Jörg Luibl
Per Anhalter in die Spielezukunft XIIIEine Kolumne von Jörg Luibl, 13.03.2009
Ich höre mich gerade noch "Nein, danke, lass mal." sagen, bevor sich Jack wie in Zeitlupe umdreht. Sein nächster Satz dringt zunächst als dumpfes Rauschen an mein Ohr, aber mit jedem Wort wird es hallender und lauter - als würde ein Zug aus einem Tunnel rasen: "Okay, aber denk dran: Ein Onkel, der Gutes mitbringt, ist besser als eine Tante, die bloß Böses vorspielt."

Ich kann vor Schreck gar nicht antworten. Jack zieht die Handbremse, wuchtet sich mit einem Ächzen aus dem Wagen und stapft zur Zapfsäule. Als er an meinem Fenster vorbei kommt, tippt er mit dem Zeigefinger an seinen Hut und lächelt mich verschwörerisch an.

Ich schau mit einem Kloß im Hals auf Jacks breiten Rücken, der sich seltsam langsam dem hinteren Teil des Buick nähert. Aber niemand hat hier eine Bullet-Time aktiviert. Niemand hat einen Knopf für Slow-Motion gedrückt. Mein Gehirn ruckelt scheinbar, weil es nicht mit der Geschwindigkeit der Realität mitkommt, die gerade etwas zeigt, das sie eigentlich nicht zeigen sollte.



"Per Anhalter in die Spielezukunft" ist eine Fortsetzungsgeschichte, die alle 14 Tage erscheint. So lange, bis Jack der Sprit ausgeht oder die Welt gerettet wurde. Was bisher geschah:

Kapitel I - Das gelbe Taxi

Kapitel II - Der Spielehistoriker

Kapitel III - Tennis for Two

Kapitel IV - Der Feuerwehrmann

Kapitel V - G.R.I.N.

Kapitel VI - Der Spieleshop

Kapitel VII - Die alte Frau & das Bild

Kapitel VIII - Verrat im Regen

Kapitel IX - Jack is back

Kapitel X - Wahrheit oder Pflicht?

Kapitel XI - Der Alptraum

Was zuletzt geschah:

Kapitel XII - Whiskey im Buick

Spätestens der bizarre Tantenspruch hat mich aus der Spur geworfen. Und jetzt diese Szenen, die wie in einem gnadenlosen Déjà-vu vor mir ablaufen. Was passierte noch als nächstes? Bevor es mir einfällt, rastet etwas hinten ein und der Buick vibriert wie eine Waschmaschine - Jack hat den Zapfhahn eingestöpselt...

Verdammt, verdammt, verdammt - es ist alles wie in diesem Traum! Und ich weiß, was ich da irgendwann im Kofferraum des Buick finde: die Leiche. Nein, nein, ich sollte mich trotz steigendem Puls und Schweiß auf der Stirn an die trockenen Fakten halten: Ich finde die zerstückelte Leiche der Zangen-Alten. Also ist Jack doch ein durchgeknallter Killer? Was zur Hölle geschieht hier?

Ich schau panisch aus dem Fenster, als das Vibrieren verstummt: Wie schnell jetzt alles geht! Hey, gibt es keine Pause? Jack geht schon auf das schwach beleuchtete, mit Werbung zugekleisterte Kabuff zu, das wie im Traum zwischen zwei Fichten kauert. Ich kann mich wieder klar an alle Einzelheiten des Alptraums erinnern, aber einiges stimmt nicht. Hatte Jack mich darin nicht noch mal angesprochen? Und hatte er nicht jetzt schon die Kettensäge dabei? Moment mal: Die liegt ja hier, die liegt ja direkt neben mir - und das ist wunderbar! Bei diesem Anblick will ich fast jubeln. Vielleicht ist doch nicht alles vorherbestimmt?

Ich habe jetzt mehrere Möglichkeiten: Entweder ich nehme den Whiskey, lass mich voll laufen und schlafe ein - um irgendwann im Jahr 2058 aufzuwachen, wo ich nach einem kräftigen Frühstück die Welt rette. Oder ich steige aus, renne weit weg von diesem Irren - und fahre dann einfach per Anhalter mit einem anderen Irren zurück in die Vergangenheit. Aber das sind zwei überaus bescheuerte Alternativen, die ihre naive Existenz scheinbar meinem Stresspegel und einem Gehirn zu verdanken haben, das gerade nicht ganz im Takt rattert.

Konzentrier dich, konzentrier dich... ich massiere gerade meine Schläfen, als ich das schwache Glimmen in meiner Hand bemerke - ja, richtig! Was ist mit G.R.I.N.? Ich könnte auch einfach hier und jetzt die BKfiBU rufen! Das war doch ohnehin der Deal, oder? Wenn wir abfahren oder halten, soll ich den Ortungslink aktivieren - dann kommen sie, schnappen sich Jack und ich bekomme meine Familie zurück!

Aber erst will ich Gewissheit haben. Erst will ich wissen, was hier gespielt wird. Und dafür gibt hier nur eine Möglichkeit: Ich muss nachsehen, was im Kofferraum ist! Und zwar schnell. Denn wenn mein Alptraum doch ein Skript für die kommenden Ereignisse war, dann steht Jack gleich mit einem teuflischen Grinsen vor mir und erzählt mir was von "echter Handarbeit" und einer "bloody Bibu-Mary".

Genug gezögert! Ich steige aus, schnappe nach Luft und schau mich um. Weit und breit ist niemand zu sehen - keine Wagen, keine Menschenseele. Es ist totenstill. Ich hetze zum Kofferraum, der nach ein paar schnellen Schritten wie ein gelber Sarkophag vor mir liegt. Ich muss mich zusammenreißen, als die Bilder der blutgetränkten Plastiksäcke plötzlich durch meinen Kopf schießen. Was mache ich, wenn das da wirklich drin ist? Was mach ich, wenn ich gleich Leichenteile sehe? Scheiße, verdammte Scheiße! Aber ich muss es einfach wissen.

Als ich gerade mit weichen Knien und feuchten Fingerkuppen den Öffnungsmechanismus betaste, hör ich die ersten Schreie...



Jörg Luibl
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