Kommentar

hundertprozent subjektiv

KW 42
Montag, 13.10.2014

Der Sportspiel-Anachronismus


Das ist schon komisch mit diesen Sportspielen. Irgendwie komme ich nicht davon los. Nicht nur, weil ich sie beruflich teste, sondern weil mich die virtuellen Duelle schon immer fasziniert haben. Das fing mit Spielen wie International Soccer auf dem C64 an – was heute aussieht wie Pixeltanz im Scherenschnitt, hat uns damals zwischen quietschenden Joysticks jubeln lassen.  

Und es ging weiter mit Kick Off, Microprose Soccer sowie all diesen anderen virtuellen Wettbewerben von Tennis bis Boxen. Durch die Online-Vernetzung hat das Genre dann nochmal ungeheuer an Spannung gewonnen. Mal all die Nebengeräusche wie Lags, Labertaschen oder Abbrecher beiseite: Was habe ich schon an Nervenkitzel in letzter Sekunde und an Headset-Tragödien erlebt! Ich sag nur: Männerstolz und zweistellig.

Egal ob Fußball, Basketball oder Eishockey: Zuhause reihen sich also Sportspielboxen aneinander wie Jahrbücher. Da stehen NHL, FIFA und PES fast schon wie feste arithmetische Reihen. Nur unterbrochen durch japanische Importe wie Winning Eleven oder Exoten wie This Is Football. Aber wenn ich Daumenkino mit Covern spielen könnte, müsste ich Messi eigentlich altern sehen. Und da sind wir beim Thema: Auch die Sportspiele selbst sind in die Jahre gekommen.

Sie wirken mittlerweile wie Überbleibsel aus einer anderen Zeit. Vor allem, was die Veröffentlichungspolitik betrifft: Wie kann es sein, dass man im Zeitalter der digitalen Supermärkte, in der Ära von DLC, Episoden und Season Pass, noch mit diesen jährlichen Komplettpaketen zum Vollpreis konfrontiert wird? Es ist ein ganz seltsamer Anachronismus. Der ist nur möglich, weil noch sehr viele Leute z.B. ihr FIFA für satte 60 Euro kaufen. Und auch, weil die Spielepresse sie immer wieder bejubelt.

Dabei ist der jährliche Rhythmus auch für die Entwickler ein Graus: Wie soll man in zwölf Monaten etwas Neues anbieten? Wirklich kreative Fortschritte, die man auch als „neues Spiel“ bezeichnen könnte, hat in den letzten Jahren nur eine Serie in einem Bereich gemacht: NBA 2K in seinem vorbildlichen Karrieremodus. Ansonsten wird neben aktualisierten Kadern im Idealfall das Spielgefühl verbessert. Und daran analysieren wir uns als Tester dann einen Wolf, indem wir Physik, Steuerung, KI & Co mit dem Vorjahr vergleichen. Aber wenn die Teams mehr Zeit hätten, könnten sie grundsätzlich mehr Qualität anbieten, was Regie & Co betrifft - eine ganz große Baustelle.

So sorgt der lukrative, aber für die Kreativität schädliche Jahresrhythmus meist nur für mehr Worthülsen als frische Spielerfahrungen. Um das Wenige zu kaschieren und dennoch den Vollpreis zu rechtfertigen, müssen PR und Marketing das Ganze mit ebenso dämlichen wie künstlichen Anglizismen à la „Real Physic Super Control Emotional System 3.0“ schminken. Pressemitteilungen werden mit Superlativen und Listen aufgeplustert, wobei sich das Meiste davon in der Realität auf dem Platz in Luft auflöst.


Ganz ehrlich? Ich würde privat nicht mehr so viel Geld auf den Tisch legen. Oder zumindest ganz streng auswählen. Auch weil da immer so viel an Stagnation drin steckt, die ich nicht brauche. Ich würde vielleicht eher zwanzig Euro für ein FIFA 16 bezahlen, das mir nur grundsätzliche Spielmechaniken mit aktuellem Kader anbietet, wenn ich z.B. einzelne Modi oder Services für ein paar Euro andocken könnte – das Ultimate Team, die Online-Saison, den Managermurks, den Editor etc. Und meinetwegen kann dann alles zusammen auf 60 Euro kommen.

Aber so hätte ich auch die Möglichkeit, diese ewig gleichen und schrecklich sterilen Karrieren in FIFA oder PES als Kunde abzustrafen, indem ich sie einfach nicht dazu kaufe. Natürlich traut sich keiner, eine neue Generation der Sportspiele in Modulen einzuführen, weil der Profit mit der aktuellen Veröffentlichungspolitik einfach enorm ist. Eine Pause ist quasi direkt ein Verlust. Und letztlich beteiligen wir uns als Spielepresse ebenfalls an der Euphorie, indem wir immer noch relativ hohe Wertungen dafür vergeben.

Seit 2014 zeichnet sich allerdings eine gewisse Ernüchterung ab – nicht nur in unserem Archiv sinken die Wertungen für Sportspiele. Übersättigung? Trendwende? Zufall? Vielleicht ist die Zeit ja bald reif für einen mutigen Publisher, ganz klar zu sagen, dass man die qualitative Entwicklung auf zwei oder drei Jahre ausrichtet und die Serien zwischenzeitlich nur noch modular bzw. über Kader auf dem aktuellen Stand hält. Ihr könntet sparen, die Studios wirklich etwas entwickeln und wir lassen die Phrasen zum Spielgefühl oder zur Ballphysik über Jahre genauso ruhen wie die PR ihre Superfeaturismen.

Die jährliche Veröffentlichung zum Vollpreis passt jedenfalls nicht mehr in diese Zeit.

Jörg Luibl
Chefredakteur

 

Kommentare

okapi schrieb am
Wie kann es sein, dass man im Zeitalter der digitalen Supermärkte, in der Ära von DLC, Episoden und Season Pass, noch mit diesen jährlichen Komplettpaketen zum Vollpreis konfrontiert wird?
...die Frage wird ja später im Text selbst beantwortet:
GELD.
Auch wenn hier einige meinen, man bräuchte es dringend aufgrund von Lizenzen etc. - die Spiele werden einfach gemolken bis zum Geht-nicht-mehr.
Dafür bekommt man "Neuerungen", die teilweise eher Patches gleichen.
Teilweise hatte ich schon bei Features das Gefühl, dass diese im vorigen Teil nur (schlecht) eingebaut wurden, um danach beim nächsten Ableger der Reihe damit werdebn zu können, diese verbessert zu haben.
Furchtbar... trotzdem kauft man es sich jedes Jahr auf's Neue und unterstützt das Ganze damit... :Hüpf:
Poeser Pursche schrieb am
@Jörg
Schön wäre eine Art historische Top Ten, gerne auch einzeln für PES, FIFA und sonstigen.
ZackeZells schrieb am
habe mich eben auch gefragt als ich auf einen Post von mir im Fred gestoßen bin und dachte - wtf habe doch noch garnichts gepostet...als ich dann 2014 gelesen habe war mir klar, 4Players ihr lasst arg nach...
https://www.youtube.com/watch?v=5SZIAl1MbtQ
schrieb am