The Book of Unwritten Tales02.04.2009, Jan Wöbbeking
The Book of Unwritten Tales

Im Test:

Das kenne ich doch irgendwoher? Ein kleiner Naivling aus dem beschaulichen Auenla.. - pardon - Weißkammgebirge zieht aus, um Abenteuer zu erleben. Seine Begleiter sind eine Elfe, ein Mensch und ein..., öhm, ein Vieh (ja, das unförmige, mysteriös glucksende Wesen heißt tatsächlich Vieh) sowie ein geheimnisvoller Ring. Die Parallelen sind so offensichtlich wie gewollt: Im Adventure The Book of Unwritten Tales (ab 4,25€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) zieht die Bremer Entwickler King Art Games alles und jeden durch den Kakao, was sich seinerseits vom magischen Tolkien-Universum inspirieren ließ.

Herr der Rollenspiele

Nicht nur der Herr der Ringe bekommt in diesem Spiel sein Fett weg. Eine meiner ersten Aufgaben ist, in der verlassenen Garnison Seefels einen Zauberer und einen Händler von einem extrem süchtig machenden Online-Rollenspiel wegzulocken.

Bürokratie macht süchtig!
Die beiden Zocker waren ihr langweiliges Leben in der magischen Welt satt und haben ihre Erfüllung in der fantastischen Welt der Bürokratie gefunden. Das Spiel, vor dem sie ununterbrochen seltsam anmutende Hebel und Tasten bedienen, trägt den treffenden Titel World Of Bureaucracy (WOB). Keine langweiligen Zaubersprüche mehr, keine ermüdenden epischen Schlachten, keine geheimnisvolle Schätze - stattdessen besteht ihr Leben jetzt aus Formularen, Steuererklärungen, Bußgeldbescheid-Quests und anderem unfassbar spannenden Papierkram.

Selbstverständlich ist es enorm wichtig, dass ich den erstaunlich haarigen "Server" des Spiels korrumpiere. Der kleine Gnom Wilbur ist schließlich auf einer wichtigen Mission, welche den Krieg gegen die tyrannische Schattenarmee und ihren fiesen Obermotz entscheiden kann. Ein alter Gremlin hat ihm einen geheimnisvollen Ring überreicht, welchen er höchstpersönlich beim Erzmagier im oberen Teil der Stadt abliefern muss. Doch dorthin gelangt er nur mit einem ordnungsgemäßen Magier-Diplom, welches ihm nur der zockende Zaubermeister ausstellen kann. Doch der benötigt außerdem ein paar wichtige Zutaten für meine Prüfungsaufgaben wie das Brauen eines magischen Tranks.

Keine Mikrowellenhamster

Wie in einem Adventure üblich streife ich schon bald durch die Stadt, stopfe meine Taschen voll und erweise den verschrobenen Charakteren eine Gefälligkeit nach der anderen. Da seit geraumer Zeit in einem Adventure niemand mehr sterben darf, muss ich z.B. im Auftrag des arbeitslosen Sensemanns Investoren für seine Geschäftsidee der Lebensbestattungen an Land ziehen.

Auch Star Wars ist nicht vor den Entwicklern sicher...
Oder ich pfusche in meinem Inventar herum und benutze meine Kombinationsgabe. All zu viel passieren kann bei den Experimenten nicht: Die Rätsel erstrecken sich über nicht all zu große Abschnitte des Spiels, die Lösungen fallen beinah durchgehend logisch aus und der Schwierigkeitsgrad liegt allgemein auf einsteigerfreundlichem Niveau.

Ähnlich wie in Ceville darf ich außerdem nur sinnvolle Dinge miteinander verknoten. Unter diesem Gesichtspunkt ist das Spiel das krasse Gegenteil von Edna bricht aus: Geisteskranke Kombinationen lassen sich gar nicht erst anklicken. Doch selbst wenn ich es könnte - dem herzensguten Wilbur würde es nie in den Sinn kommen, mich anzumaulen. Ganz anders verhält es sich mit dem egozentrischen Menschen Nate. Der "freischaffenden Freibeuter" besitzt ein kleines Luft-Piratenschiff und ist neben dem kleinen Gnom, der grazilen Elfe Ivo und dem "Vieh" der vierte spielbare Charakter und mosert ununterbrochen aus den Lautsprechern.           

Von Bugs und anderen Viechern...

Als deutlich hilfreicher erweist sich sein Begleiter, welcher dem Abenteurer seit einer Expedition im ewigen Eis unaufhörlich hinterher trottet. Das unförmige "Vieh" erinnert ein wenig an die Aliens aus der Sesamstraße. Es besitzt neben einem unglaublich stupiden Gesichtsausdruck die Eigenschaft, dass es sich durch alle möglichen schmalen Ritzen quetschen kann - nicht gerade unpraktisch für ein Adventure-Helden.

Der Tod war auch schon mal schwerer zu überlisten...
In den mystischen Ruinen eines versunkenen Tempels und an anderen Stellen muss die ungleiche Crew zusammenarbeiten. Das Umschalten zwischen den Charakteren erweist sich leider als etwas zäh. Bevor ich endlich den angeklickten Charakter steuern darf, muss ich nicht selten erst einmal mehrere Sekunden lang Däumchen drehen. Ist die aktuelle Figur an einen von den Entwicklern vorgesehenen Ort spaziert, geht es endlich weiter.

In den staubigen Tempeln warten außer den absichtlich eingebauten Fallen auch ein paar Bugs auf Opfer: Eine geöffnete Tür sieht aus wie verschlossen und Charaktere weilen nicht mehr an dem Ort, wo sie noch kurz zuvor in der Zwischensequenz standen. Oder aber Wilbur kann Knöpfe aus mehreren Metern Entfernung bedienen und durch eine massive Mauer von einer Empore herunter spazieren. Letzteres sieht nicht nur seltsam aus, sondern sorgt auch dafür, dass eine wichtige Tür nicht geöffnet werden kann. Erst nach einigem Herumirren habe ich eine Möglichkeit gefunden, das Problem zu lösen. Zur Not hilft auch ein früherer Spielstand weiter - speichert also nicht zu selten.

Komfortable Abenteuerreise

Von solchen Schnitzern abgesehen spielt sich das magische Abenteuer aber bequemer als eine Fahrt in der Stretch-Limousine. Ab und zu muss man durchaus ein wenig die grauen Zellen quälen: Doch dank logischer Rätsel, Hotspot- und Kombinations-Hilfen sowie diverser Hinweise der Dialogpartner bin ich erfreulich selten in einer Sackgasse gelandet. Das Spiel besitzt genau den richtigen Rhythmus aus Entdeckungstouren, Rätseln und lustigen Gesprächen.

In Seefels ist die Krise noch nicht angekommen: Der Hamster vom Börsen-Spezi Wuppermann ist so gut genährt, dass er den Käfig komplett ausfüllt (linker Bildrand).
Die Entwickler hätten allerdings in Punkto Rätseldesign etwas kreativer sein können - vor allem Knobel-Veteranen könnten sich unterfordert fühlen. All zu betagt sollte euer Rechenknecht übrigens nicht sein: Ab einem Prozessortakt von 1,5 GHz, 512 MB Arbeitsspeicher und einer DirectX-9c-fähigen Grafikkarte könnt ihr das Spiel laut Packungsrückseite aber zum Laufen bewegen.

Die Reise führt mich vom idyllisch-verschneiten Weißkammgebirge zum Schloss des Erzmagiers, in schummrige Höhlen oder in überwucherte Tempelanlagen. Es wirkt ungemein stimmungsvoll, wenn der vom warmen Schein einer Fackel erleuchtete knorrige Baum sich über einen sumpfigen Teich beugt, in dessen Wellen sich die Charaktere spiegeln. Überall gibt es hübsche Details zu entdecken. Der Licht- und Schattenwurf macht die Verschmelzung von Render-Umgebungen und Polygon-Figuren komplett. Auch die Augenbewegungen hauchen den Bewohnern der Welt Leben ein. Vor einem Dialog rutschen die Figuren allerdings auch gerne einmal regungslos über den Boden. Da sich das Charakterdesign bei beliebten Filmen und Spielen bedient, hatte ich beinah den Eindruck, als würde ich meine Schützlinge schon seit einer Ewigkeit kennen. Es ist so, als würde man eine lustigere Variante des kleinen Hobbit nachspielen.

Hör mal, wer da spricht!

Auch die Stimme der Hauptfigur sorgt für Vertrautheit: Der kleine Abenteurer wird von Oliver Rohrbeck gesprochen, welcher u.a. Ben Stiller und Justus Jonas von den drei Fragezeichen seine Stimme leiht. Auch die restlichen Figuren sind für Adventure-Verhältnisse erstaunlich gut vertont. Kein Wunder: Die Liste der Sprecher liest sich wie das Who-is-Who deutscher Star-Sprecher: Thomas Danneberg (Arnold Schwarzenegger), Marion von Stengel (Lara Croft), Wolfgang Völz (Käpt'n Blaubär) und viele andere bekannte Namen liefern einen guten Job ab. Nur ab und zu fällt anhand falscher Betonung auf, dass die Helden hinterm Mikrofon nicht so viel Zeit zum Einsprechen hatten wie bei einem Hollywood-Blockbuster. Auch die Hintergrundgeräusche und die vielen vom Kompositions-Studenten Benjamin Oschmann arrangierten Orchester-Stücke sorgen für die passende Abenteuer-Stimmung.     

Fazit

Entwickler King Art Games hat die goldene Mitte gefunden: The Book of Unwritten Tales besitzt in vielen Punkten genau die Balance, welche ein gutes Fantasy-Adventure ausmacht. Die prachtvollen Render-Kulissen z.B. protzen mit derart vielen Details, wie ich es bisher nur von handgezeichneten Bildern gewohnt war. Gleichzeitig bieten sie dank Oberflächenstrukturen, hübscher Beleuchtung sowie animierter Feinheiten eine Plastizität, welche wiederum nur der Computer erschaffen kann. Auch die Vertonung sorgt für Gänsehaut: Es blubbert, zischt und fidelt so stimmungsvoll aus den Boxen, dass man sich direkt in die verschnörkelten Kulissen hineinversetzt fühlt. Auch die Synchronisation ist dank der Riege an Star-Sprechern ausgezeichnet gelungen. Ich lag zwar nicht mit Atemnot unterm Tisch wie bei Edna bricht aus, doch auch im Fantasy-Adventure aus Bremen gibt es viel zu schmunzeln. Jede Menge Klischees aus Rollenspielen und tolkien'schen Märchenwelten werden hier auf die Schippe genommen. Die angenehm logischen und nicht all zu schweren Rätsel sorgen dafür, dass man nicht all zu lang an einem Ort festhängt und schnell neue erforschen darf. Diese Abwechslung ist eine klare Stärke des Spiels: Ich wollte zu jedem Zeitpunkt wissen, wie die Mission des naiven kleinen Gnoms und seiner Mitstreiter weiter geht. Für Frust sorgen lediglich ein paar nervige Bugs, durch die man durchaus unverschuldet in einer Sackgasse landen kann - mit ein wenig Ausprobieren oder unserem Workaround im 4P-Spieletipps-Bereich lassen sich aber auch solche Probleme lösen. Hardcore-Gehirnzellenquäler könnten sich aufgrund des moderaten Schwierigkeitsgrades übrigens dezent unterfordert fühlen. Für Einsteiger und Adventure-Fans mit einem Fantasy-Faible ist The Book of Unwritten Tales aber ein Pflichtkauf.

Pro

<P>
unterhaltsame klassische Abenteuer-Geschichte
liebenswerte Charaktere
lustige Anspielungen auf Fantasy-Spiele und -Filme
traumhaft schöne Kulissen
gelungener Mix aus Renderbildern und Echtzeit-Figuren
hübsch animierte Hintergrund-Details
glaubwürdige Beleuchtung und Spiegelungen
hervorragende Vertonung mit sehr vielen Star-Sprechern
stimmungsvoller, abwechslungsreicher Soundtrack
passende Geräuschkulisse
dank logischer Rätsel kommt kaum Frust auf
Kombinations-Hilfen machen das Spiel komfortabel
kein sinnloses Herumprobieren</P>

Kontra

<P>
kleine Bugs können in eine Rätsel-Sackgasse führen
wenige anspruchsvolle und kreative Rätsel</P>

Wertung

PC

Wunderhübsches und komfortables Adventure mit vielen albernen Anspielungen auf Fantasy-Filme und Rollenspiele.

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