Jörg Luibl
Der Spieler am tragischen AbgrundEine Kolumne von Jörg Luibl, 19.01.2016

Was? Er ist tot? Sie kommt nicht wieder? Das darf nicht wahr sein! Das kann er nicht machen! Wenn lieb gewonnene Charaktere in Buch, Film oder Spiel sterben, ist man erstmal schockiert. Vielleicht beginnt man sogar zu trauern. Vor allem, wenn man eine persönliche Beziehung zu Charakteren aufbauen konnte, weil einem die Welt des Erzählten immer vertrauter wurde. In The Last of Us hat mich der Kloß im Hals jedenfalls tief in die Couch sinken lassen – aber diese emotionale Anteilnahme musste sich das Spiel über Jahre erarbeiten.

Dabei war der Tod seit Anbeginn der Videospielära ein Dauergast auf dem Bildschirm. Zumeist zeigte er sich in Form der schnöden Lebenspunktenull, die angesichts der schnellen digitalen Wiedergeburt auch nicht besonders nachdenklich stimmen musste. Okay, in der Spielhalle konnte das letzte Fünfmarkstück durchaus für Trauer sorgen. Spätestens an C64, Amiga & Co hieß es: Ein Knopfdruck und weiter geht’s! Es ist auch herrlich erlösend, dass das Spiel so eine servicefreundliche Religion ist. Zumal es im Arcade-Himmel auch noch so viele Götter gibt.

Aber für eine intimere Beziehung als den Flow braucht es mehr als Highscore hier, Trophäen da. In den letzten Jahren wurden immer mehr Spiele entwickelt, die zum Nachdenken, Reflektieren oder Mitfühlen anregten, weil sie auch die Schattenseiten des Menschlichen thematisierten. Tod und Trauer, Verlust und Krieg waren schon immer Facetten, vor allem in Rollenspielen von Final Fantasy bis Mass Effect, aber erst dank der Independent-Entwicklung wurden sie auch Grundpfeiler des Spieldesigns und damit zentrale Elemente der Regie.

In der Hüpf- und Springmetapher Papo & Yo begegnete man als kleiner Junge der Bestie des Alkohols; im gnadenlosen Papers, Please wurde man Teil einer brutalen Staatsbürokratie; in This War of Mine erlebte man die Schrecken des Krieges aus der Perspektive der zivilen Opfer, die plötzlich selbst zu Tätern werden konnten. Schon Metal Gear und später deutlicher Spec-Ops: The Line hatten Züge von Anti-Kriegsspielen, aber waren in dieser Hinsicht nicht so konsequent, denn es gab meist Brüche zwischen dem moralisch Gewollten und dem aktiv Gespielten. Auch Brothers: A Tale of Two Sons gelingt im kooperativen Kampf gegen den Tod eine spielerische Symbiose.

Bei aller kulturellen Freude darüber, dass das Medium Spiel endlich das schlechte Gewissen, den familiären Schmerz oder besser: die Tragik für sich entdeckt: Letztlich kommt es nie darauf an, was in einem Spiel erzählt wird, sondern nur darauf, wie es inszeniert wird. Nur weil es um Aids, Abtreibung, Kindersoldaten, Tierquälerei, Vergewaltigung,  Terrorismus oder Nationalsozialismus geht, wird ein Spiel aus der Perspektive eines Kritikers nicht umgehend wertvoller oder wichtiger – höchstens für die Politik oder den Jugendschutz. Aber selbst diese Hysterie scheint ja, zumindest links der Oder, vorbei.

Sobald man „Press Start“ drückt, muss hinter dem Vorhang mehr sein als ein Vorleser mit einem heiklen oder emotionalen Text. Es muss auch so dargestellt werden, dass eine Brücke zwischen Bühne und Publikum, also Spiel und Spieler entsteht. Es reicht nicht, ernste Themen anzugehen, man muss sie auch so kreativ in die Handlungen des Spielers integrieren, dass man ein emotionaler Teil davon werden kann - selbst wenn es bedeutet, dass man in Abgründe rutscht. Hatred hat in dieser Hinsicht viele Chanchen liegen lassen, hat nicht den Amoklauf als psychologisches Thema inszeniert, sondern langweilige Zweistick-Action plakativ aufgemotzt. Wie man es gut macht, haben die vier oben erwähnten Spiele demonstriert.

Wie man es nicht gut macht, zeigt aktuell auch That Dragon, Cancer. Man erlebt den Kampf gegen Krebs aus der Perspektive diverser Familienmitglieder. Obwohl die Geschichte dahinter eine tragische und die Entwicklung angesichts der authentischen persönlichen Hintergründe unheimlich mutig und aufwühlend ist, bleibt man letztlich Zuschauer - was für eine Dokumentation vollkommen ausreichen würde. Aber ein Spiel braucht eine Verbindung. Man vermisst hier natürlich keinen schnöden Flow, sondern viel eher einen unbarmherzigen Strudel mit mehr Handlungen, Entscheidungen und Konsequenzen. Das Spiel scheitert, weil es den Spieler an seinem tragischen Abgrund vergisst.


Jörg Luibl
Chefredakteur

PS: Benjamin erläutert in seinem Test zu That Dragon, Cancer ausführlich, woran das Spiel scheitert.

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