen an Durchschlagskraft und Lebensdauer gewonnen haben. Und dadurch hat man weder mit den Zombiehorden Probleme – es sei denn, man bringt sich unabsichtlich in eine Sackgasse – noch mit den menschlichen Kontrahenten und nur selten mit den Psychopathen bzw. Bossen. Sehr schade ist in dem Zusammenhang übrigens, dass die Psychos außerhalb der auf sieben Kapitel verteilten Story liegen und damit quasi als optionale Gegner verheizt werden. Andererseits sind sie auch nie so packend inszeniert wie in allen Vorgängern, so dass sie mitunter beiläufig und als Lückenfüller wirken.

Da man sowohl für Wurfgeschosse, Nahkampf- und Fernkampfwaffen genug Slots zur Verfügung hat und diese Plätze sogar noch komfortabel aufstocken darf, kommt man nur in absoluten Extremsituationen in die Gefahr, den Feinden unbewaffnet  gegenüber treten zu können. Zudem kann man mittlerweile überall Kombowaffen zusammenschrauben, insofern man die beiden erforderlichen Zutaten vorweisen kann oder eine davon auf der Straße findet. Sprich: Wege zur Werkbank, wie sie Chuck Greene mit einem äußerst knappen Inventar noch auf sich nehmen musste, gehören der Vergangenheit an. Überhaupt wirkt hier vieles zu sehr auf „Wohlgefallen“ und belangloses Zombie-Metzeln optimiert. Das Kampfsystem ist noch überschaubarer als bei Koeis Dynasty Warriors, während der Kombozähler hier beinahe ebenso schnell nach oben schießt wie bei den diversen Musou-Prüglern. Und obwohl mit den „frischen“ Zombies ein neuer Typ angreift, der rasend schnell auf einen zu läuft, sind auch diese Untoten wenig mehr als Kanonenfutter. Der sich auf vier Bereiche ausdehnende und relativ schnell füllende Entwicklungsbaum von Frank sorgt ebenfalls dafür, dass das Anforderungsprofil für einen Titel dieser Serie exorbitant niedrig angesetzt ist.

Der primitive Metzel-Spaß

Auch die agilen "Neo"-Zombies sorgen nur selten für Gefahr - sie sind viel zu einfach zu erledigen.

Und dennoch bin ich nach etwa einer Stunde an den Punkt gekommen, an den mich diese primitiv gestaltete sowie schnell durchschaute Welt gefangen nehmen konnte. Großen Anteil daran hat die klar strukturierte Geschichte, die Frank mit Hilfe seiner Kamera auch in Form von an Batman angelehnten Beweis-Sammlungen zusammenträgt: Hier muss man Beweise fotografieren, dazu mitunter die Tatorte penibel durchkämmen und von den Sichtfiltern der Kamera (unter anderem Infrarot) Gebrauch machen, um alles zu entschlüsseln. Das ist zwar weder innovativ noch besonders anspruchsvoll, aber dennoch eine willkommene Tempo-Änderung. Hangelt man sich nur an den Zielen entlang, die für den Hauptstrang nötig sind, entgehen einem zwar die Psychopathen und die einer oder andere durchaus interessante Nebenaufgabe. Allerdings fällt einem bei dieser Schleuse dann nicht auf, dass das Potenzial der offenen Welt abseits von irgendwelchen Audiologs, bestimmten Fotos, die man schießen sollte oder neuen Blaupausen für Waffen (sprich: der übliche Sammelkram) hier weitaus weniger genutzt wird als noch im Vorgänger. Neben der Story hat auch die zur Schau gestellte und mittlerweile vollkommen überhöhte Gewalt ihren Anteil daran, dass ich mich durch die knapp acht bis zehn Stunden gemetzelt habe. Obwohl es mitunter hektisch werden kann, ist es für mich beinahe wie Zen Gaming: Man kann wunderbar entspannen und den Kopf komplett abschalten, während man die Untoten nach allen Regeln der Kunst zerlegt und zinnoberrote Pixelpfützen auf der Straße zurück lässt.

Mit dem Exo-Anzug kann man verheerenden Schaden anrichten und z.B. Eis-Tornados erschaffen.

Leider ist das Fotografieren samt Selfie-Funktion, für das man Frank sogar verschiedene Gesichtsausdrücke zuweisen kann, fernab der Beweisaufnahme nur ein beiläufiges Element. Hier bleibt mindestens so viel Potenzial ungenutzt wie bei der Struktur der offenen Welt oder der Technik im Allgemeinen. Obwohl nominell der gleiche Entwickler wie beim Vorgänger verantwortlich ist und die Welt kleiner scheint, wirkt die Kulisse, als ob sie einen Schritt zurück gemacht hat. Ob man für einen Release kurz vor Weihnachten hetzen musste und deswegen keine Zeit für Optimierungen hatte, kann ich nicht beurteilen. Aber für eine Konsole, die seit drei Jahren auf dem Markt ist und auf der mittlerweile einige Spiele mit offener Welt erschienen sind, lässt Dead Rising 4 einige Wünsche offen. Ja: Die Straßen sind mitunter zum Bersten mit Untoten gefüllt, die in zig Teile zerlegt werden können. Doch es gibt für mich keinen klar ersichtlichen Grund, wieso der vor drei Jahren erschienene Vorgänger einen visuell besseren Eindruck hinterlässt. Schade: Aus einem Open-World-Pionier auf der 360, der gekonnt japanisches Bosskampf-Design mit westlichen Elemente vermengen konnte, ist mittlerweile nur noch ein Mitläufer geworden. Anstatt auch nur in irgendeinem Bereich neue Standards setzen zu können, bietet man zwar kompromiss-, aber auch gehalt-, hirn- sowie anforderungslose Action von der Stange, die auch im von der Kampagne losgelösten Mehrspieler-Modus nicht an Qualität gewinnt.

Fazit

Ach Frank, was ist nur mit dir passiert? Du warst ein Pionier der offenen Welten sowie anspruchsvollen Bosskampf-Designs auf der Xbox 360. Und mittlerweile bist du nur wenig mehr als ein Zombies zerlegender Dialog-Clown, der vorgibt, ein Foto-Journalist zu sein. Wenn die Story nicht wäre, die du bei deinem erneuten Besuch von Willamette aufdeckst, hätte ich definitiv nicht durchgehalten. Denn auch, wenn du mit deinen Waffen enormen Schaden austeilst und nicht nur rotes Pixelblut, sondern auch Körperteile in alle Richtungen fliegen – diese exzessive Gewalt ist kein Ersatz für die situative Spannung oder die verstörenden Momente, die ich mit deinen Kollegen in den Vorgängern erleben durfte und die du 2006 mit geprägt hast. Hier fehlen sowohl Anspruch als auch Herausforderung, so dass du zu häufig zu einer belanglosen Figur wirst, die erst Grimassen schneidend ein Selfie schießt und dann wie Lu Bei aus Dynasty Warriors eine Schneise durch Zombies schlägt, als ob es das Einfachste auf der Welt wäre. Das Potenzial der offenen Welt bleibt größtenteils ebenso unangetastet wie das der Fotografie – von den wie üblicher Sammelkram verteilten und außerhalb der Story agierenden Psychopathen ganz zu schweigen. Dennoch habe ich mit dir einige interessante Stunden solider Zombie-Action erlebt, die immerhin gelungen mit dem Weihnachtsthema verbunden wurde. Doch ich hatte mir mehr von unserem erneuten Zusammentreffen versprochen.

Pro

dutzende Kombowaffen und Fahrzeuge
hunderte Zombies füllen die Straßen
hektoliterweise Zinnoberpixel
passabel erzählte Story
Charakterentwicklung in vier Bereichen
Beweisaufnahme ähnlich wie in Rocksteadys Batman
ungemein passender Weihnachts-Soundtrack
ordentliche Lokalisierung

Kontra

niedriges Anforderungsprofil
Fotografieren nur wenig mehr als schmückendes Beiwerk
technisch bieder
bis auf wenige Ausnahmen schwache Bosskämpfe
Potenzial der offenen Welt wird kaum genutzt

Wertung

XboxOne

Der bisherige Tiefpunkt der Serie: Aus einer einstmals spannenden offenen Welt mit fiesen Bossen ist eine Art "Dynasty Warriors" mit Zombies geworden.

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