Quo vadis GameCube?
Es ist Zeit für einen GameCube-Rückblick – auch wenn`s schmerzt. Da werden alte Wunden wieder aufgerissen, da wird gewühlt und gestochert. Aber was nützt das Jammern? Was soll das Wehklagen? Die japanische Wunderkiste muss nach einem Jahr einfach auf den heißen Spielspaßstuhl – basta! Also Augen zu und durch.
Da sitzt er nun, der handliche 11 cm-Zwerg und sieht ein wenig bedröppelt aus. Dabei geht es mir nicht mal um Verkaufszahlen oder Umsatzprognosen. Nein, die wirtschaftlichen Zankereien des Konsolenkriegs sind mir völlig schnuppe. Ich will vom kleinen Würfel nur wissen, ob er 2003 auch genug Spielspaß verbreitet hat! Ich will mich an all die exklusiven, innovativen und prickelnden Momente vor der Mattscheibe erinnern…
Wieso unverschämt? Hey, kein Grund beleidigt zu sein; das war kein Sarkasmus! Wenn man an März und April denkt, darf die nintendophile Brust sogar vor Stolz anschwellen. Da kann man richtig ins Schwärmen geraten von herrlicher Metroid Prime`scher Edelaction, von bunter Action-Adventure-Kunst à la Zelda. Das letzte Jahr fing grandios an und präsentierte gleich zwei der besten Spiele des Genres, zwei kleine Meisterwerke.
Aber was kam danach?
Nach dem pompösen Frühlingserwachen folgten der laue Sommer, dann der schwache Herbst und schließlich der müde Winter. Rennspielfans wurden mit F-Zero und Mario Kart noch mal gut bedient, Rogue Leader konnte Star Wars-Fans beschäftigen, aber alle anderen schauten wochenlang in die Röhre. Rollenspieler bekamen schon Entzugserscheinungen, die Jump`n´Run-Fraktion musste neidisch auf die PS2 blicken - Wario und Billy waren gut, aber eben nicht sehr gut. Und echte Begeisterung? Awards? Fehlanzeige. Der lila Wunderkasten hatte bis auf das grenzgeniale Viewtiful Joe einfach keine Kracher mehr in petto.
Und die plattformübergreifenden Titel? Schnitten auf dem GameCube vor allem in Sachen Grafik viel zu oft einen Tick schlechter ab. Der Gekko-Prozessor mit modernem ATI-Rüstzeug unterlag in einigen Bereichen sogar der technisch schwächeren PS2 – selbst bei Blockbustern wie XIII. Nur Soul Calibur 2 bewies, dass der kleine Würfel auch der Xbox grafisch Paroli bieten kann. Trotzdem: Nintendo scheint sein qualitätssicherndes Auge zu wenig auf die externen Titel zu werfen.
Und online? Interessiert den Konsolenriesen aus Japan nicht, weil es technisch unausgereift sei. Während die Xbox mit ihrem Live-Angebot fleißig das Gegenteil beweist und immer mehr Sport- und Actionherzen erobert, verharrt der GameCube in eisiger Offline-Starre. Man setzt lieber auf die Verknüpfung mit dem GBA, die marketingkluge „Connectivity“. Klar ist es cool, mit GBA und Cube zu zocken oder neue Levels freizuspielen. Aber bitte: Richtig rocken würden erst Bomberman, F-Zero oder Mario Kart Online – inklusive Turniere und Rangliste!
In der zweiten Jahreshälfte machten sich daher Lethargie und Ernüchterung in der redaktionsinternen Nintendofraktion breit – also bei mir. Zumal Titel wie Pikmin 2, Mario Golf oder Harvest Moon in Europa auf 2004 verschoben wurden. Und wenn wir schon in die Zukunft blicken: Wo bleibt das Futter für den anspruchsvollen Gamer?
Twin Snakes ist schön und gut, aber bei aller Liebe zum Altvater der Stealth-Action nur ein Remake. James Bond ist okay, aber nichts Neues. Lediglich Geist und Resident Evil 4 geben Grund zur action- und pixelhaltigen Vorfreude. Rollenspieler werden sich einzig auf Final Fantasy: Crystal Chronicles einstellen dürfen. Ansonsten werde ich mit Donkey Kong zum Trommeln verdonnert und mutiere 2004 zum rasenden, golfenden und schmetternden Mariomanen. Nintendos Maskottchen-Armada in allen Ehren, aber wie wäre es mal mit neuen Helden? Neuen Welten?
Denn der GameCube kann viel mehr sein als der kunterbunte Nischenwürfel, zu dem er sich so langsam manövriert. Das kreative Potenzial der Japaner ist ungeheuer wichtig für die Konsolenwelt, denn Konkurrenz belebt das Geschäft und sorgt für mehr Auswahl, kreative Entwicklungen abseits des Mainstreams. Aber anstatt die Dominanz des GBA mit Dutzenden Neuerscheinungen immer weiter auszubauen, sollte man der großen Bruderkonsole mal mit fetten Titeln unter die Arme greifen – sie hat`s bitter nötig!
Und wenn es schon keine spektakulären Premieren gibt: Wie wäre es mit Eternal Darkness 2? Metroid Prime 2? Mario 128? Oder sind die etwa schon für den GameCube 2 anno 2005 vorgesehen? Das wäre eine erschreckende Halbwertszeit für eine Next-Generation-Konsole, deren Potenzial bisher viel zu selten aufblitzte.
Jörg Luibl
4P|Textchef