Wie entsteht Immersion?
Alien: Isolation ist ein sträflich unterschätztes Spiel!
Nein, nicht wegen Michaels Test, der die ständige Bedrohung durch das mächtige Alien hervorragend wiedergibt. Auch nicht wegen vieler anderer Besprechungen, die den zähen Weg zum Finale sowie andere Schwächen kritisieren.
Allerdings beherrscht Alien: Isolation etwas, das zu Unrecht kaum Beachtung findet:
Immersion.
Der Begriff ist allgegenwärtig, aber was bedeutet er eigentlich?
Er meint die Illusion, sich in einer virtuellen Umgebung zu wähnen. Im Fall von Alien: Isolation also nicht nur einen hübschen Lüftungsschacht aus den Augen Amanda Ripleys anzusehen und sie gen Ausgang zu geleiten, sondern sich wie ein Teil der projizierten Welt zu fühlen. Sich vor dem Alien zu fürchten und im Dunst der Klimaanlage zu verstecken.
Diese Spannung, das ist Immersion. Sie entsteht durch überzeugende Kulissen, durch Figuren, deren Motive und Handlungen nachvollziehbar sind. Und sie wird getragen von Aktionen des Spielers, die im Rahmen der virtuellen Welt logisch sind.
Doch genau daran scheitern die meisten Spiele.
Natürlich: Das Hacken eines Schlosses gibt es in vielen Abenteuern. Umgebungsscanner sind nichts Neues. Das Bedienen von Computern schon gar nicht, das Umlegen von Türgriffen noch weniger. Umso erstaunlicher, dass es sich dabei so selten um Aktionen handelt, die der Spieler faktisch nachahmt.
So wie in diesem Horrortrip. Der große Schraubenschlüssel etwa, der festsitzende Muttern löst: Ähnlich wie Ripley ihn mit beiden Händen packt und zur Seite schiebt, zieht man beide Schultertasten und drückt den Analogstick nach links – in anderen Spielen gibt ein schnöder Knopfdruck den Weg frei. Hat man Pech, muss man einen Gabber-Rhythmus ins Gamepad prügeln.
Ein anderes Beispiel ist das Bedienen kleiner Terminals, um Lautsprecher oder Kameras einzuschalten. Die meisten Abenteuer zurren den Blick des Spielers in solchen Momenten vor einer Schalttafel fest – in Alien: Isolation dreht man den Kopf, um die Übersichtskarte auf der rechten Seite zu lesen, und zurück, um das gewünschte System zu aktivieren. Oder man schaltet blind. Dass das geht, fühlt sich schon "richtig" an.
Selbst das aus vielen Spielen bekannte Hacken wird plastischer dargestellt als gewohnt, denn während man mit dem linken Analogstick einen Hebel ständig in Position hält, wählt man mit dem rechten Stick Codes an, bevor man sie per Knopfdruck eingibt. Man sieht das Werkzeug nicht nur auf dem Bildschirm, man spürt es in den eigenen Händen. Das Gamepad wird zur greifbaren Verbindung zwischen Wirklichkeit und Spielwelt.
Das ist Immersion!
Jedenfalls ein Teil davon. Immersion ist ja kein einzelnes Element, sondern entsteht, wenn Grafik und Ton, Inhalte und Interaktives ineinandergreifen. Letzteres wird allerdings trotz kleiner Fortschritte in den vergangenen Jahren meist vernachlässigt. Häufig sind Spiele nur darauf bedacht, dass möglichst viele Aktionen möglichst unkompliziert erreichbar sind.
Dabei macht eine Steuerung, die das Agieren in einer anderen Welt glaubhaft vermittelt, den Spieler erst zum wirklich Handelnden. Die Entwickler des Virtual-Reality-Headsets
Oculus Rift sprechen oft vom gefühlten Dasein in einer virtuellen Umgebung. Ein Spiel wie Alien: Isolation erzeugt diesen Effekt schon jetzt.
Selbstverständlich schaffen andere Titel das im Kleinen auch. Alien: Isolation legt aber eine Sorgfalt an den Tag, die in diesem Zusammenhang selten ist.
In
Deus Ex: Human Revolution konnte man sich während des Hackens etwa umsehen, um nach Wachen Ausschau zu halten. In
ZombiU musst man nach unten auf den Controller schauen, wenn die Spielfigur ihren Rucksack auf den Boden stellt, um darin zu suchen. In
Resident Evil 6 klettert man an einem Seil, indem man abwechselnd die Schultertasten greift. Alles Kleinigkeiten – die dafür sorgen, dass man das Gesehene aktiv miterlebt.
Denn deshalb ist die Immersion so wichtig: Damit Spiele nicht auf einer Mattscheibe flimmern, sondern zum Erlebnis werden. Herausforderungen an die Fingerfertigkeit sind schön und gut. Doch die hohe Kunst des modernen Spiels ist das packende Erlebnis.
Und die Steuerung ist ein sträflich unterschätzter Baustein, um ein solches zu kreieren.
Benjamin SchmädigRedakteur