Disgaea 3: Absence of Justice18.02.2009, Mathias Oertel
Disgaea 3: Absence of Justice

Im Test:

Taktik-Rollenspiele sind eine Konsolendomäne. Und wie kaum ein anderer Publisher/Entwickler hat sich Nippon Ichi diesem Genre verschrieben. Der große Durchbruch gelang den Japanern international schließlich 2004 mit Disgaea: Hour of Darkness - das allerdings schon damals technisch veraltet war. Und obwohl mit Titeln wie Phantom Brave oder Makai Kingdom interessante Artgenossen folgten, ist und bleibt die Disgaea-Serie das Zugpferd für Nippon Ichi. Auf der PlayStation 3 ist der dritte Teil der Vorzeige-Rundenstrategie endlich in Europa erhältlich. Und er wirft erneut die Frage auf, was wichtiger ist: Inhaltliche oder visuelle Qualität?

Zeitfresser par excellence

Ich möchte gar nicht darüber nachdenken, wie viele Stunden ich in meiner Zockervita bereits mit Taktik-Rollenspielen aus dem Hause Nippon Ichi zugebracht habe - auch wenn ich erst auf der PS2 mit Disgaea auf die Japaner aufmerksam wurde. La Pucelle Tactics, Disgaea 2, Phantom Brave, Makai Kingdom, Disgaea PSP: Wenn ich alles zusammen rechne, kommen Hunderte und Aberhunderte von Stunden zusammen...

Video: Der Trailer zeigt nicht nur, was alles an inhaltlichen Möglichkeiten in Disgaea 3 steckt, sondern gibt auch in Ansätzen Aufschluss über die Visualisierung, die weit von dem entfernt ist, was man gewöhnlich mit HD assoziiert.
Stunden, in denen mir egal war, dass die visuelle Qualität dieser Spiele auch problemlos auf der guten alten PSone oder gar 16-Bit-Systemen wie SNES oder Mega Drive möglich gewesen. Denn im Gegenzug wurde ich mit einem taktischen Tiefgang und Anspruch belohnt.

Der Zahn der Zeit

Ob es jetzt daran liegt, dass (nicht nur) ich älter werde und meine Erwartungshaltung sich nach und nach verändert, kann ich nicht genau sagen. Aber nachdem ich Disgaea 3 (D3) in die PS3 eingelegt hatte und obwohl ich mich nach Studium von Videos sowie Screenshots bereits gedanklich auf deutliche visuelle Abstriche gegenüber dem eingestellt habe, was man normalerweise mit einer HD-Konsole assoziiert, schoss mir ein Gedanke wieder und wieder durch den Kopf: "Autsch!" Gelegentlich gesellte sich noch ein "Das kann nicht ernst gemeint sein!" hinzu.

Denn was Nippon Ichi hier visuell auf HD-Bildschirme bringt, ist ein Affront wider moderne Technologie und ist mit geringen Abstrichen auch problemlos auf dem DS sowie anderen älteren Videospielsystemen möglich.

Auf der einen Seite finde ich es gut, dass sich die Macher konsequent über mögliche technologische Erwartungen hinweg setzen und an ihrem bewährten Stil festhalten. Andererseits jedoch ist es auch für Nippon Ichi an der Zeit, den Weg der "charmanten, aber veralteten" Kulisse zu verlassen und sich der neuen Technik zu öffnen.

Selbst Spielkonzepte wie Civilization wurden behutsam modernisiert und angepasst. Doch davon ist hier nichts zu spüren. Okay: Die Texturen der polygonalen Umgebung scheinen jetzt deutlich höher aufgelöst zu sein als in den Disgaeas auf PS2 oder PSP und die weiteste der drei Iso-Zoomstufen zeigt sich als sehr übersichtlich. Doch im Gegensatz dazu stehen die Sprites, die beinahe wie von Kindern gemalte Figuren in einem Gemälde von Da Vinci wirken. Grob aufgelöst und mit Minimalanimationen versehen, muss ich wirklich drei Mal schauen, ob da wirklich die PS3 läuft. Wäre es wirklich so schwer gewesen, die Charaktere als Polygonfiguren zu bauen? Dass ein Strategiespiel einer Hardwaregeneration visuell hinterher hinkt, ist per se nicht verwerflich. Doch wenn es wie im Fall Disgaea 3 zwei oder drei Generation zurück bleibt, ist dies bedenklich. Dabei geht es mir nicht einmal um die sporadischen Clipping-Fehler, die mir seinerzeit bei Nippon Ichi-Titeln auf der PS2 nicht so ins Auge gesprungen sind und die bei einer Minimalkulisse wie hier vermeidbar sein sollten.

Höhere Auflösungen hin oder her - Das taktische Schwergewicht hätte es mit nur geringen Abstrichen auch auf dem DS geben können...
Akustisch bleibt man sich ebenfalls treu. Das geht in diesem Falle allerdings so weit, dass auch im Jahre 2009 und in einem Zeitalter der Globalisierung neben japanischer Sprache nur Englisch aus den Lautsprechern ertönt und auf dem Bildschirm zu lesen ist. Die Sprecher sind zwar gut gewählt, erreichen aber insgesamt nicht die Qualität der Vorgänger. Vor allem der Mao-Darsteller ist für mich auf Dauer eher Nervfaktor als ernst zu nehmender (Comedy-)Charakter.

Story als Nebenprodukt

Angesichts der technischen Rückständigkeit hilft es auch nicht, dass Nippon Ichi inhaltlich eine Breitseite abfeuert, die es in sich hat. Taktische Tiefe, Umfang, Langzeit-Motivation sind beinahe unerreicht und zeigen eindrucksvoll auf, wieso die Serie Kultstatus erreicht hat. Klar: Das auf kindisch-niedlich getrimmte Design steht im Gegensatz zur eigentlich ernsten Geschichte, die sich allerdings wiederum immer wieder selbst zu karikieren versteht und so ganz nebenbei mit Seitenhieben auf Pop-Kultur und Videospiel-Klischees um sich wirft. So oder ähnlich würde vermutlich eine Anime-Folge von Monty Pythons Flying Circus aussehen.

Für die taktischen Geplänkel ist die Story auch nicht unbedingt interessant, zumal sie nur eine Variation dessen ist, was auch die Protagonisten aus Disgaea 1 und 2 erlebt haben. Wer übrigens auf ein Wiedersehen mit Laharl und Edna hofft, wird enttäuscht. Mit Mao und Raspberyl sowie Almaz von Almandine Adamant, der quasi in die Rolle des Captain Gordon aus Teil 1 schlüpft, begegnen einem zwar dieselben Archetypen, doch die Zeichnung der Figuren ist nicht mehr ganz so klar, wie man es von der Serie gewohnt ist. Was auch daran liegen könnte, dass D3 sich diesmal eine Dämonenuniversität als Hauptschauplatz ausgesucht hat. Dadurch weht zwar auch ein Hauch "Animal House" durch die Pennäler-Bänke, doch das Potenzial wird nicht ausgenutzt. Und dass man sich abermals auf die Jagd nach der Macht des unterweltlichen Overlords machen muss, schmeckt mittlerweile schal.

      

Taktisches Platin

Hat man sich damit abgefunden, dass es keine visuelle Qualität gibt und darüber hinaus kein Problem mit der abgefahrenen Story sowie dem nicht minder gewöhnungsbedürftigen Humor, kann das taktische Vergnügen losgehen. Und das hat es wahrlich in sich.

Dabei hält man zwar auch in dieser Hinsicht an dem fest, was man in den Vorgängern gemacht hat, baut dies aber noch gewaltig aus. Wer glaubt, dass es einfach reicht, seine Figuren auf dem isometrischen Schlachtfeld zu platzieren und nacheinander mit Standardangriffen und ohne Ausnutzung der komplexeren Mechanismen zu agieren, wird zwar auch Erfolge feiern können, aber irgendwann auf Granit beißen. Spätestens hier sei geraten, sich in die verschiedenen sorgsam ineinander greifenden Elemente einzuarbeiten, die einem nicht nur Dutzende und Aberdutzende von Stunden rauben werden, sondern schließlich bei Erfolg mit einer enormen Glückseligkeit erfüllt vor dem Fernseher zurücklassen.

Sobald die farbigen Felder und die Geoblocks ins Spiel kommen, öffnet sich eine neue taktische Ebene - und wahrlich nicht die letzte...
Die Liste ist so groß, dass ich wie bei den alten Disgaeas Schwierigkeiten habe, einen Anfang zu finden. Das Offensichtlichste: Jeder Charakter kann mit entsprechenden Monster-Tötungen im Level aufsteigen, was zwangsläufig einen Anstieg der Statistiken und ab und an auch neue Fähigkeiten mit sich bringt. Bei den Fähigkeiten jedoch verlässt sich D3 auf ein duales System: Zum einen können sich die einzelnen Zauber und Sonderangriffe durch häufigen Einsatz verbessern, was z.B. bei den Magiern zu einem größeren Einzugsgebiet und einem größeren Schadensareal äußert - Learning by Doing sozusagen. Als neues Element kann man in den "Verteilerwelten", in denen auch die Shops und die Krankenschwester zur Heilung bzw. Wiederbelebung zu finden sind, Fähigkeiten und deren Upgrades kaufen. Als Währung wird in diesem Falle Mana eingesetzt, das nur derjenige bekommt, der auf dem Schlachtfeld den finalen Streich beim Gegner setzt. Sprich: Es ist noch wichtiger, darauf zu achten, wer wann welchen Angriff startet, um ggf. die Manaverteilung zu optimieren.

Dabei ist zusätzlich die Position eurer und der gegnerischen Figuren zu beachten. Dass Attacken von der Seite und vor allem von hinten sowie aus einer erhöhten Position mehr Schaden versprechen, ist fast selbsterklärend. Je nachdem, mit wem ihr zusammensteht, kann eine Kombo entstehen, die die Lebensenergie der Gegner schnell gegen Null bringt. Die Kombochance kann zusätzlich beeinflusst werden, wenn ihr im Klassenzimmer die Sitzordnung vernünftig gestaltet. Denn wer in der Klasse in unmittelbarer Nähe zueinander sitzt, hat auch größere Chancen, im Kampf eine der unter Umständen alles entscheidenden Kombos abrufen zu können.

Dass es nun auch zusätzlich möglich ist, zeitlich begrenzt Monster aus der eigenen Party mit den Hauptcharakteren quasi zu verschmelzen und so Zugriff auf ganz neue Fähigkeiten zu haben, vergrößert die taktische Komponente nochmals erheblich.

Trotz aller Einsteigerfreundlichkeit und obgleich Nippon Ichi sich bemüht, das Konzept auch Anfängern schmackhaft zu machen, dürften aber nur Hardcore-Fans alle sich bietenden Möglichkeiten nutzen und ausschöpfen können.

Zu viel, zu verzweigt und zu umfangreich sind die Möglichkeiten, die D3 bietet und die selbst hier nur vergleichsweise umfangreich angekratzt werden können.

Von der Möglichkeit, als Kunde bei den Shops durch Kauf und Verkauf im Level aufzusteigen und so Zugriff auf bessere Ware zu bekommen, will ich auch gar nicht erst anfangen...

Der Weg ist das Ziel

Um eure Figuren und vor allem deren ausgerüstete Gegenstände weiter zu verbessern, empfiehlt sich auch ein Abstecher in die beliebte "Item-World". Hier kann man nicht nur gezielt über Dutzende von zufällig generierten Levels den Gegenstand in seinen Eigenschaften verbessern, sondern auch ggf. die ihm innewohnenden Meister gefügig machen. Bedingt durch die Möglichkeit, diese Meister zwischen Waffen, Rüstungen etc. hin und her schieben zu können, eröffnen sich enorme Perspektiven hinsichtlich Charakter-Optimierung und Langzeitmotivation.

Spartanisch, praktisch, charmant, aber mittlerweile veraltet: Auch die Zwischensequenzen beschränken sich auf ein Minimum an visueller Pracht.
Und es geht noch weiter: In vielen der Kampfarenen und vor allem auch in der Gegenstandwelt warten farbige Felder auf euch. Und die machen das Bild nicht nur schön bunt, sondern haben auch einen spielerischen Wert, der sich allerdings sowohl positiv als auch negativ auswirken kann. So könnt ihr auf Felder treffen, die euch unbesiegbar machen oder euch mit einem gewaltigen Erfahrungsanstieg segnen. Doch es gibt auch Felder, auf denen die Gegner schier unbesiegbar werden oder die euch verwundbarer machen. Kenner wissen, worum es sich handelt: Die so genannten Geo-Blöcke.

Häufig hat man nun die Möglichkeit, die so genannten Geo-Symbole, die für die verschiedenen Wirkungen zuständig sind, zu zerstören. Dabei ist folgendes zu beachten: Zerstört ihr z.B. ein blaues Symbol auf rotem Grund, werden alle roten Felder nun blau gefärbt. Sollten auf den Rotsteinen noch weitere Geo-Symbole liegen, wird eine Kettenreaktion in Gang gesetzt. Je mehr Ketten ihr aufbauen könnt (und eventuell sogar das Spielfeld leeren), desto größer wird der Kombo-Zähler, der sich auch rapide füllt, wenn ihr die Feinde mit spektakulären Spezialbewungen oder Team-Angriffen erledigt.

Seit Beginn der Serie ist ein weiterer grundlegender Disgaea-Mechanismus die Möglichkeit, in einer spielinternen Versammlung über Änderungen und Fortschritte abstimmen zu lassen. Dazu gehört teurere und damit bessere Ausrüstung im Shop, zusätzliche Gegenstände und nicht zuletzt die Erlaubnis, neue Charaktere aus dem immer größer werdenden Pool in eure Gruppe aufzunehmen.

In den alten Disgaeas war dies die "Dark Assembly", in der Dämonenuni tagt der Klassenrat und entscheidet, ob der Antrag bewilligt wird. Und natürlich gibt es nach wie vor die Möglichkeit, die potenziellen Nein-Sager durch Geschenke auf eure Seite zu ziehen. Optionen über Optionen, die aus dem Vorhaben "nur ein Stündchen" zu spielen, ganz schnell eine weitere Nacht machen, in der man sich nicht von Disgaea 3 losreißen kann - ungeachtet der visuellen Mankos...

  

Fazit

Bislang fiel mir das Faust'sche Zitat "Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust" im Zusammenhang mit der Disgaea-Serie leicht. Doch in diesem Jahr ist die Diskrepanz zwischen inhaltlichen Vorzügen und visueller Steinzeit so groß wie nie zuvor und letztlich trotz allen Charmes dafür verantwortlich, den sicher geglaubten Award zu verlieren. Auf der einen Seite genieße ich das wohl umfangreichste rundentaktische Strategie-Erlebnis mit Rollenspieleinschlag, das derzeit weit und breit zu haben ist, das die besten Elemente der Vorgänger sogar konsequent weiter entwickelt und auf eine neue Stufe hebt. Die verschiedenen Ebenen greifen nach wie mit nahezu unheimlicher Zielsicherheit ineinander, die Gefechte sind fordernd und der Charakteraufstieg ist enorm facettenreich. Und im Vergleich zu den bisherigen Ablegern der Serie gibt sich Disgaea 3 sogar Mühe, Anfänger mit ins Boot zu holen und nicht gleich zu verschrecken - was aber mit dem gewählten Erzähl- und Grafikstil nur leidlich gelingt. Profis werden sich nach wie vor an den zusätzlichen Ebenen wie z.B. der Gegenstands-Welt, der perfekten Kombo für die Geoblöcke sowie der Zusammenstellung der besten Gruppe die Zähne ausbeißen, während sich Einsteiger ungeachtet aller Finessen auf die Basiselemente konzentrieren können und damit sogar relativ lang erfolgreich sind. Aber abseits des immensen Tiefgangs und des Hunderte Stunden langen Spaßes kann ich die technische Seite nicht mehr geflissentlich übersehen und beiseite wischen. Wir schreiben das Jahr 2009. Und auch wenn ich eigentlich ein Verfechter des Grundsatzes "Innere Werte sind bei einem Spiel mehr Wert als das Äußere" bin, ist die Visualiserung dieses wahr gewordenen Taktiktraums ein Schlag ins Gesicht. Zu sagen, die PS3 sei mit der farbenfrohen, aber simplen Kulisse, den Sprites sowie den netten bis niedlichen Effekten massiv unterfordert, ist eine maßlose Untertreibung. Das hat jedoch auch einen Vorteil: Da hier vermutlich alles aus der PSone-Emulation gespeist wird, dürfte sich der Energieverbauch während der weit jenseits der 100er-Marke liegenden Spielspaßstunden in sehr überschaubaren Grenzen halten. Kurzum (und vollkommen ohne Zynismus): Disgaea 3 stellt inhaltlich die Weichen für die Zukunft des Taktik-Rollenspiels, doch technisch bleibt Nippon Ichi in der Konsolen-Steinzeit stecken.

Pro

einfache Steuerung 
abgefahrene Story...
immenser taktischer Tiefgang 
eigene Figuren erstellbar 
viel zu entdecken 
Charakter-Entwicklung auf mehreren Ebenen 
100
Stunden purer Strategie-Spaß 
passende Akustik 
haufenweise Specials, Zauber und Gimmicks 
zufällig erstellte Dungeons in der "Item-World"  

Kontra

technisch hoffnungslos veraltet  - ... die leider zu häufig seicht bleibt
zäher Einstieg  - nicht einmal der Hauch von Lokalisierung 

Wertung

PlayStation3

Inhatlich ein Garant für Hunderte von Stunden exzellenten Taktik-Rollenspiels - wenn man über die vorsintflutliche Kulisse hinwegsehen kann...

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