Kolumne

hundertprozent subjektiv

KW 46
Mittwoch, 12.11.2014

Wie entsteht Immersion?


Alien: Isolation ist ein sträflich unterschätztes Spiel!

Nein, nicht wegen Michaels Test, der die ständige Bedrohung durch das mächtige Alien hervorragend wiedergibt. Auch nicht wegen vieler anderer Besprechungen, die den zähen Weg zum Finale sowie andere Schwächen kritisieren.

Allerdings beherrscht Alien: Isolation etwas, das zu Unrecht kaum Beachtung findet:

Immersion.

Der Begriff ist allgegenwärtig, aber was bedeutet er eigentlich?

Er meint die Illusion, sich in einer virtuellen Umgebung zu wähnen. Im Fall von Alien: Isolation also nicht nur einen hübschen Lüftungsschacht aus den Augen Amanda Ripleys anzusehen und sie gen Ausgang zu geleiten, sondern sich wie ein Teil der projizierten Welt zu fühlen. Sich vor dem Alien zu fürchten und im Dunst der Klimaanlage zu verstecken.

Diese Spannung, das ist Immersion. Sie entsteht durch überzeugende  Kulissen, durch Figuren, deren Motive und Handlungen nachvollziehbar sind. Und sie wird getragen von Aktionen des Spielers, die im Rahmen der virtuellen Welt logisch sind.

Doch genau daran scheitern die meisten Spiele.

Natürlich: Das Hacken eines Schlosses gibt es in vielen Abenteuern. Umgebungsscanner sind nichts Neues. Das Bedienen von Computern schon gar nicht, das Umlegen von Türgriffen noch weniger. Umso erstaunlicher, dass es sich dabei so selten um Aktionen handelt, die der Spieler faktisch nachahmt.

So wie in diesem Horrortrip. Der große Schraubenschlüssel etwa, der festsitzende Muttern löst: Ähnlich wie Ripley ihn mit beiden Händen packt und zur Seite schiebt, zieht man beide Schultertasten und drückt den Analogstick nach links – in anderen Spielen gibt ein schnöder Knopfdruck den Weg frei. Hat man Pech, muss man einen Gabber-Rhythmus ins Gamepad prügeln.

Ein anderes Beispiel ist das Bedienen kleiner Terminals, um Lautsprecher oder Kameras einzuschalten. Die meisten Abenteuer zurren den Blick des Spielers in solchen Momenten vor einer Schalttafel fest – in Alien: Isolation dreht man den Kopf, um die Übersichtskarte auf der rechten Seite zu lesen, und zurück, um das gewünschte System zu aktivieren. Oder man schaltet blind. Dass das geht, fühlt sich schon "richtig" an.

Selbst das aus vielen Spielen bekannte Hacken wird plastischer dargestellt als gewohnt, denn während man mit dem linken Analogstick einen Hebel ständig in Position hält, wählt man mit dem rechten Stick Codes an, bevor man sie per Knopfdruck eingibt. Man sieht das Werkzeug nicht nur auf dem Bildschirm, man spürt es in den eigenen Händen. Das Gamepad wird zur greifbaren Verbindung zwischen Wirklichkeit und Spielwelt.

Das ist Immersion!

Jedenfalls ein Teil davon. Immersion ist ja kein einzelnes Element, sondern entsteht, wenn Grafik und Ton, Inhalte und Interaktives ineinandergreifen. Letzteres wird allerdings trotz kleiner Fortschritte in den vergangenen Jahren meist vernachlässigt. Häufig sind Spiele nur darauf bedacht, dass möglichst viele Aktionen möglichst unkompliziert erreichbar sind.

Dabei macht eine Steuerung, die das Agieren in einer anderen Welt glaubhaft vermittelt, den Spieler erst zum wirklich Handelnden. Die Entwickler des Virtual-Reality-Headsets Oculus Rift sprechen oft vom gefühlten Dasein in einer virtuellen Umgebung. Ein Spiel wie Alien: Isolation erzeugt diesen Effekt schon jetzt.

Selbstverständlich schaffen andere Titel das im Kleinen auch. Alien: Isolation legt aber eine Sorgfalt an den Tag, die in diesem Zusammenhang selten ist.

In Deus Ex: Human Revolution konnte man sich während des Hackens etwa umsehen, um nach Wachen Ausschau zu halten. In ZombiU musst man nach unten auf den Controller schauen, wenn die Spielfigur ihren Rucksack auf den Boden stellt, um darin zu suchen. In Resident Evil 6 klettert man an einem Seil, indem man abwechselnd die Schultertasten greift. Alles Kleinigkeiten – die dafür sorgen, dass man das Gesehene aktiv miterlebt.

Denn deshalb ist die Immersion so wichtig: Damit Spiele nicht auf einer Mattscheibe flimmern, sondern zum Erlebnis werden. Herausforderungen an die Fingerfertigkeit sind schön und gut. Doch die hohe Kunst des modernen Spiels ist das packende Erlebnis.

Und die Steuerung ist ein sträflich unterschätzter Baustein, um ein solches zu kreieren.


Benjamin Schmädig
Redakteur

 

Kommentare

Veldrin schrieb am
Schönes Schlusswort mit leicht verstörender Note. :mrgreen:
mr archer schrieb am
Hier wird nun doch überwiegend auf die Verbindung Spieler - Eingabe - Geschehen im Spiel abgehoben. Als alter Ego-Perspektiven-Fetischist seit seligen Doom-Tagen verstehe ich das natürlich. Ich muss aber sagen, dass es für mich auch immer die Titel gab, wo die allgemeine Spielatmosphäre in Verbindung mit der präsentierten Geschichte bei mir den Immersions-Softspot gestreichelt hat, ohne dass die Haptik oder das Gameplay da jetzt irgendwie revolutionär gewesen wären. Die wären bei mir sogar deutlich in der Mehrheit.
Was ich damit sagen bzw. von anderen Mitforisten wiederholen will: Immersion ist nicht planbar, da sie vom Spieler als komplexem und jeweils einzigartigem Subjekt abhängt. Sie stellt sich ein. Oder nicht.
Agitari schrieb am
Ich glaube, dass die Möglichkeit in eine Spielwelt "einzutauchen," das ist, was ein gutes Spiel von einem schlechten Spiel unterscheidet.
Gerade bei Survival-Spielen hat es doch ein gewisses "Panik-Element", wenn man unter Zeitdruck eine bestimmte Aufgabe ausüben muss.
Bei den meisten Spielen sind das Quicktime-Events und das finde ich zum Kotzen. Gerade beim ansonst genialen God of War 3 haben mich Quicktime-Event so dermaßen angekotzt. Das war überhaupt nicht intuitiv!
Heavy Rain ist wohl ein sehr gutes Beispiel. Vom Gameplay her mag es simpel, teilweise stupide sein, aber die Interaktion mit dem Controller spielt eben doch eine große Rolle.
Bei Killzone 2 fand ich es super, als man den Controller drehen musste, um ein Tor zu bewegen usw. Bei Teil 3 haben sie das dann meines Wissens nicht mehr so oft eingebaut, was ich schade finde.
Auf jeden Fall werde ich mir Alien Isolation mal zu Gemüte führen. Allein weil ich ein großer Alien-Fan bin.
Veldrin schrieb am
@Admiral Thrawn +1
@Kajetan +1
@Lord Hesketh-Fortescue +1
Und die ich vergessen habe +1
@G34RWH33L +1
Das habe ich z.B. an Mirror?s Edge so gemocht. Solche Animationskleinigkeiten die tragen dazu bei besser ins Spiel eintauchen zu können. Es gibt unzählige Faktoren die einem die Immersion erleichtern. Immersion kann man nicht erschaffen, das geschieht im Kopf, aber man kann ein Spiel in sich so konsequent gestalten, dass es das Eintauchen des Spielers in die Welt erleichtert. Angefangen bei glaubwürdigen Charakteren und Entscheidungen. Einer realistischen Grafik, sinnvoll umgesetze Steuerungsmechaniken, eine mitreißende Geschichte, stimmungsvolle Musik etc. pp. Es muss nicht alles zusammenkommen, das sind nur Beispiele.
Umgekehrt gibt es natürlich auch Dinge die mich aus der Immersion rausreißen können. Unglaubwürdige Charaktere z.B. oder casualisierte/überladene Bildschirmanzeigen. Kommt natürlich immer aufs Genre drauf an. In einem Strategiespiel kommt man ohne HUD natürlich nicht sehr weit. In Mirror?s Edge habe ich z.B. das Wegfindungsgeblinke abgeschaltet, was in dem Spiel soweit ich mich erinnere der einzige Immersionskiller war. Assassins Creed dagegen ist ein Beispiel dafür was man alles tun sollte, will man dem Spieler das Ins-Spiel-Eintauchen so schwierig wie möglich gestalten. Aber auch da sieht man wie subjektiv sowas ist. Ein Freund verschlingt die AC-Teile geradezu, und hat Spaß an der anspruchslosen Kletterei und der ? zugegebenermaßen ? tollen Inszenierung, und stört sich an solchen Kleinigkeiten wie Gegneranzeige und Wegfindungsmaker etc. nicht.
Achja der größte Immersionskiller überhaupt für mich sind Achievements. Auch da hab ich einen Freund, der die Dinger sammelt und jagt als wären es Bonbons. Ja, er spielt sogar Spiele nur wegen der Achievements um damit auf 100% Komplettierungsrate in seinem Steamprofil zu kommen.
Ich hasse Filler, mochte sie noch nie in Spielen. Nebenmissionen in Rollenspielen gehe ich meist aus dem Weg (Ausnahme Fallout 3), und...
WH173W0LF schrieb am
Etwas was mir auch immer wieder auffällt. In vielen Games fehlen die Animationen wie Türen, Truhen, Kommoden, Schränke mit der Hand geöffnet werden oder Gegenstände korrekt von Ihrem Platz genommen oder abgelegt werden. War sehr auffällig beim Skyrim Trailer wo die Hände des Helden bei der Egoansicht immer irgendwie im Bild waren. Beim fertigen Spiel sieht man seine Hände in Ego nur man bewaffnet ist. Deus Ex Human Revolution zeigt Adams Hände beispielsweise auch beim Sprinten. Das sind wichtige Kleinigkeiten und etwas davon macht Zelda seit "Ocarina of Time" beispielsweise bezüglich Türen und Truhen schon sehr lange richtig. Für mich ist das oft ein "Herzblutindikator"
schrieb am