The Mage's Tale30.06.2017, Mathias Oertel
The Mage's Tale

Im Test: Zauberlehrling in Skara Brae

VR-Premieren bekannter Entwickler-Teams machen immer neugierig. Umso mehr, wenn es um Brian Fargos inXile geht, die Macher von Wasteland 2 oder Torment: Tides of Numenera. Bevor die Rollenspiel-Spezialisten mit The Bard’s Tale 4 erneut nach Skara Brae rufen, darf man in der virtuellen Realität mit einem Zauberlehrling durch die Höhlen streifen. Für den Test haben wir uns den Monstern gestellt und mit Magie um uns geworfen.

Runde Echtzeit

Von Beginn an ist klar, dass man als Zauberlehrling nicht viel zu melden hat. Während der Zauberer Alguin noch verhältnismäßig behutsam in seiner Wortwahl mit dem Famulus umgeht, ist sein Majordomus direkter. Vor allem, nachdem der Meister nach einem spektakulären Kampf, bei dem er seine letzte Zaubermöglichkeit für den Schutz des Spieler aufwendet , von dem korrupten Gaufroid entführt wurde. Der nur als Geist auftretende und niemals um einen gleichermaßen humorvollen wie beleidigenden Kommentar verlegene Helfer des Zauberers hat den Spieler als Schuldigen ausfindig gemacht – und fordert einen auf, die Scharte des Fehlverhaltens (!) wieder auszuwetzen. Erzählerisch zwischen  dem 1988 erschienenen The Bard’s Tale 3 und dem für nächstes Jahr vorgesehenen vierten Teil der Rollenspiel-Saga angesiedelt, muss man allerdings keine Kenntnisse über das Universum besitzen, um mit The Mage’s Tale Spaß zu haben.

Um mit den Gegnern in spannenden Echtzeit-Kämpfen fertig zu werden, stehen einem Elementarzauber zur Verfügung, während man die Umgebung für seine Deckung nutzen kann.
Mit kleinen Anspielungen auf bekannte Schauplätze wie die Stadt Skara Brae, in deren Katakomben man auch herumschlurft, bekommen Fans allerdings einen kleinen Atmosphäre-Bonus. Man teilt sich allerdings ein wichtiges Merkmal mit den Klassikern: Die nur schrittweise Fortbewegung. Obwohl Kämpfe und eigentlich der komplette Spielablauf in Echtzeit erfolgen, bewegt man sich nur in etwa ein Meter kurzen Schritten. Dadurch wird aber nicht nur der Hut vor den rundenbasierten Rollenspielen gezogen, deren moderne Vertreter wie Legend of Grimrock ebenfalls die Fans begeistern. Gleichzeitig und als wichtiger einzuschätzen ist die dadurch entstehende Gefahrenminderung für Bewegungskrankheit. Selbst Kollegen, denen bei freier Bewegung normalerweise ein flaues Gefühl im Magen entsteht, konnten sich in den Gruften problemlos bewegen. Eine zusätzliche Hilfe ist die schrittweise Drehung sowie der Seitwärtsschritt, die neben der Schrittausrichtung per Kopfbewegung dafür sorgen, dass inXile hier eine geschickte und sehr subtile Einbindung der Rundenherkunft der Serie gelungen ist, die sich zudem auf das Spielgefühl auswirkt.

Deckungs-Magier

Wie es sich für Dungeon Crawler ziemt, dürfen auch Auseinandersetzungen mit Gobilns, Skeletten und anderen Monstern nicht fehlen. Es geht relativ beschaulich los: Am Anfang reicht es noch, den Pfeilen per Bewegung auszuweichen, während man seinerseits den Gegnern mit elementaren Zaubersprüchen zusetzt. Doch später wird es zunehmend wichtig, entweder die sorgsam in den abwechslungsreichen Räumen platzierte Deckung oder anderweitige schauplatzspezifische Eigenheiten zu nutzen, da man nicht einem breiten Spektrum an Feinden begegnet, die sich nicht nur auf Fernkampf festgelegt haben. In einem Raum, der von Kluften durchpflügt ist, erweist sich z.B. der Windstoß (vor allem in seiner aufgeladenen Variante) als probates Mittel: Er fegt die sich hinter Schilden versteckenden Angreifer einfach in den nächsten Abgrund. Und spätestens bei den Bosskämpfen, die jeweils am Ende der zehn großen, aber zumeist sehr linearen Areale warten, ist ein geschicktes

Neben Feuer darf man u.a. auch mit den Elementen Eis, Elektrizität oder Wind experimentieren und sich individuelle Zaubersprüche erstellen.
Zusammenspiel aus Deckung, dem Nutzen der magischen Schilde, Bewegung und diversen elementaren Angriffen gefragt. Und natürlich muss man wissen, mit welchen Angriffen die Feinde einen piesacken wollen. Bei den Skeletten z.B. ist die Reichweite des Schwertes deutlich höher als bei den Gnomen.

Möglichkeiten, die Kontrahenten in Fallen zu locken, sind eher selten. Allerdings hält The Mage’s Tale für den Spieler mehrere dieser fiesen Lebensenergie-Diebe parat. Wer seine Umgebung nicht ausreichend untersucht, wird sich eher früher als später auf irgendeiner Trittplatte wiederfinden, die einen Feuerstrahl oder sonstige Schmerzbereiter aktiviert. Doch wer geschickt ist, kann auch hier sowohl durch die schrittweise Bewegung im Spiel als auch vor allem durch Feinjustierung per aktiver Bewegung im Raum Positionen erreichen, an denen man gefahrlos den Umgebungsangriff übersteht. Und wenn alle Stricke reißen, findet man an fair gesetzten Punkten auch Heiltränke in Flaschen, die man nicht nur durch eine entsprechende Geste leeren, sondern bei Bedarf auch am Gürtel befestigen und für einen späteren Gebrauch konservieren darf. Doch es warten auch Schalter- bzw. weitere Umgebungsrätsel, die man mit geschicktem Zauber- oder Bewegungseinsatz löst und die einen mit sammelbaren Modellen und in manchen Fällen auch weiteren Heiltränken, sonstigem Sammelkram oder Gimmicks für die Erstellung von Zaubern belohnen.

Zauberlehrling

Denn wer sich den Gefahren auf dem Weg zur Befreiung von Meister Alguin stellt, darf nicht nur auf jeweils einen aktivierbaren, aber glücklicherweise nicht allmächtigen Schild pro Hand zurückgreifen, die beim Zusammenführen der Hände temporär zu einem einzigen, größeren Schutz verschmolzen werden können. Zusätzlich hat man vier Angriffszauber zur Verfügung, die man sich aber nach eigenem Gutdünken und der bevorzugten Spielweise zusammenstellen darf. Und nicht nur das: Selbst die Art und Weise, wie die Magie funktioniert und welche Auswirkungen sie auf die Gegner hat, darf man im Zauber-Labor modifizieren. Hier steht man an einem Kessel und wirft aus einer anfänglich noch kleinen, aber später stattlichen Auswahl an magischen Kugeln und Modifikatoren das Gewünschte in den Bottich und rührt schließlich um, bevor man die Zauberessenz in die Auswahlraute setzt.  

inExile baut mit stimmungsvollen Kulissen eine hohe Immersion auf.
Es beginnt mit der Wahl des Elementes wie z.B. Feuer, Eis, Elektrizität oder Wind. Danach stehen in Abhängigkeit verschiedene Zusätze wie "Zielsuchend", "Gesteuert" (mit Aftertouch, also einer Geste, nachdem der Zauber abgeschossen wurde) oder "Abprallend" zur Verfügung – mit Letztgenanntem kann man auch über Eck angreifen. Man darf aber auch Schaden über Zeit und andere Schmerz zufügende bzw. visuelle Elemente wie Konfetti bei jedem Treffer einsetzen und schließlich noch die Farbe bestimmen. Gegen Ende der zehn Abschnitte, die je nach Erfolg bei den Kämpfen und dem Bedürfnis, auch das letzte Rätsel und das letzte Geheimnis zu lüften, zwischen acht und zwölf Stunden Spielzeit beanspruchen, stehen hunderte an möglichen Kombinationen zur Verfügung - ohne Farbkombos sind es immer noch dutzende Varianten. Schade ist allerdings, dass einmal aus der Auswahlraute entfernte Zauber nicht irgendwo zwischengelagert und bei Bedarf wieder hervorgekramt bzw. weiter verändert werden können. Man muss jeden Spruch aufs Neue entwickeln – was allerdings schnell geht, wenn man weiß, was man möchte. Dennoch wäre diese Komfortfunktion ein netter Bonus gewesen. Auch die Kombination von Elementen zur Potenzierung des Effektes ist nicht erlaubt – wahrscheinlich, um die Balance nicht zu gefährden.

Ich bin ein Magier, lasst mich hier drin

Denn obwohl die anfänglich banal wirkenden Kämpfe zunehmend kniffliger werden, fühlen sich selbst die neu erlangten Zauber bzw. deren Wirkung steigernde Modifikationen nicht übermächtig an. Unter dem Strich ist nicht die Magie, sondern der Zaubernde mit seinen Fähigkeiten das Ausschlag gebende Merkmal. Selbst hartgesottene Feinde lassen sich mit dem Standardfeuerzauber aus der Anfangsphase erledigen. Und auch wenn der an den Star-Wars’schen Imperator erinnernde aufgeladene Blitzschlag gleich mehrere Gegner erfassen und malträtieren kann, wird dessen mächtig scheinende Wirkung

Es warten nicht nur Gegner, sondern auch Fallen, Rätsel und Geheimnisse in den Gewölben.
durch eine vergleichsweise quälend lange Aufladephase ausgeglichen. Es versteht sich von selbst, dass es Zauber gibt, die gegen bestimmte Kontrahenten Vorteile besitzen. Doch mit entsprechendem Aufwand und Geschick kann man auch ohne sie die lokal beschränkten Arena-Kämpfe als Sieger verlassen.  

Die Immersion in The Mage’s Tale ist trotz kleinerer Mankos enorm hoch. inXile hat eine stimmungsvolle, große sowie abwechslungsreiche Welt geschaffen, in der man viele Details entdecken kann. Man findet viele Objekte in der Umgebung, die man manipulieren darf – auch wenn sie keinen weiteren Zweck als eben diesen erfüllen. Doch das sorgt dafür, dass man als aktives Kernelement in eine visuell sehr opulent gestaltete Welt gesteckt wurde, in der es Spaß macht, sich umzuschauen, die Rätsel zu lösen und die Geheimnisse zu lüften. Selbst wenn sie in den meisten Fällen nur dazu da sind, um die beiden Archiv-Räume mit Museumsstücken zu füllen, die allerdings im Fall der  Monster-Minaturen in ihren Käfigen zu Leben erwachen, wenn man sie aufnimmt. Das Werfen bzw. die Aktivierung der Zauber nutzt ebenfalls klare, einfach zu erlernende sowie gut erfasste Gesten. Die über die Kopfbewegung laufende Zielerfassung kann in der Hektik des Gefechtes allerdings  fahrig werden, da sie zu schnell wieder aus dem "Erfasst"-Zustand herausschnappt. Und bei den im Nachhinein steuerbaren Zaubern wirkt das Bewegungs-Tracking ebenfalls übermäßig sensibel – weswegen ich im Zweifelsfall auf Ziel suchende Varianten umgestellt habe.

Fazit

Mit einem Umfang von etwa acht bis zwölf Stunden gehört The Mage’s Tale zu den umfangreicheren Abenteuern, die man derzeit in VR erleben darf. Doch die Zauberaction, die erzählerisch zwischen den Teilen 3 und 4 von The Bard’s Tale liegt, zeigt auch noch andere Qualitäten: Die stimmungsvolle Kulisse z.B. sorgt mit ihren abwechslungsreichen Schauplätzen, intelligenten Rätseln, Fallen sowie den zahlreichen, für den Spielverlauf häufig irrelevanten Interaktionsmöglichkeiten für eine hohe Immersion. Mit der schrittweisen Fortbewegung zieht man nicht nur den Hut vor den Ursprüngen der Serie, sondern erstickt zudem jegliche Anflüge von Bewegungskrankheit im Keim. Von dieser quasi rundenweisen Bewegung darf man sich aber nicht einlullen lassen: Sobald es an Kämpfe geht, werden die selbst hergestellten Zauber gnadenlos in Echtzeit abgefeuert. Und das gleichermaßen effektvoll wie intuitiv, wobei die Zielerfassung per Kopf ebenso übersensibel reagiert wie die „Aftertouch“-Steuerung. Zudem ist es schade, dass man mit einem stabilen Magen nicht einmal optional auf komplett freie Bewegung oder Drehung per Stick umschalten darf. Auch dass die einmal hergestellten und wieder abgelegten Zauber nicht in irgendein Archiv wandern, aus dem man sie unkompliziert erneut hätte aufrufen können, ist bedauerlich. Doch selbst mit diesen Mankos fällt es sehr schwer, sich der wahrlich magischen Anziehung des ersten VR-Abenteuers von inXile zu entziehen.

Pro

ansehnliche Kulisse
hohe Immersion
bis auf wenige Ausnahmen gute Gestenerkennung
sauberes Tracking
Selbstbau von Zaubersprüchen
Umgebungsrätsel und Fallen in den Dungeons
spannende Bosskämpfe
viel Geheimnisse zu entdecken
angenehm fieser Sidekick
Interaktion mit vielen Requisiten möglich
liegt erzählerisch zwischen Bards Tale 3 und 4
zehn große Abschnitte
schrittweise Fortbewegung eine gelungene Hommage an die Dungeon-Crawler-Herkunft

Kontra

"Aftertouch" bei Zaubern mitunter ungenau
abgelegte Zauber können nicht archiviert und wieder aufgerufen werden
Zielerfassung per Kopf sehr sensibel
Dungeonerforschung bleibt linear
Elemente können nicht kombiniert werden (z.B. Feuer/Wind)
keine "freie" Fortbewegung möglich

Wertung

OculusRift

Ansehnliches sowie actionreiches Zauberabenteuer in VR, das sorgsam in das Bard's-Tale-Universum eingebettet wurde.

VirtualReality

Ansehnliches sowie actionreiches Zauberabenteuer in VR, das sorgsam in das Bard's-Tale-Universum eingebettet wurde.

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