Kommentar

hundertprozent subjektiv

KW 37
Freitag, 11.09.2009

Hier steht kein Kommentar


Am 11. März machte sich Tim K. auf und verließ das elterliche Haus. Bewaffnet. Ein paar Stunden später würde ganz Deutschland den Namen einer kleinen Stadt in Baden-Württemberg kennen.

Es dauerte nicht lange, bis die Associated Press zu berichten wusste, dass K. in seiner Freizeit Counter-Strike spielte. Und sehr schnell spukte das Gespenst von Erfurt durch die Schlagzeilen. Wir waren uns in der Redaktion einig, dass wir nicht darüber berichten werden.

Nicht etwa, weil das Thema zu heikel war -  ganz im Gegenteil: Es war weder sensationell noch relevant für uns als Spielemagazin. Die Tatsache, dass ein männlicher, in diesem Kulturkreis aufgewachsener Jugendlicher auch Shooter konsumiert, war ungefähr so überraschend wie das Donnern nach dem Blitz. Würde ein Lifestyle-Magazin die modischen Vorlieben des K. aufarbeiten? Vermutlich nicht.

Dass der Amoklauf auch ohne News noch für uns als Spieler relevant werden würde, war jedoch abzusehen. Man musste dennoch in Deckung gehen, denn die Lawine des Aktionismus rollte schnell: Neben einer Verschärfung des Waffenrechts -- Wie war das noch, Herr Schäuble? -- wurden auch die "Killerspiele" aus der Mottenkiste gezerrt. Einmal mehr wurden Vertriebs- und Herstellungsverbote gefordert. Und in StuttgartKarlsruhe sowie Nürnberg mühte man sich gar eifrig, Veranstaltungen der ESL zu torpedieren, während nebenan ganz reale Waffenmessen veranstaltet wurden und Schützenvereine weiter um die Wette ballerten. (Eine stichprobenartige Überprüfung mehrerer Vereinswebseiten und der dort aufgeführten Neuigkeiten und Termine legt dies zumindest nahe.)

In dieser Woche erhielt die Staatsanwaltschaft Stuttgart das psychologische Gutachten über Tim K. Dem 211 Seiten starken Werk zufolge litt K. laut eigener Einschätzung an einer bipolaren Störung. Der Gutachter selbst geht davon aus, dass der 17-Jährige unter einer masochistischen Persönlichkeitsstörung litt. Weder die Eltern noch die Therapeutin, bei der K. kurzzeitig in Behandlung war, hätten jedoch die Ernsthaftigkeit der Lage erkannt.

Es sind nicht nur diese Feststellungen, die beachtenswert sind - kaum ein Psychologe würde vermutlich behaupten wollen, dass eine derart starke Störung entscheidend durch den Konsum von Computerspielen geprägt wurde. Beachtenswert ist auch die Umtriebigkeit und das Expertentum, mit denen so mancher Politiker in der Zwischenzeit zu glänzen wusste. Die finale Untersuchung nicht abwarten wollend, präsentierten einige Damen und Herren mit politischem Mandat ihre Lösungen für ein Problem, das sie natürlich vor allen anderen verorten konnten.

Aber jetzt sind all die abstrusen Verbots- und Verschärfungs-Forderungen in den Brunnen gefallen. Dass K. laut Gutachten ernsthaft psychisch gestört war, wird keine Rolle mehr spielen, und angesichts des Getöses um die anstehenden Bundestagswahlen muss sich auch niemand der verantwortlichen Polemiker davor fürchten, mit dem Thema der aktionistischen Hysterie konfrontiert zu werden. Dennoch bleibt festzuhalten: Die Hartnäckigkeit und der Tunnelblick, die die Innenminister und einige andere Politiker an den Tag gelegt haben, war ebenso beeindruckend wie bedenklich. Vor allem, weil da inhaltlich hanebüchene Zusammenhänge und Thesen als wissenschaftliche Erkenntnisse verkauft wurden

Mit einem erstaunlichen Elan stellten beispielsweise die Herren Schünemann, Hermann oder Strobl ihre persönlichen Ansichten oder die Lieblingsstudie als allgemeingültiges Wissen dar. Es sei "klar", dass die "virtuelle Brutalisierung bei vielen jugendlichen Gewalttätern und Amokläufern den Beginn der realen Brutalisierung", heißt es da u.a.. Ist das so klar? Laut derzeitigen Metastudien zeigten die meisten Untersuchungen bisher keinerlei Zusammenhang zwischen jenen Faktoren auf, auch wenn er doch ach so logisch klingt. Dass diverse Studien auch mit Methoden oder einer gewissen Voreingenommenheit durchgeführt wurden, die hinterfragt werden müssten, sei an dieser Stelle nur kurz erwähnt. Und die Mutmaßung, dass eine durchaus mögliche kurzzeitige Steigerung des Aggressionsniveaus durch Frust beim Spielen in einem gut durchgeplanten Amoklauf resultieren könnte, wäre ungefähr so wasserdicht wie ein Sieb.

Das sture Festhalten an eigenen Überzeugungen und das Vermitteln einer statistisch nicht beweisbaren Gewissheit ist nicht einfach ärgerlich - es ist schlichtweg verantwortungslos. Einem Arzt, der eine Diagnose stellt, ohne den Patienten überhaupt untersucht oder sich genau mit dem eigentlichen Problemfeld beschäftigt zu haben, würde flugs die Zulassung entzogen werden. In der Politik scheint das Irrlichten im Nebel bei gleichzeitiger Volksverunsicherung ohne Folgen zu bleiben.

Ob es einen oder keinen Zusammenhang mit zwischen Spielen und Amokläufen gibt, darüber mögen sich die Gelehrten weiter streiten. Der Zusammenhang zwischen Amokläufen und politischem Aktionismus ist empirisch hingegen zweifelsfrei nachgewiesen. Da sich die Lage vermutlich nicht ändern wird, bis eine technologienähere und spielvertrautere Generation von Politikern den Diskurs bestimmt, wäre das Verfassen eines Kommentars reine Zeitverschwendung. Darüber waren wir uns in der Redaktion alle einig. Und deswegen schreibe ich ihn auch nicht

(Hah!)

-Julian Dasgupta
4P-Redakteur


 

Kommentare

johndoe894557 schrieb am
ich bauche hilfe
ich habe mich ausversehen hier angemeldet
bitte helft mir weiter wie ich mich wieder löschen kann
liebe grüsse
ThePlake0815 schrieb am
Chickenburgerfürneneuro hat geschrieben:Bild
Lege Artis hat geschrieben:solche Shirts sind pietätslos
Wer so eine Aussage macht, sollte mal zum Arzt gehen, dass der einen umgangssprachlichen "EKG" (E***-Kontroll-Griff) durchführt! Scheint, als fehlt dir da was!
Pietätlos ist dass, was die Politiker nach JEDEM Amoklauf aussagen!!! Da wird das Umfeld des Täters sozusagen komplett ausgeblendet und die Spiele beschuldigt, somit auch die Möglichkeit komplett verbaut, in Zukunft gute und vor allem wirkungsvolle Präventionsmaßnahmen aufzubauen!!!
Dieses Shirt sagt aus, wie wir GAMER uns seit Jahren fühlen! Die Tatsache, dass die Amokläufe in's lächerliche gezogen werden, liegt einzig und allein daran, dass die Politiker dieses ernste Thema mit "Spielt halt weniger Counter Strike!" immer wieder vom Tisch wischen!!! :evil:
@ Chickenburger
Wo haste das gefunden, würd's gerne bestellen???
@ Kommentar, den es nicht gibt... ^^
Ich bin sowieso dafür, dass die Textilindustrie mal genauer unter die Lupe genommen wird...! Bei etwas genauerer Recherche ist mir nämlich aufgefallen, dass RESTLOS ALLE Amokläufer, zumindest der letzten 10-20 Jahren, AUSNAHMSLOS Kleidung trugen... Das kann doch kein Zufall sein...?!?!?
ZockerManiac schrieb am
Auch ich komme nicht ganz umhin, diesen - imho guten - Kommentar wiederum zu kommentieren. Der Übersichtlichkeit halber werde ich dabei den jeweils kommentierten Textteil zitieren:
Die Tatsache, dass ein männlicher, in diesem Kulturkreis aufgewachsener Jugendlicher auch Shooter konsumiert, war ungefähr so überraschend wie das Donnern nach dem Blitz.,
Das ist schon richtig! Generell ist es wissenschaftlich aber dennoch interessant, typische Verhaltensweisen von Tätern oder auch potentiellen Tätern zu analysieren. Selbstverständlich würde dies auch für deren modische Vorlieben gelten, wenn es hier eine interessante Korrelation gäbe. Eine solche wurde im Falle von "Killerspielen" nun einmal wiederholt gefunden, was natürlich kritisch geprüft werden muss, aber per se selbstverständlich nichts über einen funktionalen Zusammenhang zwischen diesen Faktoren aussagt (und DA liegt der Fehler, der immer wieder gemacht wird!).
Dass der Amoklauf auch ohne News noch für uns als Spieler relevant werden würde, war jedoch abzusehen. Man musste dennoch in Deckung gehen, denn die Lawine des Aktionismus rollte schnell: Neben einer Verschärfung des Waffenrechts -- Wie war das noch, Herr Schäuble? -- wurden auch die "Killerspiele" aus der Mottenkiste gezerrt. Einmal mehr wurden Vertriebs- und Herstellungsverbote gefordert. Und in Stuttgart, Karlsruhe sowie Nürnberg mühte man sich gar eifrig, Veranstaltungen der ESL zu torpedieren, während nebenan ganz reale Waffenmessen veranstaltet wurden und Schützenvereine weiter um die Wette ballerten. (Eine stichprobenartige Überprüfung mehrerer Vereinswebseiten und der dort aufgeführten Neuigkeiten und Termine legt dies zumindest nahe.)
Das alles ist doch aber viel einfacher, stressfreier und v.a. billiger als sich endlich einmal den tatsächlich relevanten Problemen zu widmen. Diese sind unter Fachleuten übrigens durchaus seit langem bekannt: Flächendeckende und qualifizierte psychosoziale Betreuung der Jugendlichen (und zwar präventiv, nicht...
Spunior schrieb am
Ich würde dem FIFA-Kommentar eine 64% geben, wobei es allerdings Abzüge im Bereich 'on-topic' gab.
C.Montgomery Wörns schrieb am
NIKEshooter hat geschrieben:ich finde das FIFA 10 mehr als 87% haben sollte. ich würde es 96% geben.
:Pharao:
schrieb am