Jörg Luibl
Per Anhalter in die Spielezukunft VEine Kolumne von Jörg Luibl, 07.11.2008

Die ganze Welt spielt. Eigentlich müsste ich darüber lachen. Eigentlich müsste ich diesem qualmenden Kauz ein trotziges "Na und?" entgegnen, den Wagen verlassen und nach Hause gehen. Aber erstens wartet da niemand mehr. Und zweitens sorgt der Ernst in Jacks Stimme dafür, dass der Satz ungewöhnlich lange in der Luft schwebt. Die ganze Welt spielt. Es ist fast so, als würden diese vier Worte wie ein gespenstisches Rätsel durch den Buick schleichen. Für ein paar Sekunden herrscht gebanntes Schweigen.

Was soll daran gefährlich sein, wenn im Jahr 2058 von China bis Brasilien gezockt wird? Was geht da in der Zukunft ab? Und was sollte diese faschistoide Feuerwehrmann-Scheiße? Verdammt, war das peinlich. Der Kerl mit der Taschenlampe hat mir tatsächlich eine Heidenangst eingejagt. Aber spätestens nach diesem Schreck in Uniform haben einige lächerliche Dinge höchst reale Gestalt angenommen: Jack Higinbotham. One-Console-Buick. Enzyclopaedia Ludologica. Zeitautobahn. BkfiBU. Datensperre.



"Per Anhalter in die Spielezukunft" ist eine Fortsetzungsgeschichte, die alle 14 Tage erscheint. So lange, bis Jack der Sprit ausgeht oder die Welt gerettet wurde. Was bisher geschah:

Kapitel I - Das gelbe Taxi

Kapitel II - Der Spielehistoriker

Kapitel III - Tennis for Two

Kapitel IV - Der Feuerwehrmann

Als ich gerade versuche, mir einen Reim darauf zu machen, macht es irgendwo Klick und eine der Hintertüren springt auf. Kalte Nachtluft fließt wie Wasser in den Wagen. Jack schnippt seinen Zigarrenstummel hinaus und dreht sich um:

"Okay, Junge, hier trennen sich unsere Wege. Aber nur für kurze Zeit. Ich hol dich ab, sobald ich eine Route an der Datensperre vorbei gefunden habe. Bis dahin hilft dir G.R.I.N. weiter. Der kleine Freund zeigt dir, wo der nächste Knotenpunkt liegt - da musst du zu Fuß hin, denn da kannst du von der Datenautobahn runter und direkt in die aktuelle Zeit."

Ich schau auf meine rechte Handfläche. Mehr als ein kreisrundes blaues Glühen mit einem rotweißen Smilie als wild tanzendes Icon ist nicht zu sehen. Ich könnte schwören, dass es sich viel schwerer und bulliger anfühlte, als Jack es mir gegeben hat. Jetzt schmiegt es sich fast wie eine Art Tattoo auf die Haut - kaum spürbar.

" Eine Schönheit, nicht wahr? Organische Sensorlasertechnik - der neueste Schrei aus Japan. Du musst es nur noch starten. Wenn du einmal deinen Daumen bewegen würdest?"

Als ich meinen Daumen etwas krümme, verschwindet das weiße Grinsen im blauen Glühen und Ladezeilen werden eingeblendet:

Debug Logging Initialized...
Begin Database Connection...
When Shinmen666 Comes Through...
Opening Database...


Dann kristallisiert sich eine gestochen scharfe Benutzeroberfläche in meiner Handfläche. Unter der Überschrift "Ground Radar Information & Navigation System, Ver. 0.98" finden sich sechs Menüpunkte: "Standort", "Route", "Kontakt", "Lexikon", "Spiele" und "Update".

"Hey, das ist ja mal cool!", entfährt es mir wie einem kleinen Jungen.

Jack grinst mich an wie ein gutmütiger Herbergsvater: "Ja, das ist ein cooles Teil. Aber du darfst niemals auf die beiden Punkte "Kontakt" und "Update" klicken, okay? Niemals. Sie würden uns sofort orten."

"Geht klar. Aber sag mal, warum ist das Version 0.98?"

"Hast du die dritte Ladezeile übersehen? Kommst du nicht aus der glorreichen Amiga-Crack-Generation? KGB Crew, Skid Row, Paradox, Scoopex, Tristar, Red Sector? Die FreeGamer haben die Debug-Fassung gehackt."

"Dann gehört das Grinselogo gar nicht zu GRIN?"

"Richtig. Es ist der Introstempel von Shinmen 666. Das ist so ziemlich der meistgesuchte FreeGamer meiner Zeit. Und er backt verdammt gute Muffins. Du wirst ihn hoffentlich noch kennen lernen. Aber jetzt musst du los - ich hab nicht viel Zeit."

Jack steigt aus dem Buick und ich wälze mich von der warmen Rückbank in die kalte Luft. Das rote Leder knarzt, dann vertrete ich mir das erste Mal seit dem Einstieg in diesen Schlitten wieder die Beine. Das tut richtig gut, aber irgendwas fühlt sich gerade gar nicht gut an. Ich kann nicht genau sagen, weshalb ich ein mulmiges Gefühl habe, als ich die Tür zuschlage.

"Wohin soll ich eigentlich gehen? Einfach mal so ins Jahr 2011 reinspazieren und irgendwo ne Pommes essen, bis du vorbei kommst, oder was?"

Jack winkt ab und zeigt auf meine Handfläche: "Tipp mal bitte auf "Route", dann auf "Nächster Knotenpunkt"."

In meiner Handfläche öffnet sich nach zwei Fingerzeigen eine Art 3D-Windrose mit einem Pfeil, der nach Südosten zeigt und 1255 Meter anzeigt. Diese Art von Automapping sorgt umgehend für etwas Entspannung in meiner Brust. Fehlt nur noch ein Golden Trail à la Faible und ein heißer Kaffee.

"Alles easy. Da musst du hin. Immer dem Pfeil folgen. Dann durch die Tür."

"Und wo komme ich raus?"

"Das weiß ich nicht genau. Aber meist befinden sich die Knotenpunkte an Orten, die Datenströme und Software bündeln. Das kann alles Mögliche sein, aber eines ist sicher: Du wirst nicht irgendwo in der Pampa rauskomme, sondern in einer Stadt in Deutschland."

"Das ist unheimlich beruhigend."

"Ja, und noch beruhigender wäre es für uns beide, wenn du dich dort so unauffällig wie möglich verhältst. Denk daran, dass die Bibus verdeckt ermitteln und SecuScan heimlich einsetzen. Du erkennst sie wie gesagt an ihren grauen Handschuhen."
"Alles klar."

"Halt die Ports geschlossen, Junge - ich hol dich ab!"

Nach diesem Abschiedsgruß und einem kräftigen Händedruck geht alles ganz schnell. Jack steigt wieder in den Wagen, der Motor röhrt kurz auf und dann verschwindet der Buick wie ein altes Fischerboot schlingernd in der Nacht. Ich meine noch ein Winken gesehen zu haben, dann hüllt der Nebel mich auch schon in Einsamkeit. Ein Blick auf G.R.I.N. und ich folge dem Pfeil nach Südosten. Auf dem Weg zum Knotenpunkt bemerke ich zum ersten Mal, dass mein Magen knurrt. Aufregung und die Neugier drängen den Hunger gemeinsam beiseite. Was sich wohl für Spiele unter dem fünften Menüpunkt befinden? Was mich wohl im Jahr 2011 erwartet? Das "Jahr der Xbox Universal" - hat Nintendo doch nicht vorgelegt? Als ich mir gerade vornehme, das Lexikon zu konsultieren, flackert und kitzelt es in meiner Handfläche, als hätte ich einen Schmetterling gefangen. Ich schaue mich kurz um und sehe vor mir eine steingraue Tür mit der Aufschrift:

Knotenpunkt 10.00e/53.33n/2011j

Darunter lacht mich eine weiße Klinke an. Ich muss tatsächlich an Alice im Wunderland denken. Ich drücke sie durch, es wird plötzlich ganz hell und laut, als würde ich ein grell beleuchtetes Stadion betreten. Dann schließt sich die Tür hinter mir, Stille kehrt ein. Als ich den Schritt nach vorne mache, rasen meine Gedanken nur so: Wo komme ich raus? Was werde ich in der Zukunft sehen?

Eine Sekunde später stehe ich vor einem riesigen Ork. Bevor ich mich erschrecken kann, lese ich auf einem Sockel am Boden "World of WarCraft II". Dann höre ich Stimmen und Gezeter hinter mir: "Mama, ich will aber lieber Ponyworld haben!".

Ich bin in einem Spieleshop gelandet.

To be continued...


Jörg Luibl

Chefredakteur

Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.