Kolumne

hundertprozent subjektiv

KW 32
Montag, 06.08.2001

Spiele zwischen Gewalt und Kunst


Wenn man wissen will, wie Computer- und Videospiele in unserer Gesellschaft wahrgenommen werden, braucht man nur einen Blick in die Medienlandschaft zu werfen: Es dominieren pädagogische Bedenken, die eine Studie nach der anderen anführen und die allmähliche Verrohung der ganzen Jugend prognostizieren. Sicher gibt es gewalttätige Spiele und sicher gehören diese nicht in Kinderhände. Aber die Gefahr besteht, dass die gesellschaftliche Moralkeule alles zerschmettert, was irgendwie nach Gewalt riecht.

Dabei verlangt auch die Darstellung von Gewalt kreatives Schaffen - egal ob ich male, schreibe oder Spiele designe. Dass selbst brutale oder Gewalt verherrlichende Spiele kleine Kunstwerke sein können, ist für viele unverständlich und daher kein Kulturthema. Werden Spiele aufgrund ihres einmaligen Spieldesigns im Kulturteil einer Tages- oder Wochenzeitung erwähnt? Oder in TV-Sendungen?

Warum eigentlich nicht? Schließen sich Gewaltdarstellung und Kunst aus? Künstlerisch wird ein Spiel doch erst durch seine artistische Potenz: Es kommt nämlich nicht darauf an, was man darstellt (egal ob den Alltag, Sport, Gewalt, Krieg oder Sex), sondern darauf, wie man es darstellt. Wahre Spieleperlen ahmen eben nicht nur nach, sondern schaffen etwas Neues, etwas nie Erspieltes und begründen meist Genres. Resident Evil oder Half-Life gehören mit Sicherheit zur Sparte gewalttätiger Spiele, sind aber aufgrund ihrer innovativen Konzeption trotzdem Kunstwerke, die zahlreiche Nachahmer inspiriert haben.

Dabei müssten gerade Spiele aufgrund ihrer Breitenwirkung und Beliebtheit als Kulturgut ebenso diskutiert werden wie Kino, Theater oder Literatur - zumal hier die spannendsten Vermischungen der genannten Genres zu beobachten sind: Gothic ist wie ein Sprung in einen Fantasyroman und Max Payne hat soeben bewiesen, dass man Action-Kino auch zuhause haben kann.

In Japan ist man da schon viel weiter: Videospiele werden als Teil der Gegenwartskultur geschätzt. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Qualität der Spiele, die dramaturgisch und erzählerisch so manche Bücher oder Filme in den Schatten stellen - man denke an Metal Gear Solid, die Final Fantasy-Reihe oder Onimusha: Überall Gewalt, aber faszinierend dargestellt.

So lange die Berichterstattung nur zwischen Kommerz und Gewalt polarisiert, werden Spielekunstwerke auch nur von einer Minderheit als solche erkannt und für wertvoll erachtet. Das hat zur Folge, dass sich nur wenige für die kreativen Berufe in der Branche interessieren und der Nachwuchs fehlt. Dabei scheint es hierzulande genügend kreatives Potenzial zu geben, um der Konkurrenz aus Übersee und Fernost Paroli zu bieten - Gothic, Die Siedler und Anno 1602 sind nur einige Beispiele.

Zugegeben: Auch die Spielebranche produziert Kitsch und Massenware à la Moorhuhn, aber so geht es auch den etablierten Kulturgütern. Man gehe nur mal ins Kino oder eine Buchhandlung - der Schrott für die Masse dominiert das Angebot. Fatal ist nur, dass die Medien diese Abfallprodukte noch hofieren und den Blick für so manche Perle des Spieldesigns verlieren, die es dank Story und Atmosphäre mit jedem gehypten Spiegel-Bestseller aufnehmen könnte.


Jörg Luibl
4P|Textchef

 

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