Jörg Luibl
Die Macht des ArtdesignsEine Kolumne von Jörg Luibl, 27.06.2017
Ich erinnere mich noch ganz genau an diesen magischen Moment in der Buchhandlung. Als ich neun oder zehn Jahre alt war, hat mich das Cover eines Taschenbuchs so gefesselt, dass ich es sofort kaufen musste. Dabei kannte ich weder diesen Terry Brooks noch wusste ich etwas mit "Das Schwert von Shannara" anzufangen. Aber dieses Bild hat mich unwiderstehlich angezogen, es war wie ein Türöffner für meine Fantasie.

Was war zu sehen? Drei mit Schwert und Bogen bewaffnete Gestalten standen staunend vor einem gleißenden Schwert. Klingt nicht gerade spannend, aber aufgrund der warmen Farben und Schatten, vielleicht auch aufgrund der archetypischen Charaktere oder des mittelalterlichen Hintergrundes hatte diese Szene eine besondere Ausstrahlung auf mich. Oder lag es einfach daran, dass ich am am liebsten Robin Hood gewesen wäre und mit Playmobil-Rittern spielte? Irgendeine Sehnsucht in mir reagierte jedenfalls.

Heute schmunzle ich darüber, wenn ich den goldgelockten Elfen sehe, zumal die TV-Serie "Die Legenden von Shannara" für mich kaum zu ertragen ist und die Welt inhaltlich wie ein Abklatsch von Tolkiens Schöpfung wirkt. Aber die Brüder Hildebrandt haben mich mit ihren Illustrationen für Fantasyliteratur begeistert - ihr Artdesign steht für märchenhaftes Abenteuerflair, für Lagerfeuer, Magie und Monster. Und das hatte so lange exklusive Macht über mich, bis ich auch die düsteren, bizarren und experimentellen Facetten des Genres bis hin zu Simon Bisleys Slaine-Saga sowie die Science-Fiction zu schätzen lernte.

Manchmal vermisse ich diese Kindheit, in der einen Bilder noch so verzaubern konnten. Heute werde ich jeden Tag von visuellen Reizen überschüttet, jede Woche rauschen gefühlt hunderte Spiele an mir vorbei. Vieles davon landet in null Komma nichts im Papierkorb. Innerhalb von wenigen Sekunden entscheide ich - oder vielleicht besser: wird schon unbewusst entschieden - was mir gefällt. Und das ist nicht viel. Aber es gibt sie noch, diese besonderen Momente.

Für mich gibt es da drei Stufen: Die sofortige Ablehnung, die zustimmende Akzeptanz und die außergewöhnliche Faszination. Neunzig Prozent der Spiele landen in der ersten und zweiten Kategorie, denn das gut zu verkaufende Mittelmaß regiert die Branche. Nur ganz wenige schaffen es auf diese höchste Stufe, auf der Spiele über das bloße Äußere hinaus eine ganz eigene Ästhetik und damit auch eine Art sinnliche Anziehungskraft verströmen - natürlichen fließen in Bewegung sofort musikalische Reize sowie Animationen mit ein.

Dabei geschieht manchmal etwas auf der emotionalen Ebene, das man kaum erklären kann, denn sowohl das Gemütliche und Chaotische, das Zauberhafte und Schreckliche, das Realistische und Bizarre, das Reduzierte und Barocke können faszinieren - selbst eine Benutzeroberfläche! Bei mir gibt es z.B. zwischen Okami, Journey, Banner Saga, ICO, Swords & Sworcery, Ni No Kuni, Hohokum, Sorcery, Bloodborne, Dishonored, Shadow of the Colossus, Monument Valley und Darkest Dungeon keine klare Linie. Und warum fühle ich mich so zum reduzierten Baukastenflair eines Faster Than Light hingezogen? Vermutlich sind Captain Future und LEGO schuld.

Wir reagieren aufgrund unserer Persönlichkeit, unserer Sehnsüchte und Wünsche ganz anders auf Motive und Welten. Und was den einen fasziniert, stößt den anderen ab. Stichwort: Bayonetta oder Southpark - da kann ich z.B. nix mit anfangen, obwohl beide rein handwerklich sehr gut sind. Genauso wenig wie mit Kulleraugen und RPG-Maker-Sprites. Das Thema der Darstellung ist dabei aber nicht so relevant wie die Art seiner Inszenierung. Sprich: Ich bin zwar Freund düsterer Fantasy, aber Battle Brothers oder Lords of the Fallen lassen mich visuell kalt, während bei Darkest Dungeon oder Darks Souls ein Funke überspringt.

Man darf dabei nicht vergessen: Ein großartiges Spielerlebnis braucht kein faszinierendes Artdesign! Man nehme aktuell Prey oder The Legend of Zelda: Breath of the Wild - beide sehen richtig gut aus, beide sorgen für Stimmung, aber keines konnte ästhetisch diese besondere Magie verströmen - zumindest nicht bei mir. Und umgekehrt gilt natürlich: Ein großartiges Artdesign garantiert kein faszinierendes Spielerlebnis! Warten wir mal ab, wie sich das auf der E3 aufgrund seiner visuellen Reize gelobte The Last Night spielt.

Das Schöne ist: Die Spielewelt hat noch nicht mal ansatzweise das ausgeschöpft, was ästhetisch möglich wäre! Man muss sich nur mal anschauen, was Künstler auf Deviant Art , im Beautiful Bizarre Magazine oder bei Between Mirrors an Kreaturen, Kulissen, Stimmungen und Welten erschaffen. Manchmal fühl ich mich dann doch wieder wie ein Knirps, wenn ich etwas sehe und mir denke: Verdammt wär das cool, wenn die dazu ein Spiel machen würden!


Jörg Luibl
Chefredakteur

PS: Mehr zum Thema inkl. konkreter Beispiele findet ihr auch im 4Players-Talk mit Ben und Jan.
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.