Eike Cramer
Kompanie der historischen Verzerrung? Ein Kommentar von Eike Cramer, 08.08.2013

In Teilen der russischen Spielerseele gärt es. Company of Heroes 2 wurde als klischeebeladen, historisch falsch sowie russlandfeindliche US-Propaganda bezeichnet und vom örtlichen Publisher 1C-Soft Club aus den Regalen genommen. Sergey Galyonkin schrieb auf seinem Blog:

Company of Heroes 2 schafft es fast jedes einzelne Russland-bezogene Klischee zu benutzen: Gulags, Armeen ohne Waffen, Russen schießen ihren eigenen Soldaten in den Rücken. Nach der dritten Mission hatte ich ehrlich gesagt erwartet, Bär-Kavallerie zu sehen“.

Was ist dran an dieser Kritik? Fakt ist, dass der Streit um das kanadische Produkt Company of Heroes 2 in eine Zeit der diplomatischen Kälte zwischen Russland und den USA fällt. Die Snowden-Affäre, die Blockadehaltung Russlands in der Syrien-Frage und ständige Kritik des Westens an missachteten Bürgerrechten in Russland haben das Verhältnis der Großmächte empfindlich abgekühlt.

Zudem ist der Vorwurf von Galyonkin im Kern falsch. Sicher, das Spiel überzeichnet den stalinistischen Durchhaltebefehl 227 "Panikmacher und Feiglinge sind auf der Stelle zu vernichten" und nutzt die Überlieferungen einer schlecht ausgerüsteten Roten Armee. Gulags hingegen, also Arbeitslager, in denen unliebsame politische Gegner oder Minderheiten verschwanden, sind belegt. Die Sterberate innerhalb der Lager lag laut einiger Quellen bei bis zu 30% der Inhaftierten, die oft wegen dem 1927 erlassenen Artikel 58, der u.a. „politische Agitation“, „Propaganda“ oder „organisatorische Tätigkeit“ unter Strafe stellte, einsaßen. Gulags waren ein klar belegtes Herrschafts- und Terrorinstrument, das gerade unter Stalin seinen Höhepunkt erreichte. Diese ins Reich der Mythen zu verbannen und als „klischeebeladene Propaganda“ zu bezeichnen, ist eine Frechheit

Dass es an der Ostfront einen brutalen Vernichtungskrieg gab, an dem Millionen Rotarmisten, Wehrmachtssoldaten und vor allem Zivilisten den Tod fanden, ist natürlich Fakt. Waffen-SS und Sonderpolizeieinheiten verübten hinter den Linien im Zuge des Holocaust unbeschreibliche Kriegsverbrechen, und auch sowjetische Soldaten wurden in diesem Konflikt zu Tätern. Das Massaker von Katyn , oder die Versenkung von Flüchtlingsschiffen wie der Wilhelm Gustloff sind nur einige Beispiele eines auf beiden Seiten unmenschlich geführten Krieges.

Relic hat laut den eigenen Werbeaussagen versucht, einen realistischen Blick auf den Kriegsverlauf zu werfen und erzählt in der Kampagne die Geschichte eines russischen Offiziers, der mit der brutalen Kriegsführung der Roten Armee nicht einverstanden ist. Wie ich im Test des Strategie-Titels bereits kritisiert habe, fehlt mir eine klare Darstellung der deutschen Verbrechen hinter der Front. Diese wurden zu stark ausgespart, was einem ausgewogenen Blick auf die Geschehnisse in Russland entgegenwirkt. Als Tester habe ich die Entwickler beim Wort genommen: Ihr wollt den Krieg realistisch darstellen? Dann zeigt ihn in aller Grausamkeit!

Dies wurde nicht erreicht, da deutsche Verbrechen zu stark ausgeblendet werden. Stattdessen, und auch das erwähne ich in meinem Test, wird ein etwas einseitiger, leicht amerikanisierter Blickwinkel geboten, der den Protagonisten als „guten Sowjet“ in den Vordergrund rückt und die politische Führung der Roten Armee dämonisiert. Dies geschieht stellenweise mit Überzeichnung und dem Nutzen von Klischees, aber dennoch findet sich genug Wahrheit darin. Diese Darstellung von Soldaten als Tätern und der Entmenschlichung des Krieges scheint in Teilen des modernen Russland auf negative Weise einen Nerv zu treffen. Scheinbar wünscht man sich den strahlenden russischen Helden, den weißen Ritter, der die Nazis mit stolzgeschwellter Brust und wehender Fahne hinwegfegt. Ganz so, wie es russische Strategie-Produktionen  gerne inszenieren – oder eben amerikanische Studios, wenn die Westfront im Fokus steht.

Denn im ersten  Company of Heroes, in World in Conflict, Call of Duty, Medal of Honor, Battlefield, Americas Army – überall spielen wir den amerikanischen Helden. Den Weißen Ritter, den Befreier, Retter, Krieger. Wir sind in der Spielewelt übersättigt von “westlicher Propaganda“. Das sollte man kritisieren, genau wie den verständlichen Wunsch anderer Nationen, endlich auch aus ihrer Sicht der Held zu sein, denn Krieg kennt keine Helden. Relic hat mit Company Of Heroes 2 etwas anderes versucht  und ist stellenweise daran gescheitert: brutalen Krieg auch gnadenlos darzustellen. Auch hier ist Kritik angebracht, doch die Zielrichtung ist nicht verkehrt, da kritische Auseinandersetzung mit Krieg und Geschichte auch in Videospielen stattfinden darf und soll.

Was folgt jedoch aus der Reaktion des russischen Publishers? Was ist die Konsequenz aus dem Einlenken vor dem Protest des Publikums in Russland? Totalverbot kritischer Medien? Einschränkung der Meinungsfreiheit?  Hört die Freiheit der Gestaltung da auf, wo Nationalstolz anfängt? Spiele sollten, solange sie sich in legalen Grenzen bewegen, genauso viel dürfen wie jede andere Kunst- oder Unterhaltungsform. Enemy at the Gates etwa verharmloste auf absurde Weise die Schlacht um Stalingrad und wurde deshalb von Kritikern hart angegangen. Verkaufsstopp? Fehlanzeige! Zu Recht! Apocalypse Now zeigt eine finstere Realität des Vietnamkrieges im künstlerischen Gewand. Zugedröhnte GIs, Ermordung von Zivilisten, Napalm, Wahnsinn.  Proteste oder gar Verbot in den USA wegen „Diffamierung von Helden des Vietnamkrieges“? Nein! Zu Recht!

Ähnlich wie beim Flaggen-Eklat der Bloodhound Gang könnte man die russischen Gamer zudem fragen: „Was habt ihr denn erwartet“? Wer ein nordamerikanisches Videospiel zur Hand nimmt, wird nicht erwarten können eine zu 100% akkurate Darstellung  der Geschehnisse geliefert zu bekommen – und schon gar keine russische Verklärung. 


Eike Cramer
Trainee Redaktion

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