Im Test: Who you gonna call?
Immer diese Dämonen. Kaum ist der Körper von ihnen besessen, streift man auch schon massenmordend durch New York und wacht irgendwann mit einem fetten Kater auf. Gut, dass es in Wadjet Eye Games‘ frischem Adventure einen Geheimbund gibt, der dem Spuk per Exorzismus ein Ende setzt und dem unschuldigen Protagonisten eine neue Identität verschafft – inklusive humorvoller Seitenhiebe im Stil der Ghostbusters. Willkommen bei den Unavowed!
Schon die Eröffnung macht klar, dass sich die Adventure-Spezialisten bei WadjetEye eine Menge Gedanken gemacht haben. Statt einen plumpen Charakter-Editor vorgesetzt zu bekommen, entscheidet man sich im Dunkel der Exorzierung für Geschlecht und Vorgeschichte. „Wer bist du?“, „Erinnere dich!“. Allzu angenehm ist das Verdrängte natürlich nicht, wenn man kurz danach durch die Gedärme seiner Opfer watet – und sich als einzigen Ausweg für den Beitritt zur Geheimgesellschaft entscheidet. Derart dramatisch bleibt die Stimmung aber nicht lange: Schnell wird klar, dass es sich bei den Unavowed um die Guten handelt, die ihrer Berufung mit einem Augenzwinkern nachgehen. Eine Art Men in Black fürs Übernatürliche, die seit Urzeiten die Wogen im interdimensionalen Chaos glätten und nebenbei lockere Sprüche klopfen. Die Neuauflage der Ghostbusters hat bewiesen, dass man beim Abwägen zwischen Humor und Spannung auch meilenweit daneben greifen kann, doch Unavowed trifft genau den richtigen Ton.
Ab und zu muss man sich entscheiden, auf welche Weise man Probleme löst - z.B. indem man einem versehentlich heraufbeschworenen Wesen genügend Menschenfleisch für den Rückweg verschafft. Das braucht doch eh keiner mehr nach dem Blutbad! Okay, die Polizei könnte sonderbare Abdrücke finden...
Ob nun der Feuerball schleudernde Eli, die esoterisch angehaucht philosophierende Mandana oder die später hinzukommenden Geisterversteher: Ich habe sie allesamt sofort ins Herz geschlossen. Da sich in Folge des Unglücks weltweit übernatürliche Katastrophen häufen, kann das Team meine Hilfe gut gebrauchen. Sogar einige durch die Dimensionen marodierende Geschöpfe wie ein loderndes Feuerwesen oder ein Seemonster-Feldherr offenbaren coole Persönlichkeiten, während sie die Helden verfolgen. Um sie zu besiegen oder Umgebungspuzzles zu lösen, kommen die Spezialfähigkeiten meiner Kollegen zum Einsatz, die ich wie einen Gegenstand aus dem überschaubaren Inventar benutze. Eröffne ich Mandana einen Weg, an dem sie nah genug mit ihrem Säbel an den Feind gelangt oder kommen Elis Blitz- und Feuerkünste zum Einsatz? Letztere werden auch dann praktisch, wenn ein elektronisches Schloss überlistet werden muss. Näher gehe ich lieber nicht ins Detail. Nur so viel: Es ist ein Sicherungskasten involviert, in dem man Drähte umsteckt – nicht gerade einfallsreich.
Halbherzige Rätsel-Tricks
Charakterfähigkeiten wie die Pistole der schroffen Ex-Polizistin Vicki sind also im Prinzip eine schöne Idee, in der Praxis bleibt es aber oft bei altbekannten, eher schlichten Lösungen. Nach dem Abklappern der Umgebung stößt man in vielen Fällen irgendwann zwangsläufig auf die passende Lösung. Eine versteckter Schlüssel hier, ein Familiendrama dort – und schon lassen sich neue Infos über gehirngewaschene Gesprächspartner oder in der Zwischenwelt feststeckende Geister deuten. Ein Tipp: Hakt ruhig mehrmals bei Zeugen nach, wenn ihr neue Beweise gefunden habt, um auf weitere Namen und Infos zu stoßen.
Dieser amphibische Geselle erweist sich als äußerst anhänglich.
Seltsam, dass Wadjet Eye dem Spieler eine derart minimalistische Steuerung aufzwingt. Dank der kompletten Auslegung auf die Maus und nur einer Taste fürs Untersuchen und Benutzen kann man zwar entspannt vom Sofa aus spielen. An meinem Schreibtisch hätte ich für die Hotspot-Anzeige allerdings lieber auf die Leertaste getippt, statt rund eine halbe Sekunde die rechte Maustaste zu halten. Hilfe-Systeme gibt es übrigens nicht. Aufgrund des meist niedrigen Schwierigkeitsgrades und der in die Dialoge eingeflochtener Hinweise ist das aber auch nicht nötig.
Vor der Mission muss man sich übrigens in der U-Bahn dafür entscheiden, welcher Kollege diesmal nicht aussteigen darf – nicht besonders glaubwürdig. Die in Kapitel aufgeteilten Fälle bringen neue Partner ins Team und mich näher an die Geheimnisse über den blutrünstigen Dämon. Er hatte meinen Ex-Cop offenbar lange genug in seiner Gewalt, um einen bizarren Kult aufzubauen. Dessen überlebende Ex-Mitglieder schauen natürlich reichlich sparsam aus der Wäsche, wenn ich ihnen über den Weg laufe, mich aber an nichts erinnern kann. Die englischen Sprecher bringen ihre Entgeisterung und andere Emotionen gut betont rüber. Eine deutsche Übersetzung gibt es leider nicht einmal in den (deaktivierbaren) Untertiteln.
Echt mal. Kein Grund, hier so herumzupoltern!
Immer wieder sackt mein Alter Ego zusammen und erlebt einen Flashback vergangener Intrigen und Gräueltaten. Je nach Wahl des Protagonisten und seines ehemaligen Jobs (Polizist, Schauspieler oder Barista) kann man Passanten davon überzeugen, das Grüppchen in eigentlich abgesperrte Bereiche vorzulassen – was zu Gesprächen über alte Zeiten führt, die Ermittlungen ein wenig vielseitiger gestaltet und dem Spiel eine gewissen Wiederspielwert verschafft. Apropos Gespräche: Die Entwickler haben einen schöne Weg gefunden, dass sich die Inszenierung trotz der (schicken) Retro-Kulisse nicht muffig, sondern erfreulich frisch anfühlt. Wenn am Tatort mal Stille entsteht, starten meine Partner ähnlich lockere Gespräche wie in der Uncharted-Reihe – über ihr altes Leben, philosophische Themen oder einfachen Smalltalk übers allgemeine Befinden. Auch im Hauptquartier kann man nach Lust und Laune nachbohren oder sich lieber gleich in den nächsten Fall stürzen. Wer möchte, kann im Menü übrigens einen Kommentar von Entwickler David Gilbert und Artist Ben Chandler aktivieren.
Fazit
Mit Unavowed haben die Adventure-Spezialisten bei Wadjet Eye Games wieder mal ins Schwarze getroffen – zumindest, was die Erzählung betrifft: Endlich wieder ein Abenteuer, das die unbeschwerte Stimmung alter Gruselkomödien zelebriert – inklusive vieler humorvoller Seitenhiebe und einer filmreifen englischen Synchro. Auf dem Weg durch die stimmungsvoll gezeichneten ruhigeren Ecken des Big Apple wird man sofort in die gemütliche klassische Adventure-Stimmung eingelullt, zu der auch die sympathischen Charaktere und ihr natürlicher Smalltalk eine Menge beitragen. Familiengezanke und das Schicksal ganzer Völker liegen hier nah beieinander. Auch die alternativen Vorgeschichten des Helden und die Spezialfähigkeiten der Kollegen bereichern das Abenteuer. Schade, dass diese Stärken nicht häufiger beim Design der etwas zu simplen Rätsel zum Tragen kommen. Oft klappert man einfach nur die Umgebung ab, um durch das Ausschlussprinzip irgendwann zwangsläufig auf die passende Lösung zu stoßen. Trotzdem hat uns Unavowed fast so gut unterhalten wie unsere bisherigen Genre-Highlights des Jahres Detroit: Become Human und Where the Water Tastes Like Wine.
Pro
add_circle_outline gemütliche Stimmung einer klassischen Mystery-Komödie
add_circle_outline sympathische Charaktere und übernatürliche Wesen
add_circle_outline unterhaltsamer Einsatz spezieller Charakterfähigkeiten
add_circle_outline geschickt inszenierte Charakterwahl mit drei Vorgeschichten
add_circle_outline natürlich wirkende Unterhaltungen
add_circle_outline humorvolle Dialoge
add_circle_outline professionelle englische Synchro
add_circle_outline atmosphärische Retro-Kulissen
Kontra
remove_circle_outline zu wenige, oft simpel gestrickte Rätsel
remove_circle_outline einige Puzzles erfordern lediglich stupides Abklappern
remove_circle_outline reine Maussteuerung wirkt etwas zu reduziert
remove_circle_outline nur komplett englisch erhältlich (auch die Untertitel)
Wertung