Uncharted 2: Among Thieves13.10.2009, Jörg Luibl
Uncharted 2: Among Thieves

Im Test:

Vor zwei Jahren debütierte Nathan Drake als Schatz suchender Abenteurer und charmanter Haudegen. Gleich mit dem ersten Auftritt überstrahlte er die in die Jahre gekommene Lara Croft mit einem deutlich dynamischeren Mix aus Action, Rätseln und Akrobatik vor prächtiger Kulisse - satte 86% war uns das "schönste Spiel auf der PlayStation 3" wert. Jetzt will Naughty Dog an diesen Erfolg anknüpfen.

Die magische Leinwand

Kann man ein Spiel malen? Kann man virtuelle Welten mit der alten Magie des Pinsels erschaffen? Und zwar so, dass jeder Farbtupfer und jeder Strich nicht nur gewollt, sondern auch so richtig wirkt, als hätte ihn ein geschultes Auge nach distanzierter Betrachtung noch hinzugefügt? Dass nicht nur Architektur und Natur im Großen, sondern jede Bewegung und jede Verzierung im Kleinen eine visuelle Symbiose eingehen? Egal wohin man schaut, müsste von der prächtigen Blume bis zum majestätisch davon flatternden Tucan alles perfekt arrangiert sein.

Wer in dieses grandios inszenierte Abenteuer abtaucht, wird all diese Fragen mit einem klaren Ja beantworten. Es geht dabei nicht um Polygonpower oder Texturtechnik. Es geht nicht um Kantenglättung oder Ausleuchtung. Dieses Uncharted 2 setzt künstlerische Zeichen, indem es den Spieler in ein exotisches Gemälde aus Farben und Formen, aus Licht und Schatten zieht. Und wenn man erstmal ein paar Schritte durch den im Sonnenlicht glitzernden, bei Kontakt sanft aufpulvernden Schnee Nepals oder durch den diesigen, in Luftfeuchtigkeit wabernden Dschungel Borneos gemacht hat, will man gar nicht mehr raus.

Indiana Jones lässt grüßen

Warum man hier unterwegs ist, wird von einer guten Story à la Indiana Jones und 90 Minuten Zwischensequenzen geklärt - erwartet kein Epos, aber freut euch auf markante deutsche Sprecher, bekannte Charaktere wie den Zigarre schmauchenden Victor Sullivan, süffisante Dialoge und vor allem eine ausgezeichnete Mimik und Gestik. Schön ist auch, dass die beiden zentralen Frauenfiguren, die frische Flamme Chloe Frazier und die bekannte Reporterin Elena Fisher, sehr natürlich auftreten. Sie sehen gut aus, aber es sind keine naiven 90-60-90-Sexbomben, sondern ebenso zickige wie schlagfertige und überaus kluge Ladys, die Nathan ordentlich Paroli bieten oder ihm den Allerwertesten retten.

Egal ob Mimik oder Gestik: Die Dialoge werden auf höchstem schauspielerischen Niveau inszeniert und wurden klasse in deutscher Sprache vertont - zum Video-Fazit; zur Komplettlösung!
In den kleinen Filmen wirkt nicht nur jede Bewegung, jeder Blick dank Motion Capturing echter Schauspieler unheimlich lebendig; auch die Kameraschwenks- und -fahrten in und abseits der Zwischensequenzen treffen punktgenau ihr Ziel. Die Story hat innerhalb der dreizehn Stunden Spielzeit einige Überraschungen, einige plumpe Wendungen und hanebüchene politische Entwicklungen, aber auch einen angenehmen Schuss Mysteriöses parat. Wer die düstere Note des Vorgängers zu schätzen wusste, wird auch hier auf seine Kosten kommen und lange Zeit in Ahnungen tappen.

Die Geschichte beginnt historisch mit einem Zitat von Marco Polo (1254 - 1324). Angeblich segelte der venezianische Entdecker mit einer großen Flotte, mehreren Hundert Mann Besatzung sowie reichlich Schätzen von China zurück nach Europa. Aber als er in Istanbul ankam, wurde nur noch ein Schiff inklusive kleiner Mannschaft und ein paar Kostbarkeiten gesichtet. Kann es sein, dass der Großteil der Beute noch irgendwo auf seinen Entdecker wartet? Das ist eine interessante Ausgangsposition, die neugierig macht.

                    

Kleine Lampe, große Wirkung

Zunächst klettert es sich leicht und intuitiv: Erst im letzten Drittel des Spiels zieht der Schwierigkeitsgrad an.
Genau hier kommt Nathan ins Spiel, der zunächst eine Öllampe aus dem Istanbuler Museum stehlen soll, in der sich angeblich Hinweise auf den Schatz verbergen. Doch Uncharted 2 beginnt nicht mit einem kühnen Bruch am warmen Bosporus, sondern mit einem Schwenk in die Zukunft, und zwar in die verschneiten Höhen im Himalaya: Nathan wacht blutbeschmiert in einem Zugwrack auf, das gefährlich knarzend über einem Abgrund baumelt. Wie kam er dort hin? Für Antworten bleibt zunächst keine Zeit: Hat man sich für einen der vier Schwierigkeitsgrade (ein fünfter kann freigespielt werden) entschieden, muss man sich kraxelnd und balancierend einen Weg hinaus bahnen.

Und schon hier besticht das Abenteuer nicht nur mit seiner intuitiven Klettersteuerung, sondern auch mit einer grandiosen Kulisse und verblüffend genauen Regie. Da wähnt man sich gerade beim Hangeln in Sicherheit und schwups - es kracht, es reißt und die Kamera zeigt den bedrohlich rutschenden Zug! Probleme mit der Perspektive hat man so gut wie nie, denn die Sicht schwenkt fast immer optimal und gibt den Blick frei auf das bisher schönste Spiel des Jahres, das Killzone 2 und auch Resident Evil 5 in den Schatten stellt.

Das idyllische Dorf

In diesem Abenteuer steckt sehr viel akribische Recherche, was Sprache, Hausformen, Tempel, Kleidung und

Uncharted 2 verblüfft immer wieder mit einem Wechsel von arktisch kalt nach tropisch heiß - man hat das Gefühl, durch alle Klimazonen zu reisen.
Alltagsgegenstände angeht, die in den besuchten Regionen vorkommen. Aber es steckt noch viel mehr hochbegabte Handarbeit darin, was optische Details angeht - hier wurde nichts dem Zufall überlassen, hier wollte man gezielt regionale Eigenheiten von der Tracht bis zur Teetasse einfangen und virtualisieren. Das ist Naughty Dog so meisterhaft gelungen, dass man zwischendurch anhält, staunt und einfach nur schaut. Und das ist eine Qualität, die selbst im Zeitalter des Grafikfetischismus nur ganz wenige Spiele bieten.

Es gibt eine Stelle, in der man keinen Schuss abgeben, keinen Sims hinauf klettern und kein Rätsel lösen muss, aber wie gebannt vorwärts geht, weil man die Kultur des Himalaya regelrecht spüren kann. Im sechzehnten von insgesamt sechsundzwanzig Kapiteln wandert man durch dieses idyllische nepalesische Dorf, das von mächtigen Bergwipfeln umgeben ist, deren schneebedeckte Zacken man glasklar am Horizont erkennt. Der Wind pfeift einem um die Ohren und bunte Wimpel flattern vor strahlend blauem Himmel an weit gespannten Leinen. Irgendwo spielen Kinder, eine Frau dreht sich neugierig um und ein mächtiger Stier grast friedlich auf einer Wiese. Der weiße Putz glänzt im Sonnenlicht, rote und grüne Türbalken locken Besucher mit ihren Verzierungen und ein alter Mann schleift etwas in seinem Schuppen.

Was ist alles möglich?

Sehr ansehnlich werden die Szenen animiert, in denen Drake seine Gegner in Abgründe zieht.
Während man durch dieses Dorf schlendert, diese bestickten Trachten und diese individuellen, von der Sonne gegerbten Gesichter betrachtet, denkt man sich fast schon ehrfurchtsvoll: Hey, Naughty Dog, wollt ihr nicht bitte ein neues Shenmue   machen? Oder ein Reise-Abenteuer für National Geographic? Oder ein ganz neuartiges Rollenspiel, in dem ich die Geheimnisse dieses Hochlandes lüfte? Obwohl rein gar nichts passiert, obwohl man lediglich zwei Kindern einen Ball zuspielen und drei versteckte Schätze aufsammeln kann, kann man sich der Magie dieses Ortes kaum entziehen. Er gewährt eine Ahnung dessen, was in der Spielwelt an Stimmungen noch alles möglich sein könnte. Er ist einfach wunderschön.

Und dann kommt der Panzer. Dann kommen Banditen, Schreie und Explosionen. An diesem Punkt in der Mitte des knapp dreizehnstündigen Abenteuers, an dem man noch ein wenig grafiktrunken ist, denkt man sich tatsächlich: Muss das jetzt wieder sein? Müsst ihr jetzt alles wieder kaputt machen? Warum kann man nicht mal ein Spiel entwickeln, indem man das Schöne erkundet? Immer dieser destruktive Trümmerfetisch. Aber spätestens, wenn man die Frauen flüchten und die Männer sterben sieht, wird man wieder wach, vergisst den naiven Idealismus und schlägt in praktischer Actionrealität zurück. Denn auch hier macht das Spiel so richtig Spaß, auch hier hat sich Naughty Dog eindeutig verbessert - also Feuer frei!       

Action in Schulterperspektive

Auch die Action kann sich sehen lassen.
Man schliddert nach einem Spurt neuerdings elegant in Deckung, presst sich mit dem Rücken an soliden Stein, während die ersten Salven einschlagen und ballert mit allem, was Projektile spuckt: Von der kleinen 9mm über die krachende Desert Eagle, die Schrotpistole und -flinte, die Kalaschnikov, das Sturmgewehr, den Granatwerfer und die Panzerfaust. Kurzum: Man hat all das zur Verfügung, was einen modernen Shooter ausmacht. Man kann endlich auch innerhalb der Deckung geduckt kriechen, während man den Feind anvisiert, dann seitwärts zur nächsten hechten, sich langsam für den Schuss heraus lehnen oder blind aus ihr heraus schießen. Neu ist, dass jetzt auch Feuerstöße aus hängender Haltung möglich sind - so kann man von oben alles mit Handfeuerwaffen ins Visier nehmen.

All das, was das verwöhnte Shooterherz landläufig erfreut plus ein paar erfrischende Akrobatikzusätze, ist also hier möglich; selbst schwer gepanzerte Spezialeinheiten mit dicken Wummen, Geschützturmszenen sowie Kampfhubschrauber sind dabei, die einen ganzen Marktplatz im wirbelnden Sand aufgehen lassen. Es geht nicht nur ebenerdig, sondern auch vertikal auf mehreren Etagen und Dächern zur Sache; selbst verwinkelter Häuserkampf ist dabei. Die Ähnlichkeiten zum exklusiven Kriegsspektakel aus dem Hause Guerilla Games gehen so weit, dass man den Feinden zielgenau die Helme abschießen kann und sie je nach Treffer individuell zusammen zucken. Wenn man einen Eimer Schwarz und Grau über Uncharted 2 gießen würde, müsste am Ende fast ein Killzone 2 rauskommen - jedenfalls im Kampf.

Spannende Schussgefechte

Feinde nutzen schusssichere Schilde, um sich langsam heran zu pirschen.
Das ist ein Kompliment, denn gegenüber dem Vorgänger hat sich die Action klar verbessert, ist knackiger und spannender: Anstatt auf Welle für Welle an Feinden zu treffen, anstatt redundant Gefechte zu wiederholen, begegnen einem diesmal kleinere und intelligenter agierende Gruppen mit deutlich mehr Typen. Die Boomer-ähnlichen wurden schon erwähnt, hinzu kommen fiese Scharfschützen und langsam heran pirschende Schildträger, die man am besten per Handgranate oder geschickt geworfener Propangasflasche ausschaltet, bevor man sich selbst des Schildes bemächtigt.

Es gibt zwar ein paar kleine KI-Aussetzer wie Feinde, die scheinbar blind neben einem stehen sowie fragwürdige Sichtlinien: Hätte der mich nicht eindeutig sehen müssen? Aber unterm Strich sind diese Gefechte deutlich fordernder, weil die Feinde viel öfter Explosives in die eigene Deckung werfen, diese geschickt umgehen und nicht so oft wie Moorhühner ins Vorfeld laufen - man muss selbst beweglicher sein und die Stellung sowie Waffensysteme häufiger wechseln. Außerdem kann man die Situationen dynamischer lösen, weil das Handgemenge und das Schleichen deutlich effizienter sind.

Boxen und Schleichen

Der Nahkampf wurde vereinfacht, wirkt jetzt intuitiver: Nathan hat nicht mehr zig Kombos, sondern nur noch einen Knopf für

Egal ob Kampfhubschrauber oder Panzer - es gibt zwischendurch immer wieder Bosskampfstimmung.
Faustschläge bzw. Tritte und einen für Blocks bzw. Konter zur Verfügung. Kommt es zu einer Offensive des Gegners im Handgemenge, muss man im richtigen Moment die Kontertaste drücken, um nach einem eleganten Ducken oder Gegengriff selbst einen entscheidenden Hieb oder Wurf zu setzen, der dann in Zeitlupe gezeigt wird. Das sieht alles richtig gut aus und wirkt sehr intuitiv, obwohl es auf Dauer vielleicht etwas zu einfach ist.

Überaus erfrischend ist die Möglichkeit, ganze Abschnitte mit lautlosen Attacken zu säubern. Auch wenn das nur Stealth-Action light sein mag, bereichert es das Spielerlebnis: Nathan kann an eine Wache heran schleichen, um diese dann in einem Würgegriff von hinten außer Gefecht zu setzen oder sie für einen Knockout an eine Wand zu schleudern. Wer sich geschickt außerhalb der Sichtweiten bewegt, kann damit sehr erfolgreich sein und schon mal zehn oder mehr Feinde hintereinander erledigen - das war im Vorgänger nicht möglich. Allerdings hat die KI hier ab und zu Probleme mit der zu mächtigen Hängehaltung: Wenn Nathan z.B. an einer Leiter hängt, kann er quasi eine patrouillierende Wache nach der anderen in die Tiefe ziehen.    

Späte Rätseldynamik

Erst die Wachen erledigen, dann das monumentale Rätsel lösen: Was hat es mit den sechs Armen auf sich?
Es bleibt bei einem Verhältnis von 60:40 zwischen Action und Erkundung, wobei Letztere sowohl das Klettern als auch die Rätsel beinhalten. Obwohl keine archäologischen Kopfnüsse dabei sind, die wirklich schwer zu knacken wären, gibt es einige monumentale Tempelanlagen mit Hebel-, Licht- und Symbol-Geheimnissen, wie man sie aus Tomb Raider kennt. Sie sorgen für wichtige Ruhepole abseits der Schussgefechte. Und auch hier staunt man, wenn sich die mächtigen Apparaturen in Gang setzen oder sich plötzlich Tunnel in riesigen Mäulern von Statuen auftun.

Es hätte diesem Spiel allerdings nicht geschadet, wenn es davon noch mehr und komplexere Mechanismen gegeben hätte, denn das edle Tagebuch mit den handschriftlichen Notizen offenbart quasi die Lösungen. Man muss vielleicht mal ein wenig experimentieren, aber man bleibt nicht hängen, zumal es nach längerer Passivität auch einen Hinweis in Form eines Kameraschwenks gibt, falls man das Steuerkreuz drückt. Auch im kleinen Bereich hätten Kombinationsminispiele vielleicht nicht geschadet, wenn Nathan z.B. Stromkästen finden und diese manipulieren muss - das wird als Kurzfilm gezeigt.

Dass man dennoch jeden Winkel untersucht und erforscht, liegt nicht nur an der grandiosen Kulisse, sondern auch an den 100 Schätzen. Zwar haben diese fotorealistisch designten Artefakte immer noch keine direkte Anbindung an die Story, werden immer noch lieblos wie Ostereier verteilt, aber die drehbaren Amulette, Helme, Statuetten und Vasen stammen immer aus dem kulturellen Bereich, den man gerade durchstreift - man schaut sie sich gerne an, weil sie einfach authentisch

Schwindelfrei? Im letzten Drittel des Abenteuers baumelt man des Öfteren über solchen Abgründen.
wirken und direkt aus einem Museum stammen könnten. Und sie besitzen einen praktischen Goldwert, mit dem man weitere spielbare Figuren (auch den Bösewicht), Klamotten, Waffen, Grafikfilter, Skizzen, Hintergrundvideos etc. oder nützliche Fähigkeiten im Multiplayermodus freischalten kann.

Klettern über den Wolken

Kletterfreunde erwarten vor allem im abschließenden Spieldrittel angenehm offene Routen, die einem trotz bekannter Mechaniken wie dem spektakulären Wandlauf oder dem einfachen Schwung am Seil endlich mehr Freiheiten lassen. Vor der Kulisse eines mächtigen Bergklosters hat man z.B. diverse Möglichkeiten, um an sein Ziel zu kommen. Nathan bewegt sich deutlich geschmeidiger, wenn er an den farblich markierten Simsen und Ritzen hinauf kraxelt, denn ein Weichzeichner lässt seine Bewegungen in bestimmten Situationen natürlicher erscheinen. Er wird schmutziger, seine Kleidung wird nass und alle Charaktere wirken detaillierter. Und man entdeckt mehr Feinheiten wie etwa Bücherregale, die samt Inhalt wackeln, wenn er sich an ihnen nach oben zieht oder bröckelnden Putz bei einem Sprung auf den Boden.

Grandiose Aussicht: Die majestätische Kulisse des Himalaya wurde hervorragend eingefangen.
Allerdings hat Naughty Dog das Klettern nicht fordernder gestaltet, es bleibt bei geschmeidiger Akrobatik, die dem Spieler eher ein Auge für die Route als den gut getimten Griff abverlangt: Man kann sich gerade in den ersten drei Stunden relativ sicher seinen Weg bahnen - erst ab der Mitte des Spiels gibt es endlich weg brechende Plattformen, zeitkritisches Hangeln und tödliche Hindernisse. Und darüber freut man sich als Jump'n Run-Freund, zumal man endlich auch mal abstürzen kann. Leider nicht in tiefes Nass, denn obwohl Nathan in Seen und Pools schwimmen kann, ist er immer noch nicht tauchfähig. Es gibt übrigens ein kleinen Bug für alle, die Turmspringer nachahmen wollen: Stürzt man sich vom höchsten Punkt des Hotels in den ausreichend tiefen Pool, stirbt Nathan - er mag kein Wasser.

In einigen heiklen Situationen wird man auch zur Passivität verdonnert: Da kann man gerade noch die Hand eines Freundes erwischen, bevor man tödlich stürzt oder noch so eben auf einen fahrenden Zug springen, aber das Herz klopft nicht richtig, weil man ja nur einer Filmszene zuschaut und keinen Reaktionstest meistern muss. Warum hat man so wenig Quick-Time-Reactions eingebaut? Selbst wenn man über einem Abgrund auf einem schmalen Brett unterwegs ist, muss man nichts aktiv machen, um die Balance zu sichern, also keine Sixaxis-Bewegungen und keine Knöpfchendrückereien. Die passive filmische Komponente hätte öfter durch aktive spielerische Eingriffe aufgebrochen werden müssen.

  

Abwechslung ist Trumpf

Zu den imposantesten Szenen gehört diese rasante Tour: Vorsicht beim Klettern auf fahrenden Zügen!
Diese Interaktivität findet man dafür an anderer Stelle: Es gibt Abschnitte, in denen Nathan mit bis zu vier Begleitern unterwegs ist, die eigenständig im Kampf agieren, aber natürlich von Skripten geschützt werden und nicht sterben können. Es gibt rasante Verfolgungsszenen, in denen man in engen Gassen ausweichen oder verfolgende Autos abschießen und dann selbst bei hohem Tempo von Fahrzeug zu Fahrzeug hechten muss - und hier pocht das Herz wieder, denn hier sorgt jede kleine Abweichung in der Sprungrichtung und jede Verzögerung bei gefährlich brennendem Tank für den Tod; sehr schön! Außerdem gibt es endlich mehr Bosskampfstimmung, die man im Vorgänger noch vermisste - egal ob es gegen Kampfhubschrauber, Panzer oder humanoide bis monströse Feinde zur Sache geht.

Sehr gut gelungen ist auch die Stelle, an der ein schwer Verletzter in Sicherheit geschleppt werden muss, während man von allen Seiten attackiert wird - hier ist man verwundbarer, weil man langsam und gezielt vorgehen muss. Und zu den Highlights gehören nicht nur weg brechende Häuser, in denen sich plötzlich der Boden verschiebt, so dass man Richtung Abgrund schlittert, während man seine Gefährtin noch mit gezieltem Schuss retten muss, sondern auch das imposante Zuglevel: Man springt von Waggon zu Waggon, muss an der Seite kraxelnd Apparaturen ausweichen oder oben auf dem Dach rechtzeitig in Deckung gehen, weil entweder Hindernisse aus Stahl heran rauschen oder Feinde heran schleichen - hier macht das Springen, Kraxeln und Schießen richtig Spaß! Und während der Fahrt vom Tal in den Himalaya hinauf verändert sich dann Stück für Stück das Klima von tropisch sonnig bis arktisch verschneit - sehr beeindruckend.

Gelungene Multiplayer-Premiere

Ballern in Bewegung: Man kann schießen oder sich schleichend nach vorne meucheln.
Auch die Online-Gefechte zwischen den beiden Fraktionen Helden und Banditen können sich sehen lassen, zumal Naughty Dog bei seiner Premiere im Multiplayer nicht nur einen technisch sauberen Netzcode anbietet, sondern alle Komfortregister mit üppigen Statistiken, zig Individualisierungen und bequemen Freundeseinladungen zückt. Auf einen Klick hat man die Liste seiner PSN-Freunde innerhalb des Spiels aufgerufen und kann sie gezielt einladen. Man kann sich für ein schnelles Match entscheiden oder selbst ein Spiel mit diversen Parametern vom Friendly Fire bis zum Zeitlimit für bis zu zehn Teilnehmer öffnen.

Man kleckert hier nicht mit einem aufgezwungen wirkenden Nachschlag, sondern klotzt mit doppelt Sahne à la Call of Duty: Modern Warfare. Schon die vorbildliche Betaphase hat angedeutet, dass die Entwickler diesen Zusatz sehr ernst nehmen und langfristig etablieren wollen. Und das könnte ihnen gelingen, denn hier gibt es buntere Online-Action abseits des düsteren Kriegseinerleis: Es gibt ein Levelsystem mit Erfahrungspunkten, in dem man Spiel für Spiel aufsteigen kann. Und erst wenn man bestimmte Levelgrenzen erreicht, kann man sich besondere Fähigkeiten für all das Geld, das man in der Kampagne erspielt

Kriegsgebiet im Himalaya: Wer verfolgt Drake eigentlich?
hat, kaufen. Zwei Booster-Slots stehen dem Charakter zur Verfügung, die man mit genauerem Zielen, besserer Stabilität nach einer Detonation oder einer tödlichen Handgranate nach dem Ableben belegen kann. Es gibt hier auch verstärkende oder sich ausschließende Kombinationen, so dass man etwas tüfteln kann.

Man kann auch die Durchschlagskraft bestimmter Waffen verbessern, wenn man sich spezialisieren will oder einfach Klamauk am Rande dazukaufen, wie etwa Spottgesten. Es gibt zwar keinen kooperativen Story-Modus, aber man kann mit einem Freund ein paar spezielle Levels mit Zielvorgaben spielen. Es gibt insg. sieben Karten und neun Spielmodi, darunter abseits von Deathmatch, Team-Eliminierung, Zieleroberung, König des Hügels & Co auch wildes Schatzsuchen, in dem man als erste Gruppe die Kostbarkeiten zur eigenen Truhe bringen muss oder Goldrausch, in dem schon ein einziger Klunker in der Basis reicht, um die Feinde zu besiegen. Außerdem gibt es einen an Gears of War angelehnten Überlebensmodus, wo man zusammen mit zwei Freunden gegen immer stärkere Gegnerwellen antritt.  Ansonsten erinnert die Online-Spielmechanik an Killzone 2, denn auch hier sorgt die vertikale Komponente für Abwechslung. Man kann in den verwinkelten Gassen Leitern nutzen und von oben in Hütten springen. Interessante Randnotiz für Bastler: Im Kino-Modus werden nicht nur alle Spiele aufgezeichnet, man kann später auch den Lichteinfall oder die Tageszeit verändern. Außerdem gibt es eine Art Rasterlevel namens Machinima, in dem man eigene Szenarien entwickeln kann.     

Fazit

Was ist das für ein Licht? Was sind das für Farben? Sehen, staunen, spielen! Naughty Dog hat hier ein Abenteuer gemalt, in dem die Magie von Pinselstrichen schlummert - dagegen können selbst bildgewaltige Spiele à la Killzone 2 oder Resident Evil 5 einpacken. Ich weiß nicht, wann mich das letzte Mal ein virtueller Spaziergang so begeistern konnte wie jener im sechzehnten Kapitel: Da passiert rein gar nichts, da fällt weder ein Schuss noch muss man klettern, man läuft lediglich einem Einheimischen hinterher. Aber man kann sich diesem nepalesischen Gemälde eines Dorfes einfach nicht entziehen, man kann die Kultur des Himalaya mit jedem Schritt spüren. Und man kann angesichts der unheimlich lebendig wirkenden Männer, Frauen und Kinder erahnen, was alles noch möglich sein wird, wenn kreative Künstler dermaßen bildschöne Spielwelten erschaffen. Naughty Dog, macht ihr bitte ein weiteres Shenmue? Oder ein Rollenspiel für National Geographic? So, genug naiv geträumt, ab in die kritische Realität: Auch abseits dieser Idylle kann das actionreiche Abenteuer begeistern, denn es sieht nicht nur besser aus als alles, was derzeit über Bildschirme flimmert, sondern wurde auch inhaltlich in allen Bereichen verfeinert: Die Gefechte sind nicht mehr so redundant, aber dafür fordernder und wurden um Schleichangriffe bereichert. Das Klettern ist geschmeidiger und erlaubt offenere Routen. Was mir fehlte waren lediglich mehr und knackigere Rätsel sowie Interaktion in Form von Reaktionstests - einigen lebensgefährlichen Situationen wurden so die Spannung geraubt. Aber das kann dieses prächtige Abenteuer-Erlebnis nicht schmälern: Die Filme sind klasse, die Kamerafahrten phänomenal, die Schauspieler eine Wucht, die Zug- und Verfolgungsszenen genial. Naughty Dog hat den sehr guten Vorgänger eindeutig übertroffen. Nach dreizehn Stunden ist längst nicht Schluss: Dann gibt es noch mal Nachschlag mit doppelt Multiplayer-Sahne. Wir ziehen den Hut und streuen Platinzucker obendrauf!

Zum Video-Fazit!; Zur Komplettlösung!

Pro

klasse Einstieg
interessante Story
malerische Bilderbuchkulissen
eindrucksvolle Licht- & Schattenspiele
idyllische Ruhephasen
sehr gute deutsche Sprecher+ butterweiche Animationen
punktgenaue Kamerafahrten
fantastisch wirkender Schnee
intuitives und offenes Klettern
fordernde Schussgefechte mit Deckungssystem
lautlose Schleichangriffe
coole Nahkämpfe
packende Fluchtszenen
einige monumentale Rätsel
epische Musikuntermalung
motivierender Multiplayer-Modus
ab und zu Bosskampfstimmung
hervorragende Kulturrecherche

Kontra

zu wenig knackige Rätsel
zu wenig Reaktionstests
Klettern ist etwas zu leicht
kleine KI-Aussetzer im Kampf

Wertung

PlayStation3

Sehen, staunen, spielen: Naughty Dog malt ein packendes Abenteuer mit magischen Pinselstrichen! Verdammt, sieht das gut aus...

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Kommentare

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johndoe945852

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Zuletzt bearbeitet vor 4 Jahren

vor 13 Jahren