Jörg Luibl
E3 2018: "Games as a statement"Ein Kommentar von Jörg Luibl, 15.06.2018
Habt ihr am 22. Februar 2019 schon etwas vor? Ihr könntet natürlich Arthur Schopenhauers Geburtstag feiern - als Verfechter des Subjektivismus ist er ja fast ein Pate dieses Magazins. Oder ihr entscheidet euch für eines dieser Spiele: Anthem, Crackdown 3, Days Gone oder Metro Exodus; die erscheinen tatsächlich alle gleichzeitig an jenem Freitag. Für was würdet ihr euch entscheiden?

Wie auch immer: Da zeichnet sich bereits ab, welche unheimliche Fülle an Abenteuern die nächsten Jahre bieten werden: Von Kingdom Hearts 3 bis Devil May Cry 5, von Ghost of Tsushima bis The Last of Us 2; von Beyond Good & Evil 2 bis Rage 2, von Sekiro bis Starfield, von The Elder Scrolls 6 bis System Shock 3...

Musste man vor etwa drei, vier Jahren noch skeptisch in die Zukunft blicken, was Qualität sowie Quantität betrifft, hat spätestens diese E3 2018 demonstriert, dass in der Branche nicht nur DLC, Battle Royal, eSport und Mikrotransaktionen, sondern auch klassische große Spieleproduktionen florieren, die ja schon fast totgesagt waren. Stattdessen reift die Regie immer weiter, erreicht mit The Last of Us 2 auch hinsichtlich situativer Abläufe ein erstaunliches Niveau.

Zwar liegen wichtige inhaltliche Fortschritte weiter brach, wie etwa die künstliche sowie emotionale Intelligenz - das ist alles immer noch Steinzeit, was da auf den Bildschirmen abläuft. Außerdem wird das Blinken, Sammeln und Craften zu inflationär eingesetzt. Es werden zudem viele bekannte Mechaniken wie in Battlefield 5 oder Fallout 76 lediglich modifiziert. Und es stimmt, dass vor allem eines im Mittelpunkt steht: der Kampf in irgendeiner Form, wohingegen die subtilere Interaktion, die auch mal den Geist und das Nachdenken erfordert, immer noch untergeht.  

Es ist allerdings beruhigend, dass Leidenschaft und Kreativität mancher Studios mit dem wachsenden Erfolg eben nicht nur verloren gehen, sondern gegen moderne Trends bestehen: Neben Naughty Dog sind vor allem Bethesda und From Software sehr wichtig. Denn sie müssen die einmal etablierte Anziehungskraft ihrer Abenteuer immer wieder bestätigen - oder sich neu erfinden: Starfield hier, Sekiro da. Jetzt ist klar, dass die Soulsreihe bis zur PlayStation 5 ruht und Hidetaka Miyazaki einen anderen Kampf inszeniert - gut so!

Beeindruckend ist auch, dass ein Studio aus unserem Nachbarland mit einem Rollenspiel namens Cyberpunk 2077  voll ins Risiko geht und so viele Diskussionen anregen konnte. Als ich 2007 The Witcher getestet habe, war das nach all dem seelenlosen Kloppmist wie ein magischer Fingerzeig - da haben polnische BioWare-Fans einfach mal ihr eigenes Ding gemacht. Aber dass sie ihre Vorbilder irgendwann so überflügeln würden? Es freut mich, dass CD Projekt RED ein Jahrzehnt später, auch nach dem weltweiten Erfolg von The Witcher 3, nochmal derart nachlegen kann. Und es freut mich auch, dass BioWare erstmal so viel mit Anthem zu tun hat, dass ein Dragon Age: Inquisition 2 immer unwahrscheinlicher wird.

Selbst Microsoft ist aufgewacht. Oder hat zumindest so laut gegähnt, dass sie vermutlich 2020 mal wieder ein exklusives Triple-A-Abenteuer neben Forza veröffentlichen werden - nur bleibt die Xbox One X voraussichtlich auch 2019 ein Gott ohne Hammer. Das ist ein Luxus, den man sich nur leisten kann, weil man längst in anderen Sphären als einer schnöden Hardware mit Killer-App denkt - nämlich Windows und vor allem Cloud.

Glaubt man dem Ubisoft-Chef wird es ja nur noch eine weitere Konsolengeneration geben, bevor wir aus allen Wolken saugen. Alles scheint sich auf das Streaming vorzubereiten. Die steigenden Umsätze in den digitalen Shops haben den Weg in eine Zukunft ohne Hardware und mit Boxen als Luxusgut bereitet. Das macht mich als Kind der 80er irgendwie traurig, weil ich die Brotkisten und Disketten einfach gerne angefasst habe, aber das hat auch Vorteile.

Denn wer bietet da welches Abo an? Wer wird das Netflix der Spielewelt? Wer bindet seine digitalen Kunden besser, indem er in Studios investiert? Fest steht: Die Discs werden verschwinden, aber die kreativen Spiele werden bleiben! Auch deshalb war es eine strategisch gute Entscheidung von Microsoft, gerade Ninja Theory zu kaufen, die ihre Klasse mehrfach bewiesen und spätestens mit Hellblade eine kreative Duftmarke hinterlassen haben. Zumal Tameem Antoniades ein talentierter Regisseur ist, dem einiges an Charakterzeichnungen zuzutrauen ist.

Und aus Redmond flattert der Fehdehandschuh sogar direkt nach Kalifornien: Man will "bahnbrechende neue Welten" unter der Leitung von Darrell Gallagher (Activision, Crystal Dynamics) erschaffen. Dass man das neue Studio "The Initiative" nennt und ausgerechnet in Santa Monica aufbaut, ist natürlich eine Kampfansage. Immerhin sind dort mit Sony Santa Monica (God of War) sowie Naughty Dog (Uncharted, The Last of Us) die zwei führenden Studios der Konkurrenz zuhause, die der Spielewelt seit Jahren digitale Abenteuer der Extraklasse bescheren.

Für den Wettbewerb ist diese spielepolitische Konstellation sehr befruchtend, zumal man ja nicht nur von Ubisoft, Capcom und Square Enix noch einiges erwarten kann, sondern auch von Nintendo. Die haben zwar auf dieser E3 2018 komplett enttäuscht, die Präsentation von Super Smash Bros. Ultimate war schon fast Realsatire, aber das kann man sich angesichts der Erfolgsgeschichte der Switch sowie mit diesen Marken in der Hinterhand schonmal erlauben.

Wichtig ist, dass Publisher weltweit wieder in Triple-A-Produktionen für Solisten investieren und die Regie nicht nur anspruchsvoller wird, sondern endlich wieder häufiger mit Namen in Verbindung gebracht werden kann: Druckmann, Kojima, Spector, Miyazaki, Levine, Kamiya, Barlog, Hennig, Tamiades! Wir brauchen wieder mehr individuelle Handschriften auf dem Bildschirm. Michel Ancel verdrückte letztes Jahr noch Tränen auf der Bühne von Ubisoft und konnte dieses Jahr in beeindruckenden Bildern sein Beyond Good & Evil 2 vorstellen.

Noch avantgardistischer wird es mit Hideo Kojima: Am Horizont dieser Spielewelt wartet nicht weniger als ein Death Stranding, das sich komplett einer Vision verschreibt - surreal und rätselhaft. Es ist wunderbar, dass dieses Abenteuer nicht wie so vieles andere so schnell zu durchschauen ist! Genau das sind die Impulse, die dieses Medium braucht - weniger "Games as a service", mehr "Games as a statement", mehr Genie und Wahnsinn.

Vielleicht gehört ja auch Babylon's Fall von Platinum Games in diese Kategorie.

Es ist gerade sehr schön, Spieler zu sein.

Jörg Luibl

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