Benjamin Schmädig
Luftschlösser aus dem NichtsEine Kolumne von Benjamin Schmädig, 29.07.2011
Spiele von gestern haben es in sich. So richtig. Es geht ja nicht nur darum, zwischen zwei Töpfen mit Diamanten und Perlen zehn Auserwählte zu finden. Unweigerlich stolpert man auch über die Frage: War denn wirklich alles besser? Früher, meine ich. Man sagt es ja oft gedankenlos und mit einem Blinzeln daher. Stimmt es auch?

Denn ganz ehrlich: Die meisten Klassiker gleichen heute dem Schwarz/Weiß-Kino mit Störstreifen und Filmriss . Tomb Raider, The Last Ninja und selbst das neue MegaMan 10? Um das zu mögen, braucht man schon eine besonders dicke Brille aus nostalgischem Rosa. Wer Retro liebt, muss eine zweiachsige Bewegungsenge, das Wehklagen kreischender Lautsprecher und eine Treppenbildung jenseits der Stolpergefahr verzeihen können.

Und trotzdem: Verklärte Nostalgie hat viel weniger damit zu tun, als man vermuten mag. Der hässliche Minimalismus hat nämlich etwas Wichtiges, das der raffinierten Detailfreude der Moderne fehlt...

Was erkennt man denn, wenn man abends auf der Couch in einem fantasievollen Schmöker versinkt? Was sieht man, wenn man Der Herr der Ringe liest? Es sind prachtvolle Landschaften, geheimnisvolle Nebel, furchteinflößende Schatten, blutige Schlachten, bezaubernde Mysterien.

Und so viel mehr!

Unser Kopf ist viel, viel cleverer als ihm moderne Spielemacher zugestehen: Unser Kopf braucht gar keine Fix-und-Fertig-Grafik. Ihm reichen vage Andeutungen und kaum wahrnehmbare Hinweise, um aus einem Wort, einer Farbe, einem Ton schon ein Luftschloss zu erschaffen. Das ist es, woraus die Liebe zum Pixel geboren wurde. Natürlich wollten schon Retro-Bühnenbildner jene Kulissen bauen, mit denen sich Battlefield und Uncharted heute schmücken. Unser Glück war, dass sie es nicht konnten.

Heute zeigen die Kulissen mit ihrer fein geritzten Anmut immer detaillierter: „Genau so sieht es aus, nicht anders.“ Die Fantasie wird mundtot gemacht. Grauer Pixelbrei war früher ein Ideengeber für die verschrobenen Mauern einer mächtigen Burg. Heute steht die Burg längst da. Fertig eingerichtet, mit Wegweiser-Pfeilen für den touristischen Rundgang.

Mit all der Tessellation, mit Multithreading, mit den Shaders und den Texture Mappings ging etwas verloren, das mal wichtiger war als „Wow!“. Wie Verrückte zum Schlussverkauf stürzen sich die Spielemacher auf alles, was mit Technik möglich ist. Battlefield wird realistischer, Uncharted macht aus Exotik Alltag.

Sollen sie! Es sieht umwerfend aus.

Meist weiß man aber schon nach zehn Sekunden: Dschungel, Abenteuer, „Indiana Jones“. Viel zu schnell durchschaut man die beeindruckende Fassade. Es fehlt die Magie, das Geheimnisvolle hinter dem Vorhang. Dabei bleibt gerade das am stärksten hängen, was man erst selbst entdecken muss. Die Spielemacher müssen deshalb wieder Räume schaffen, in denen die Fantasie wandern kann.

Ich will keinen Pixelbrei mehr! Es darf gerne prachtvoll strahlen. Man braucht andere, moderne Mittel. Stilmittel wie erzählerische Mysterien, Andeutungen statt Erklärungen. Ich will Neugierde statt Stichpunktwissen. Absichtlich hinterlassene Lücken wie es sie in Shadow of the Colossus gibt. Wie in The Path, in Mirror's Edge, Nier, Limbo und überall da, wo die Welt nicht schon existiert, bevor man sie betritt.

Die Stolpertreppen von gestern haben unsere Sehnsucht auf die Luftschlösser von heute geschürt. Jetzt, da sie stehen, wird es Zeit, diese Sehnsucht mit neuen Mitteln noch einmal zu entfachen.

Man wird wohl noch träumen dürfen!


Benjamin Schmädig
Redakteur
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.