Im Test: Blaues Fellknäuel aus Schweden
Leopold der Goldige
Wie kann man einem frisch gebackenen Videospielhelden nur so einen gezwirbelten Schnurrbart verpassen? Dieser Leopold sieht ja aus wie Kaiser Wilhelm sein Fellknäuel! Ist das jetzt bescheuert oder gerade cool? Vielleicht wollten die Schweden um Anders Hejdenberg ja etwas vom sagenumwobenen Hüpfheil der dichten Oberlippenbehaarung
Je länger man mit dem kleinen blauen Plüschball in den gestochen scharfen Touchwelten durch idyllische Wälder, überflutete Keller und flirrende Wüsten unterwegs ist, desto unterhaltsamer wird das Abenteuer. Auch wenn die über fünf Akte erzählte Story um einen mysteriösen Dieb eher kitschig als spannend ist, wird sie zumindest charmant inkl. englischer Sprachausgabe präsentiert. Warum man all die Goldmünzen einsammeln soll, ist aber letztlich wurscht. Zunächst freut man sich einfach nur über diese toll beleuchteten, wunderschön gemalten Kulissen.
Zwei Daumen, viel Präzision
Viel wichtiger ist, dass Steuerung, Leveldesign und Kreativität eine Qualität erreichen, die ich bisher bei keinem Jump&Run auf dem iPad gefunden habe –
Das sieht nicht nur putzig aus, sondern ist auch der spielerische Clou: So gewinnt man einerseits an Höhe für normale Sprünge, kann aber andererseits bei gehaltenem Daumen wie mit einem Fallschirm auch den Sturz nach unten verlangsamen oder über weite Strecken gleiten. In der Luft lässt sich Leo trotz kleiner Tücken weiterhin gut steuern, so dass man Richtungswechsel einleiten, an Hindernissen vorbei navigieren oder schmale Nischen ansteuern kann. Schön ist, dass der Anspruch an die Hand-Auge-Koordination mit jeder Mission wächst, wenn man z.B. in rollenden Zahnrädern mit bösen Stachelfallen umher hopst; es gibt richtig knackige Abschnitte!
Wippen, schieben, drehen, tauchen
Hinzu kommen die physikalischen Auswirkungen: Neben dem Vergrößern lässt sich Leo auch bis zu einem gewissen Grad zusammen quetschen, sobald es eng wird. So kann man sich z.B. durch einen Schacht zwängen und an der richtigen Stelle aufplustern, um dort mit der gewonnenen Masse z.B. einen Schalter zu bedienen. Das sieht cool aus und macht richtig Laune, weil das Leveldesign neben rasanten Strecken, kleinen Loopings und Flugeinlagen auch viele kreative mechanische Rätselpassagen bietet – sowohl über als auch unter Wasser.
Im ersten Akt halten sich die Aufgaben noch ein wenig zurück, aber spätestens ab dem zweiten Akt sind sie klasse, wenn man auch unter Wasser mit Leo tauchen und den Auftrieb für eigene Supersprünge oder Gegenstände nutzen kann. Angesichts der physikalischen Puzzles und des märchenhaften Leveldesigns weht fast ein Hauch von Trine. Man muss Balken so verschieben, dass sich irgendwo ein Durchgang öffnet, auf elastischen Latten wippen,
Auf der Suche nach Perfektion
Und nebenbei sammelt man begleitet von einem stimmungsvollen Soundtrack all die gestohlenen Goldmünzen, um einen Level möglichst perfekt mit drei Sternen abzuschließen. Dabei geht es auch darum, wie oft man gestorben und in welcher Zeit man ins Ziel gelangt ist. Ihr wollt ohne ein Leben zu verlieren durchkommen? Viel Spaß!
Wer innerhalb der normalen Missionen eines Aktes genug Sterne sammelt, schaltet einen Bonuslevel frei – dort geht es aber meist recht uninspiriert um weitere Rekorde auf Zeit. Schade, dass man da nicht etwas Besonderes in petto hatte. Multiplayer-Modus? Gibt es nicht. In-App-Purchases? Gibt es nicht. Und beides vermisst man in diesem Spiel auch nicht.
Fazit
Normalerweise mache ich einen großen Bogen um Plattformer auf dem iPad – zu uninspiriert, zu oberflächlich, zu unpräzise. Da hüpfe ich lieber mit Rayman oder Donkey Kong im großen Stil auf der PlayStation 4 oder Wii U. Umso überraschter bin ich von diesem Fellknäuel aus Schweden: Leo’s Fortune erinnert mich mit seinen Physikrätseln sowie der zauberhaften Präsentation nicht nur an das märchenhafte Trine, es ist auch das beste Jump&Run, das ich bisher auf einem Tablet gespielt habe. Das liegt nicht in erster Linie an der exzellenten Visualisierung mit ihren gestochen scharfen Kulissen und tollen Beleuchtung, sondern vor allem an der überraschend präzisen Steuerung in Verbindung mit dem abwechslungsreichen Leveldesign. Das ist trotz der kitschigen Story keiner dieser bunten Appstore-Blender, sondern ein angenehm fordernder, unheimlich sympathischer Plattformer - hier stecken Leidenschaft und Kreativität in Art- und Spieldesign. Ihr habt kein iPad? Kein Problem: Eine Version für Android ist schon auf Google-Play-Kurs.
Pro
Kontra
Wertung
iPad
Sieht klasse aus, ist kreativ designt und fordert - das bisher beste Jump&Run für das iPad!
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