World of WarCraft10.02.2005, Marcel Kleffmann
World of WarCraft

Im Test:

Nein, World of WarCraft (ab 14,99€ bei kaufen) erfindet das Online-Rollenspielrad nicht neu und echte Innovationen sind Fehlanzeige. Aber trotzdem sticht Blizzard Entertainment die gesamte Konkurrenz aus - egal ob Everquest 2, Dark Age of Camelot oder The Saga of Ryzom. Warum die Diablo-Macher das derzeit beste MMORPG-Erlebnis bieten, klärt der Test!

Zusammen gegen die Horde!

Finster ist es in den Blackthorn-Tiefen, einem gut versteckten Höhlensystem am Zoramstrand in Ashenvale. Wir tasten uns mit einer kleinen Nachtelfen-Gruppe durch das düstere Gefilde. Skelette zu

Große Entfernungen legt ihr in der Luft z.B. mit Greifen zurück.
unseren Füßen verheißen nichts Gutes, ein unheilvolles Grollen lässt unsere Knie erzittern. Urplötzlich tauchen zwei Zwerge auf und hetzen an uns vorbei: Sie schreien im Vorbeilaufen "Flieht Ihr Narren!" und dann erblicken wir die Bedrohung: Drei mächtige Naga-Kreaturen sind ihnen auf den Fersen - sie sind groß, kräftig und haben Hunger. Wir zücken die Waffen, epische Musik spielt auf und siehe da: die fliehenden Zwerge machen kehrt, schließen sich unserem Team an und kämpfen an unserer Seite - hurra!

WarCraft + Diablo = World of WarCraft

Diese gemeinschaftlichen Erlebnisse gehören zu den Höhepunkten in der für Tausende von Abenteurern konzipierten Online-Rollenspielwelt. Man kann solo oder zusammen mit Freunden und Fremden spannende Kämpfe ausfechten, Schätze finden und düstere Orte erkunden. Kein Wunder, denn die Welt ist ungeheuer groß und die politischen Ereignisse sind von epischer Wucht: Vier Jahre sind seit den Kriegen des Strategiespiels WarCraft III vergangen. Die im Kampf gegen die brennende Legion vereinten Völker Azeroths sind nun zerstritten - das Ergebnis: Die Allianz (Mensche, Zwerge, Nachtelfen und Gnome) und die Horde (Orks, Trolle, Untote und Tauren) stürmen wieder auf die Schlachtfelder.

Beste Spielwelt aller Zeiten?

Blizzards Designer haben eine fantastische Kulisse wie aus einem Guss gezaubert, die durch ihren unverwechselbaren Comic-Charme besticht - egal ob ihr durch die staubige Wüste von Durotar lauft, die malerisch grünen Wälder in Ashenvale besucht oder euch in den verseuchten Pestländern herumtreibt. Obwohl die Engine zwar an Polygonen spart und längst nicht die detaillierte Pracht von EverQuest 2 erreicht, überzeugt das Grafik-Leistungsverhältnis: coole Shader-Effekte, eine hohe

Wildwasser-Romantik und Abenteuerlust - die Welt bezaubert.
Sichtweite, moderate Systemanforderungen. Und da der leicht überzeichnete Stil die gesamte Welt mit seinen bizarren Figuren, der mittelalterlichen Architektur und der Kleidung durchzieht, wirkt alles sehr homogen. Von der streckenweise großen Sterilität der Graswüsten in EverQuest 2 ist bei World of WarCraft nichts zu sehen.

Zum Leben erweckt wird das Szenario dank der unzähligen NPCs (Non-Player-Character). Selbst ohne menschliche Mitspieler habt ihr ständig das Gefühl, Teil einer atmenden, sich entwickelnden Welt zu sein - Händler, Monster und Auftraggeber sorgen mit ihrer Präsenz dafür. Allerdings ist Sprachausgabe Mangelware, da nur wenige Sätze vertont wurden - hier bietet EverQuest 2 mit seinen 100.000 Zeilen Tonaufnahmen das bessere Akustikerlebnis. Ein technischer Pluspunkt gegenüber dem sprachgewaltigen Konkurrenten besteht wiederum darin, dass ihr komplett ohne Ladezeiten durch die Landschaften stolziert und lediglich beim Betreten großer Dungeons eine kleine Pause abwarten müsst.               

Klassenkampf

Vom Start weg seid ihr Mitglied einer der beiden verfeindeten Allianzen, die selbstverständlich Vor- und Nachteile mit sich bringen: Z.B. der bessere Widerstand gegen Naturmagie bei den Nachtelfen oder der effektivere Schusswaffenumgang bei den Zwergen. Nach der Wahl des Volkes folgt die

In den Auktionshäusern ist immer der Bär los.
Auswahl der Klasse: Druiden, Jäger, Magier, Paladine, Priester, Schurke, Schamane, Hexenmeister oder Krieger. Diese unterscheiden sich enorm: Ein Priester ist ein "Supporter", der aus dem Hintergrund agiert und heilt. Als Frontkämpfer bzw. " Tank" ist ein Paladin wesentlich besser geeignet. Jäger attackieren bevorzugt aus der Entfernung, während ihr gezüchtetes Tier vorne mitmischt; Druiden verwandeln sich im Kampf in mächtige Biester und Schurken schleichen sich dicht an den Feind heran.

Sterbt ihr, findet ihr euch als Geist in der Schattenwelt wieder. Dort könnt ihr euch vom Geist-Heiler wieder ins Leben zurückholen lassen (Strafe: 25 Prozent Haltbarkeits-Schaden auf alle Gegenstände und zehn Minuten Wiederauferstehungskrankheit) oder ihr lauft einfach zu euren sterblichen Überresten und betretet dort erneut die Welt. Im Gegensatz zu anderen MMORPGs kommt hier weniger Frust auf.

Charakter-Erstellung

Schade ist, dass die komfortable Charaktererschaffung längst nicht so umfangreich wie bei EverQuest 2 oder City of Heroes abläuft: Es gibt vergleichsweise wenige Bausteine und Optionen, um dem eigenen Helden ein wirklich individuelles Aussehen zu verpassen. Insbesondere bei der Gestaltung des Gesichts zieht World of WarCraft klar den Kürzeren, so dass man schnell ähnlichen Visagen begegnet. Ärgerlich auch, dass die Kleidung nur aus einer Textur besteht - selbst in Dark Age of Camelot bestand die Ausrüstung aus Polygonen mit wehenden Umhängen.

Dafür ist das Interface enorm übersichtlich und intuitiv zu bedienen: Wer 34 Mini-Fenster wie bei The Saga of Ryzom befürchtet, darf aufatmen. Mit einer Menüleiste am unteren Bildschirmrand habt ihr

Leicht überzeichnet und dennoch wunderschön: die Hafen-Stadt Menethil.
schnellen Zugang zu allen weiteren rundum logisch aufgebauten Unterpunkten wie Charakter, Zaubersprüche, Quests, Hilfe oder Inventar. Des Weiteren könnt ihr dort eure Fähigkeiten aus dem Zauber- bzw.- Talentbuch reinziehen und so blitzschnell ausführen - ideal für Einsteiger, die sich sofort im Tutorial austoben dürfen.

Kinderleichter Kampf

Anhand simpler Hol- und Bringdienste wird euch das einfache, aber rundum gelungene Kampfsystem vorgestellt: Klickt ihr einen Gegner an, vollführt ihr automatisch einen Standard-Angriff mit der Nahkampf- oder Fernkampfwaffe. Währenddessen könnt ihr weitere Spezialaktionen oder Fähigkeiten (Zaubersprüche, Auren oder Kampfskills) vollführen. Leider gibt es keine Kampf-Kombos à la EverQuest 2: Hier können Abenteurer eine Kette von Aktionen einleiten, die Zusatzschaden oder Schutzzauber bewirken. Neue Fähigkeiten erlernt ihr für Geld bei Trainern in den Städten - vorausgesetzt, ihr habt ein bestimmtes Level erreicht. Erfahrung gewinnt ihr nicht nur im Kampf oder für das Entdecken neuer Landschaften, sondern auch für das Lösen von Quests.

   

Aufgaben für alle

Aufgaben gibt es in Azeroth genug: Dabei fällt positiv auf, dass jede Mission mit einer kleinen, manchmal sogar komplexeren Hintergrundgeschichte versehen wurde - egal, ob es jetzt um Eliminierungen oder Botengänge geht. Obwohl noch Klassen- und Rassen-spezifische Einsätze

Ein gefallener Nachtelf sucht als Irrwisch-Geist in der Schattenwelt nach seinem Körper.
hinzukommen, bleibt hin und wieder ein fader Beigeschmack zurück, denn viel Abwechslung gibt es bei den Zielen nicht. Seltene Sonderwünsche oder Missionen in der Schattenwelt schwächen diesen Kritikpunkt jedoch wieder ab.

Dazu tragen auch die fortlaufenden Missionen bei: Habt ihr in der Nachtelfen-Stadt Auberdine die Aufgabe "Der geistesabwesende Ausgrabungsleiter" angenommen, müsst ihr drei weitere Quests in Darkshore lösen. Danach geht der Handlungsstrang auf dem anderen Kontinent weiter, wo er zwei Missionen später abgeschlossen wird. Aber wie es der Zufall will, gibt es dort wieder zahllose neue Aufgaben zu erledigen. Nicht nur der Drang nach Erfahrung schürt das Motivationsfeuer, auch Belohnungen sowie der enorm süchtig machende Sammel- und Verbesserungstrieb tragen -wie bei fast jedem anderen MMORPG- dazu bei.

Team oder nicht Team?

Euch bleibt es überlassen, ob ihr die Quests alleine lösen möchtet oder in einer Party. Im Team werden Erfahrungspunkte, Geld und Gegenstände aufgeteilt und es ist natürlich viel einfacher und sicherer, als wenn man ein ganzes Dungeon auf eigene Faust leer räumen muss - dies geht auch, dauert aber länger. Außerdem macht es streckenweise Riesenspaß, in einer guten Gruppe aus Nahkämpfern, Heilern, Fernschützen und Magiern zu sein. Speziell auf solche gut strukturierte Gruppen zugeschnittene Quests gibt es auch: die so genannten "Elite-Missionen", die man alleine nie bewältigen könnte.

PvP (Player vs. Player) ist zwar noch immer eine Großbaustelle, aber sofern man diese Option aktiviert hat, können Spieler sich gegenseitig attackieren. Wenn ihr in der freien Landschaft z.B. einen Untoten seht und ihr zufällig ein Mensch seid, dann ist die Jagd eröffnet. Schade ist nur, dass solche Duelle momentan keinen Bonus bringen - aber daran sowie an speziellen PvP-Schlachtfelden wird laut Blizzard bereits gearbeitet.

Sammeln, Sammeln, Sammeln

Das Itemsystem erinnert stark an Diablo 2: Es gibt viele Gegenstände, die selten und es wird sogar einige geben, die pro Server einmalig sind. Alle Waffen und Rüstungen haben einen Haltbarkeitswert,

Monster ohne Ende: Wer Erfahrungshunger hat, wird schnell satt!
der im Laufe der Schlachten abnimmt. Bei einem Schmied könnt ihr die Gegenstände reparieren lassen. Anstatt einer persönlichen Kiste zum Verstauen gibt es jetzt Banken, auf die ihr Items "überweisen" könnt. Das eigene Inventar ist trotz des Sack-Systems chronisch zu klein - dazu tragen besonders die herstellbaren Dinge bei.

Jeder Charakter kann zwei Berufe erlernen und diese ausüben: Kräuterkunde, Angeln, Kürschnerei, Bergbau, Alchemie, Schmiedekunst, Kochkunst, Ingenieurskunst, Gerben, Schneidern, Verzaubern und Heilkunst stehen zur Auswahl. Sämtliche Berufe werden bei Trainern erlernt und können, wie die Charakterstufe, ständig verbessert werden. Praktisch ist z.B. eine Kombination aus "Kürschnerei" (Leder von toten Tieren besorgen) und "Gerben" (Lederrüstungen herstellen). Das Crafting-System ist jedoch längst nicht so ausgefeilt und umfangreich wie bei EverQuest 2.

Talente

Darüber hinaus verwöhnt World of WarCraft mit einem Skill-Tree-System, genannt "Talente". Hier

Das Ende des Beta-Tests läutete die "Brennende Legion" ein.
könnt ihr euren Charakter weiter spezialisieren - erneut lässt Diablo 2 grüßen. Ein Priester kann so z.B. die Heilzauber verbessern, während ein Schurke effektivere Nahkampftaktiken erlernt. Ab Level 10 sind diese Talente freigeschaltet und pro Level-Up gibt es dann einen Talentpunkt, den ihr in drei Oberdisziplinen investieren könnt. Auch hier könnt ihr pro Charakter nur einen Bruchteil der Talente ausprobieren, da es einfach zu viele gibt und ihr euch spezialisieren müsst, sonst würdest ihr zwar von allem ein bisschen, aber nichts richtig gut können. Hinzu kommen spezifische Raffinessen: Ein Jäger kann z.B. Wildtiere zähmen, die ihm im Kampf gehorchen, an Erfahrung gewinnen und euch auf Schritt und Tritt folgen, sofern ihr den Begleiter ausreichend füttert.

    

Fazit

Star Wars Galaxies mag ein kurzlebiges Jedi-Paradies sein, The Saga of Ryzom eine bizarre Welt voller kreativer Ideen und EverQuest 2 gutes Altbewährtes in Bombastkulisse - aber keines dieser Spiele kann World of WarCraft das Wasser reichen. Zwar kocht Blizzard auch nur mit Wasser, aber sie haben etwas auf die Monitore gezaubert, das die MMORPG-Welt verändern wird. Denn auch Spieler, die sonst einen weiten Bogen um Online-Rollenspiele gemacht haben, werden hier ein neues Zuhause finden. Große Innovationen sucht ihr zwar vergebens, aber die Mischung aus Einfachheit, Komfort und süchtig machenden Diablo-Tugenden sticht die Konkurrenz aus: das Interface ist brillant, das Charaktersystem komplex, die Welt ist homogen und einfach wunderschön. Für genügend Langzeitmotivation sorgen Berufe und Talente sowie zahllose Items und natürlich Quests. Diese laufen zwar oft recht ähnlich ab, aber dafür werden sie mit interessanten Geschichten angereichert, die immer mehr über die Welt erzählen. Auch am actionreichen Kampfsystem gibt`s nichts zu meckern, obwohl Paladine und Schamane etwas zu stark sind und besonders der Bereich "PvP" noch eine Baustelle darstellt. Langeweile kommt in World of WarCraft definitiv nicht auf. Zum Jammern ist jedoch, dass ein Tag nur 24 Stunden Zeit für die Abenteuer in Azeroth bietet&



World of Warcraft ist zweifellos ein in sich stimmiges Online-Rollenspiel, das vor allem Einsteigern den Weg in die Welt der MMORPGs öffnet. Knuddelbunte Optik, ein leicht zugängliches Kampfsystem, ein durchdachtes Quest- und Craftingformat sowie minimale Hardware-Anforderungen: alles passt wunderbar zusammen und riecht schon fast nach dem Online-Spiel des Jahres. Doch bei all dem Jubel sollte man nicht vergessen, dass sich hinter der Hochglanzfassade und den spielerischen Stärken altbekannte Elemente verbergen. Nichts ist neu, aber alles wurde auf einem extrem hohen Niveau vereint. Den Erfolg, den WoW haben wird, wird das nicht schmälern. Ich ziehe aber lieber durch die Hardware-intensive Welt von EQ 2, lasse mich auf spannend inszenierte PvP-Kämpfe in Dark Age of Camelot ein oder genieße unkomplizierte Action in der Stadt der Helden.

Pro

stilvolle, lebendige Spielwelt
riesige Landschaften
kinderleichte Bedienung
intuitives Menüs, gutes Tutorial
aufeinander abgestimmte Charakter-Klassen
charakterspezifische Spezial-Fähigkeiten
großes Talentsystem mit Spezialisierungen
gute Hintergrundgeschichten
Quests werden in Story`s gehüllt
mehrstufiges Quest-System voller Überraschungen
einfaches Handelssystem (auch mit Auktionen)
fast keine Ladezeiten, stabile Server
auch solo gut spielbar
wahlweise auf böser oder guter Seite spielbar
detailreiche Grafik im Comic-Stil
stimmiger Soundtrack
deutscher Support, gute Bildschirmtexte

Kontra

Quest-Ziele wiederholen sich oft
sehr wenig Sprachausgabe
Paladine und Schamanen sind zu stark
keine Kampf-Kombos à la EverQuest 2
Aufgaben-Beschreibungen manchmal ungenau
Charaktererstellung bietet zu wenig Variationen

Wertung

PC

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