Jörg Luibl
Spielen an der OberflächeEine Kolumne von Jörg Luibl, 06.06.2018
Da hinten ist es schon wieder: Der Schrank, die Kiste, die Truhe - alles glänzt, also nix wie hin! In den ersten Stunden habe ich mich noch gewehrt. Aber jetzt grase ich alles stoisch ab, was blinkt. Ich jogge durch den Raum und drücke bei jedem Glitzern X, damit die Beute in meinem Inventar landet. Eigentlich verhalte ich mich wie in einem Arcade-Racer für Kleinkinder, bei dem man nahezu ohne Speed bunte Ziele ansteuern muss, ohne dass einem was passieren kann...

...dabei befinde ich mich in einem Action-Rollenspiel namens Vampyr. Im London des Jahres 1918 in einem Herrenhaus, in dem ein Geheimbund von Vampiren das Sagen hat. Einer hat mich zunächst grimmig durch einen Sichtschlitz begutachtet, bevor er mir widerwillig mit seinen kalten Augen die Tür öffnete - sein Meister will mich sehen. Kaum mache ich die ersten Schritte, sehe ich überall Leichen. Der untote Blutsauger in Schwarz steht an der Treppe und schaut mich misstrauisch an. Laut der Story sowie dieser Szene kann ich nicht sicher sein, ob ich gleich angegriffen werde!

Aber da hinten blinkt ein Schrank, direkt hinter dem Vampir. Und etwas weiter weg im Saal sehe ich auch schon was glitzern. Und weil ich das seit Stunden so machen kann, mach ich weiter. Also jogge ich locker zu diesem Vampir, öffne wie ein dreister Dieb den Schrank hinter ihm, bevor ich überall im ganzen Erdgeschoss alles abgreife, was ich kriegen kann. Hey, da ist ein verschlossener Keller? Irgendwo sacke ich den passenden Schlüssel ein, schließe ihn auf und entdecke eine geheime Notiz über diesen Geheimbund. Ach so: Ich muss ja noch zum Hausherren! Ganz ruhig: Erstmal den zweiten Stock plündern...

Jeder Pen&Paper-Rollenspielleiter würde von seiner Gruppe gelyncht werden, wenn er diesen Bruch der Glaubwürdigkeit zulassen würde, der die Immersion sofort zerstört. Und Dontnod lässt ein potenziell gutes Abenteuer in diesen Situationen verdammt schlecht aussehen. Moment: Immersion ist ein nichtssagender Begriff. Viel schöner ist das Eintauchen. Oder noch besser: das Abtauchen. Das beschreibt zumindest mein Erlebnis beim Spielen von fesselnden Abenteuern wunderbar. Da bewege ich mich wie ein Taucher vorsichtig, schaue mich um und erwarte eine Gefahr oder Schätze im Verborgenen.

In der Szene oben wurde genau dieses Spannung durch die Story aufgebaut und von der primitiven Spielmechanik konterkariert. Noch schlimmer: Das auf Crafting fokussierte Spieldesign konditioniert, nein nötigt mich sogar, alles robotisch einzusacken. Wer immer das bei Dontnod oder Focus Interactive durchgewunken hat, sollte künftig nur noch Mobile Games entwickeln dürfen. Beute und Bastelei sind natürlich nicht per se schlecht - aber ein God of War, ja selbst ein The Last of Us konnte eher trotz statt aufgrund dieser Mechanik begeistern, die in viel zu vielen Spielen mittlerweile zum Standard gehört. Ich kann Zutaten und Rohstoffe, Arbeitstische und Labore, nicht mehr sehen.

Die maritime Metapher ist auch ganz gut geeignet, um zu verdeutlichen, auf welcher Ebene manche Abenteuer dahin plätschern, die auf der einen Seite eine glaubwürdige Geschichte und Welt inszenieren wollen, aber sich gleichzeitig der All-you-can-grab-Mentalität bis ins Extrem verschreiben. Man treibt als Spieler nur wie Holz an der Oberfläche, wird nicht mit in die Tiefe gezogen. Denn schon beim Schwimmen kann man ja genau erkennen, was sich auf dem Grund verbirgt. Statt einer Dunkelheit mit schemenhaften Bewegungen erkennt man eine hell ausgeleuchtete Leere, in der Vampire nicht beißen und Spiele zerbrechen.

Also: Kann mal einer dieses Glitzern abschalten?

Jörg Luibl
Chefredakteur

Mehr dazu auch im Video-Epilog zu Vampyr.
Kommentare

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Zachkariio

Oder die Elder Scrolls-Lösung: Du wirst in dem besser, was du oft machst. Super logisch und dein Spielstil passrt immer zu dem was du levelst, ist wenn man es manuell macht nicht gegeben, so kannst du in Diablo nie zaubern aber unter der Haube der Merlin sein.
Dieser Aspekt der Elder Scrolls kann ich nicht genug loben.
Wobei dieser Aspekt aber auch seine eigenen Nachteile hat. Ich erinnere mich da an Dungeon Master, wo es eine valide Methode war, mehrere Minuten lang gegen eine Wand zu zaubern und seinen Zauberskill zu erhöhen... Oder gegen Wände zu schlagen, um seine Stärke zu erhöhen etc...

Bei den "Pit of Death"-Spielen wurde das Ganze auch etwas frustig umgesetzt: Nach jedem Levelup kann man Skillpunkte verteilen. Skills, die man während des vorigen Levels einmal benutzt hat, kosten beim Upgrade nur die Hälfte. Was dazu führte, dass nach jedem Levelup die Waffe gewechselt wurde, um beim bevorstehenden Levelup ja überall die Vergünstigung zu haben...

Ne, ich bin ehrlichgesagt kein Fan dieser Spielmechanik^^.
Ja, ich weiß die Antwort kommt spät, bin nicht so oft eingeloggt. :)
Natürlich kann man alles schlecht implementieren. Stell dir mal vor jeden Schlag den man mit einer Waffe macht, verletzt irgend einen Gegner im Level, egal wo dieser steht. Sofern man bei dem Elder Scrolls System nur die Treffer aufleveln die Gegner treffen/töten ist es ein faires und logisches System.
Sofern man überhaupt ein System zum aufleveln benötigt, das war mal schön, mittlerweile nimmt es aber Überhand, da es in gefühlt jedem Spiel vorkommt. Die Gründe sind klar, es führt in der Theorie dazu, dass man länger am Spiel hält, da es immer neue Mechaniken/Möglichkeiten verspricht und die Spielweise individualisieren kann und wir alle wissen ja, heutzutage ist es am wichtigste wiiie verdammt individuell und einzigartig man ist, selbst im Spiel. Bei Zelda war das noch ein Teil der Erzählung, da es aufzeigte, wie sehr man gewachsen ist um vom einfachen Jungen zum Retter des Königreichs zu werden, die klassische Geschichte, die bereits Jason, Perseus, Sigfried, Artur und auch Luke Skywalker durchgemacht haben.
Ich will auch nicht die Elder Scrolls-oder Fallout-Spiele verteidigen, hab noch keines von ihnen durchgespielt, maximal bis etwa zur Hälfte und unter meinen Lieblingsspielen sind mit der Ico-Trilogy, Hellblade, Mirror's Edge, Sands of Time-Trilogy, Soul Reaver 2 usw. nur ein paar Spiele wie Nier, Demon's Souls oder Bloodborne, die aufleveln in irgend einer Form beinhalten. Doch wenn es unbedingt sein muss, ist das Elder Scrolls System, rein konzetionell, eines das es hervorzuheben gilt. Da Hellblade zuletzt etwas aufgemischt hat, ist jedoch zu hoffen, das diese Art der Spiele wieder mehr Beachtung finden.

vor 5 Jahren
Zachkariio

@Veldrin
Scheinbar gibt es doch sehr viele, die diese Design-Entscheidung nervt. Ich hab am liebsten auch nur eine oder wenige Waffen und wenn nicht benutze ich meistens die Standard-Waffen. Als Lara Doppel-Pistolen, als Raiden und Ryu das Katana, selbst in Bloodborne hab ich lange mit dem Cover-Set gespielt (bis die Blades of Mercy kamen, die waren einfach zu cool!). Beim ersten Durchlauf hab ich gerne die cineastische Variante, was eben zu Charakter passt oder gehört. Beim zweiten Durchgang kann man herumspielen mit Waffen, Kostümen und sonstigem. Selbst in Diablo II hab ich aus dem Grund zunächst den Paladin genommen, weil er mir als der logischste Gegner des Höllenfürsten erschien. Das ist jedoch eine persönliche Vorliebe.

Bei Spielen, bei denen es auf den Wechsel der Waffen (für die richtige Situation) ankommt, wie Doom oder Shadow Warrior 2 sehe ich das nicht so eng, da gehört es zum Kernkonzept und ich denke, sie fallen auch nicht in deine Kategorie, da sie es mit dem Realismus ohnehin nicht zu erst nehmen. :)

Dein Problem mit dem Holster und auf dem Rücken tragen hat das vorhin bereits mehrfach erwähnte The Last Of Us ganz pfiffig gelöst, da man in Echtzeit im Rucksack herumfummeln musste, um was anderes auszuwählen. Oder ganz extrem bei Hitman, der den Koffer mit dem Scharfschützengewehr mit sich herum tragen muss...und es dann langsam zusammenbauen.

Ich denke der Grund warum uns das mit den vielen Waffen und der Traglast so nervt oder zumindest negativ auffällt, ist weil es mitlerweile alle so machen und es keine Alternativen gibt. Selbst innerhalb von Serien, so wurde das Zelda-eske Darksiders (sehr unterschätzt) im zweiten Teil auch mit Diablo-Sammelwahn..."erweitert".

Ein gutes Beispiel fällt mir noch ein, die Soul Reaver-Reihe, in der man Lanzen, Fackeln und Schwerter nur in die Hand (und damit kämpfen) oder wieder weglegen bzw. (auf gegner) werfen kann, jedoch nichts einstecken. Finde ich bis heute wunderbar und ich spiele die ersten beiden Titel bis heute immer wieder gerne. Warum? Weil es solch ein Konzept einfach nicht mehr gibt.
Aber genau aus diesem Grund wird es in nicht allzu ferner Zukunft wieder kommen, es brauch nur einen Titel derdies wieder aufleben lässt, ähnlich wie Demon's Souls längst vergessene Tugenden zum Mainstream werden lies.
Ich hab Hoffnung!

vor 6 Jahren