Kolumne

hundertprozent subjektiv

KW 03
Dienstag, 13.01.2009

Per Anhalter in die Spielezukunft VIII


Ich stehe da. Und ich starre auf ein Foto, während die Welt um mich herum still steht. Marie, Emma, Luke. Mein Daumen fährt immer wieder über ihre nassen Gesichter. Zusammen mit dem Regen prasseln unaufhörlich Fragen auf mich ein: Wo sind sie? Sind sie vielleicht in Gefahr? Warum haben sie mich überhaupt verlassen? Was haben sie mit diesem irren Trip zu schaffen?

Die alte Frau kommt näher, hebt ihren dunkelgrauen Schirm über meinen Kopf und schlägt einen mitleidigen Ton an:

"Sie können dieses Foto natürlich behalten. Sind sie bereit zu kooperieren?"

"Wo haben sie das her? Was hat meine Familie mit diesem ganzen Scheiß zu tun?"

"Langsam, junger Mann: Ich habe noch keine Befugnis, ihnen darüber Auskunft zu erteilen - zumal sie auf unserer Unbedenklichkeitsskala auf Platz 0 von 10 rangieren."

"Ach ja? Sie rangieren bei mir auf Platz -10."

"Sparen sie sich ihren Sarkasmus. Als Ortungsbeamtin der Bundeskontrollstelle bin ich für die Auffindung sowie Einordnung von Daten und Individuen zuständig. Ich kann ihnen lediglich versichern, dass wir Informationen über den Aufenthalt ihrer Familie haben, die wir ihnen zukommen lassen könnten. Wollen sie ihre Familie nun wiedersehen oder nicht?"

"NATÜRLICH WILL ICH DAS!"

"Beherrschen sie sich! Ihre Aggressivität wird sie nicht weiter bringen. Schon ihr primitiver Wutanfall im Spieleshop könnte zu einer Verletzung des gegenwärtigen Zeitrhythmus geführt haben. Sie dürfen als irregulärer Besucher keinen Einfluss ausüben, haben sie verstanden?"

"Ich habe nichts verstanden, verstehen sie? Ich komme aus dem Jahr 2008! Aber ich will diesen ganzen Zeitreisemist endlich hinter mir lassen. Was soll ich also tun?"

"Sie steigen wieder in das Auto der Zielperson Jack Higinbotham und kontaktieren uns, sobald sie irgendwo auf der Datenautobahn Halt machen oder eine Zeitausfahrt nehmen wollen."

"Warum können wir das nicht abkürzen? Sie rufen ihre grauen Feuerwehrmänner einfach jetzt und kassieren Jack hier ein!"



"Per Anhalter in die Spielezukunft" ist eine Fortsetzungsgeschichte, die alle 14 Tage erscheint. So lange, bis Jack der Sprit ausgeht oder die Welt gerettet wurde. Was bisher geschah:

Kapitel I - Das gelbe Taxi

Kapitel II - Der Spielehistoriker

Kapitel III - Tennis for Two

Kapitel IV - Der Feuerwehrmann

Kapitel V - G.R.I.N.

Kapitel VI - Der Spieleshop

Was zuletzt geschah:

Kapitel VII - Die alte Frau & das Bild

"Feuerwehrmänner? Soll das witzig sein? Sind sie sich der Ernsthaftigkeit der Situation immer noch nicht bewusst? Sie verhalten sich wie ein trotziges Kind, junger Mann. Auch wir dürfen das Zeitgefüge nicht beschädigen. Hier könnte es irreparable Zwischenfälle geben. Der Zugriff unserer Bundesdatengrenzer darf nur auf der ereignisneutralen Datenautobahn erfolgen. Von dort müssen sie uns kontaktieren."

"Und wie stell ich das an?"

"Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder, ich installiere einen SecuResponder auf ihrem G.R.I.N. Dann müssen sie beim nächsten Stopp bzw. kurz vor einer Abfahrt das entsprechende Icon anklicken und wir wissen nach einem kurzen SecuScan genau, wo sie sind. Oder ich installiere gleich einen UBT in ihrem Nacken - das wäre für uns alle sicherer und sie bräuchten sich um gar nichts zu kümmern. Außerdem würden sie in unserer Unbedenklichkeitsskala direkt von 0 auf 7 aufsteigen!"

"Hört sich an wie chirurgisches Cheaten."

"Wie meinen sie?"

"Schon gut. Was ist dieses UB-Dingsbums?

"UBT. Das steht für Universal Bio Transmitter."

Die Frau nestelt in ihrer Handtasche und holt eine kleine Zange heraus. Sie drückt auf einen Knopf und zwischen zwei Greifern beginnt eine Art Chip zu glimmen wie der Draht einer Glühbirne. Dann redet sie in einer Mischung aus Fürsorge und missionarischem Eifer weiter:

"Ich weiß, dass sie diese Technologie nicht kennen. Aber in der Zukunft ist das hier ganz normal. Alle benutzen das. Wie hieß das noch in ihrer Zeit? Walkman? USB-Stick? Damals gab es noch keine Nanochirurgie für das Volk. Wissen sie, die BRIC konnte den Nahost-Konflikt im Jahr 2049 nur mit diesem medizinischen Fortschritt beenden - und jetzt...pardon, im Jahr 2058...gibt es gar keine Schusswaffen mehr!"

"Moment mal: Was ist BRIC? Der neue Name der USA?"

Die Frau schaut mich an, als wäre ich ein Analphabet und betätigt scheinbar aus einem Reflex heraus irgendeinen Knopf auf dieser chromglänzenden Zange. Nach einem schrillen Summen schnappen die Greifer zu und verkeilen sich wie zwei wütende Hunde. Es riecht nach verbranntem Gummi.

"So ein Mist, jetzt haben sie sich verhakt! Und ich habe eigentlich keine Zeit, ihnen Geschichtsunterricht zu geben. Nur so viel: Die USA spielen schon lange keine Rolle mehr; zu viele zerstrittene Staaten, zu viel Armut. Brasilien, Russland, Indien und China haben die BRIC schon 2033 als neues Machtbündnis etabliert."

"Das ist ja ein tolles Datum. Das Bündnis ist nicht zufällig 2045 nach einem großen Krieg zerfallen, oder?"

"Wie meinen sie? Genug historisiert! So, ich habe die Greifer wieder justiert. Sie sollten wirklich keine Angst haben, denn das hier ist kein permanenter UBB-Slot, sondern nur ein temporäres Schmelz-Implantat. Es tut wirklich nicht weh. Falls sie mit dem kleinen Eingriff einverstanden sind, könnte ich ihnen direkt danach weitere Informationen über ihre Familie geben. Darf ich mal?"

"Nein, danke. Ich nehme lieber den SecuResponder."

"Na schön, wie sie wollen. Ich kann sie hier nicht zwingen. Aber denken sie daran: Sie müssen ihn aktivieren! Jetzt halten sie bitte ihr G.R.I.N. in meine Richtung."

Ich atme auf. Für einen Augenblick habe ich gedacht, sie springt mich an und pflanzt mir irgendeinen Kram ein. Sie steckt die seltsame Zange sichtlich enttäuscht wieder ein. Ich drehe meine Handfläche, die immer noch blau flackert - Jack kontaktiert mich also schon die ganze Zeit! Sie lächelt wissend und zieht den linken ihrer grauen Handschuhe aus. Zwischen ihren Fingern flackert es gelb. Auch die BKfiBU benutzt G.R.I.N.? Ist das sowas wie der iPod der Zukunft in allen Farben? Sie tippt mit ihrem rechten Zeigefinger etwas in ihr Display und dreht es in meine Richtung.

"Wenn sie jetzt bitte bestätigen würden?"

In meiner Hand leuchtet ein Menü auf: "Download der Datei SecuRes.exe ausführen? Ja. Nein." Einen Moment lang wehrt sich alles in mir gegen diese Schnüffelsoftware. Und plötzlich ist da eine gehässige Stimme in meinem Kopf: Verräter! Verräter!

Ich blicke abwechselnd vom Menü mit der Download-Aufforderung auf das Foto mit meiner Familie. Was weiß ich schon über diesen Jack? Was weiß ich von der ominösen Zukunft des Jahres 2058, außer dass es "Games for Gleichschaltung" gibt? Warum hat er mir nie mehr erzählt, als dass "Die ganze Welt spielt"? Und was soll so schlimm daran sein? Vielleicht ist er irre. Obwohl er mir mit seinem Zocker-Buick immer noch zehnmal sympathischer wäre als diese Überwachungsbehörde. Aber die einzige Verbindung zu meiner Familie führt über diese Frau...

Ich drücke auf "Ja" und in null Komma nichts installiert sich das Programm der BKfiBU. Ein graues Icon erscheint, das wie ein doppelter Vogelkopf aussieht - der eine schaut nach rechts, der andere nach links. Sind das Bundesadler oder Raben? Die Alte strahlt mich an und redet eifrig auf mich ein:

"Sehr gut! Jetzt sind sie vorbereitet und in der Unbedenklichkeitsskala von 0 auf 1 aufgestiegen. Sehen sie, so schnell geht das. Sobald sie das Icon anklicken, sichern wir Jack Higinbotham und sie erreichen mit einem Jahr Garantie die Unbedenklichkeitsstufe 8. Dann übergeben wir ihnen konkrete Informationen über den Aufenthaltsort ihre Familie. Es versteht sich von selbst, dass sie Jack nichts von unserer kleinen Besprechung oder diesem nützlichen Tool erzählen, nicht wahr?"

"Ja, ja. Was hat Jack eigentlich verbrochen?"

"Was hat er ihnen denn erzählt?"

"Eigentlich...ähm...nichts Konkretes."

"Ach wirklich? Sie lügen. Haben sie etwa Vertrauen zu diesem Mann? Sie sollten nur so viel wissen: Er kann viel besser lügen als sie. Alles, was er ihnen erzählt, entspringt seiner gestörten Wirklichkeitswahrnehmung. Er ist ein spieleverrückter Psychopath. Und er ist gefährlich."

"Warum das denn?"

"Er hat seinen UBB-Slot illegal heraus operieren lassen. Sie müssten eine Narbe in seinem Nacken erkennen. Er hat nicht nur ein Modul entfernt, er hat den kompletten Universal Bio Bus explantiert. Wissen sie, welche Gefahr für die Öffentlichkeit besteht? Es gibt keine dämpfende Wirkung mehr! Jetzt regiert nur noch sein Testosteron, jetzt beherrscht ihn nur noch seine subjektive Weltsicht, deshalb müssen wir ihn sehr schnell aus dem Verkehr ziehen."

"Was geschieht eigentlich mit ihm, wenn sie ihn haben?"

"Er wird vor ein ganz normales Spielschutzgericht im Jahr 2058 gestellt, seine illegalen Aktivitäten werden analysiert und er wird für seine Vergehen fragmentiert."

"Fragmentiert?"

"Ach, das ist nur so ein Fachausdruck aus dem modernen Strafvollzug. Ich habe jetzt keine Zeit mehr, junger Mann. Wir müssen einige Dinge vorbereiten. Und anstatt sich Sorgen um diesen kriminellen Jack zu machen, sollten sie endlich erkennen, dass er sie nur benutzen will."

Benutzen? Wofür denn? Sie dreht sich um und marschiert zackig in das Dunkel des Abends. Kurz bevor sie ganz aus dem Lichtkreis des Schaufensters verschwindet, dreht sie sich noch mal um:

"Er hat alles sehr geschickt eingefädelt. Seien sie auf der Hut. Auf Wiedersehen!"


Jörg Luibl
Chefredakteur

 

Kommentare

MoonSceAda schrieb am
Nur der Dialog als solcher bleibt bestehen.
Das habe ich aber auch schon in guten Büchern gelesen. Und da wurde das auch nicht die ganze Zeit so gehandhabt sondern auch nur zwischendurch.
Meist wird das dann eben bei "Wortgefechten" o.Ä. eingesetzt und wie gesagt, ich finde es hier gar nicht so schlimm.
Sorry aber das ist nicht nur technisch ungelungen. Auch will sich mir nicht erschliessen wie ein Mensch der beliebig in der Zeit reisen kann, keine Zeit mehr haben soll.
Wenn ein anderer Mensch, was hier nunmal der Fall ist, auch in der Zeit reisen kann ^^?
Oder wie OG_Shoot sagt, lastet eben Druck auf ihm... und die Zeit in der Zukunft läuft halt trotzdem weiter.
Auf der anderen Seite halte ich eine Hyperbel als Stilmittel (hinsichtlich BRIC) für arg unpassend in diesem Text. Selbst hochgradig kritische Texte zum Thema Politik bleiben mehr im Rahmen des glaubwürdigen als das hier.
Welche Stelle du hier jetzt genau meinst, weiß ich leider nicht.
Doch finde ich die Hyperbeln die der Autor benutzt nicht unpassend. Der ganze Text ist hinsichtlich der Sozialkritik usw. übertrieben verfasst, was nunmal ironisch die Lächerlichkeit dieser Sachen zeigt.
Passt doch?
OG_Shoot schrieb am
DoktorAxt hat geschrieben: Auch wieder schön für eine wirklich unansehnliche Formulierung: "Ach, das ist nur so ein Fachausdruck aus dem modernen Strafvollzug. Ich habe jetzt keine Zeit mehr, junger Mann. Wir müssen einige Dinge vorbereiten. Und anstatt sich Sorgen um diesen kriminellen Jack zu machen, sollten sie endlich erkennen, dass er sie nur benutzen will."
Sorry aber das ist nicht nur technisch ungelungen. Auch will sich mir nicht erschliessen wie ein Mensch der beliebig in der Zeit reisen kann, keine Zeit mehr haben soll.
keine zeit wohl eher in dem sinne das der protagonist es eher als unterdrückung/unverständlich (?mir fehlt das passende wort) ansehen würde was in der zukunft mit der menschheit passiert. dadürch würde er dann bei dem plan nicht mitmachen oder ähnliches. sie veheimlicht ihm etwas. er soll es nicht mitbekommen damit er nicht abwägen kann.
ich finde es eigentlich nicht schlecht geschrieben, es ist halt ein etwas anderer stil des schreibens. eher wie bei comic´s aber ohne bilder etc.
DoktorAxt schrieb am
MoonSceAda hat geschrieben: Ganz im Ernst:
Das hört sich für mich schlicht übertrieben an.
Kannst du nicht mal ein paar Beispiele geben?
Im Prinzip der gesamte Abschnitt von "Ach ja? Sie rangieren bei mir auf Platz -10!", was zudem extrem nach kindischem Trotz klingt, bis "Schon gut. Was ist dieses UB-Dingsbums?" Auch wieder ein schönes Beispiel für den extrem kindisch wirkenden Protagonisten. Der gesamte Dialog dazwischen ist ein stilistischer Totalausfall, durch kompletten verzicht auf... naja im Prinzip alles. Nur der Dialog als solcher bleibt bestehen. Was denkt der Protagonist? Wie verzieht sich sein Gesicht? Was tun seine Hände? Wie bewegt sich die Alte? Was tut sie? Wie verhält sie sich? Kein Wort dazu. Setzt sich dannach übrigens konsequent weiter fort.
Auch wieder schön für eine wirklich unansehnliche Formulierung: "Ach, das ist nur so ein Fachausdruck aus dem modernen Strafvollzug. Ich habe jetzt keine Zeit mehr, junger Mann. Wir müssen einige Dinge vorbereiten. Und anstatt sich Sorgen um diesen kriminellen Jack zu machen, sollten sie endlich erkennen, dass er sie nur benutzen will."
Sorry aber das ist nicht nur technisch ungelungen. Auch will sich mir nicht erschliessen wie ein Mensch der beliebig in der Zeit reisen kann, keine Zeit mehr haben soll.
Auf der anderen Seite halte ich eine Hyperbel als Stilmittel (hinsichtlich BRIC) für arg unpassend in diesem Text. Selbst hochgradig kritische Texte zum Thema Politik bleiben mehr im Rahmen des glaubwürdigen als das hier.
Ich möchte noch einmal allerdings betonen, dass sich diese, sowie meine weiter oben stehende Kritik sich so verstehen lassen soll, als dass ich diese Reihe von Jörg anhand von kommerziellen Romanreihen messe. Im Prinzip kein fairer Vergleich, da es für ein Freizeit- und Hobbyschriftstück durchaus in Ordnung ist.
MoonSceAda schrieb am
Ich muss leider nochmal nachtreten: Wortwahl, Satzbau usw. sind meiner Meinung nach STARK verbesserungswürdig in diesem Kapitel. Das Adjektiv "Simpel" ist vielleicht noch ein wenig zu locker. Das soll hier auch kein trolling sein ich möchte nur darauf hinweisen was störend auffällt und eigentlich hat bei mir das gesamte Kapitel einen durchweg sehr negativen Eindruck hinterlassen.
Ganz im Ernst:
Das hört sich für mich schlicht übertrieben an.
Kannst du nicht mal ein paar Beispiele geben?
Auch inhaltlich halte ich es selbst für die Verhältnisse einer wilden Fiktion für arg unwahrscheinlich, dass sich in den 50ern die Welt derartig verändert haben wird. Insbesondere in Hinblick auf die machtpolitischen Verhältnisse, von der Technologie ganz zu schweigen
Das ist schon eher berechtigt. Aber schlecht finde ich das nicht. Die eventuelle Übertreibung ist eben auch ein Mittel der Kritik.
Und außerdem sollte man sich auch immer vor Augen halten, wie schnell sich die Technik in den letzten Jahren entwickelt hat. Du kennst sicher die sehr beeindruckenden Beispiele und den dann folgenden Ausblick für die Zukunft... also so gesehen^^
OG_Shoot schrieb am
fonico hat geschrieben:Hi an Jörg,
ich habe Verständnisprobleme:
Angeblich betritt die Figur die Zeitebene in 2011 und landet in diesem Spieleshop. Soweit klar.
Erstens versteh ich nicht, wieso die Dame der Prüfbehörde den Ausweis sehen will, obwohl diese Behörde erst seit 2014 besteht?!
Zweitens und kurz darauf in den Folgeteilen der Erzählung befindet man sich auf einmal im Jahr 2058?! (Unterhaltung von Dir und der alten Dame!?)
Bitte um Aufklärung...
1. die frau reist auch in der zeit um zu verhindern das in der vergangenheit etwas passiert, was die zukunft verändert.
2. reden die über das jahr 2058 und befinden sich nicht dort, sie sind immer noch im jahr 2011, vor nem spieleladen.
schrieb am