Kommentar

hundertprozent subjektiv

KW 46
Donnerstag, 12.11.2009

Electronic Argh: Die Strategiesuche


1,713 - für sich genommen eine kleine Zahl, die aber mit einer entsprechenden Einheit versehen gewaltige Implikationen hat. Ich bin überzeugt davon, dass es die Mannen um John Riccitello tatsächlich ernst meinten, als sie bei Electronic Arts vor geraumer Zeit eine Qualitätsoffensive ankündigten. Der Publisher sei zu schwerfällig geworden und habe sich zu lange auf seine Lorbeeren ausgeruht, hieß es da. Man wolle endlich Neues wagen und dabei trotzdem profitabel sein.

Knapp zwei Jahre später scheint man vor einem Scherbenhaufen zu stehen. Nachdem es schon Ende 2008 reichlich Aderlass mit 1100 Entlassungen gegeben hatte, schneidet man jetzt noch mehr Zöpfe ab: Weitere 1500 Stellen werden bis zum 31. März abgebaut. Fest steht nur, dass ein Minus von 1,713 Mrd. Dollar aus den letzten sechs Geschäftsquartalen für eine denkbar schlechte Bilanz und neue Töne seitens der Geschäftsführung sorgt. Der Mut zur Qualitätsoffensive war gestern, jetzt schnallt man den Gurt wieder enger.

Man habe eine Kerngruppe an Spielen und Sportmarken, die man jährlich bzw. alle zwei Jahre "iterieren" (also leicht angepasst wieder veröffentlichen) wird, ließ man Anfang der Woche verlauten und bezog sich dabei auf alle Spiele, "deren jüngste Ableger sich mehr als zwei Mio. Mal verkauft haben."All das klingt sehr vertraut, erinnert es doch an das, was Electronic Arts vor jenem Strategiewechsel immer gepredigt hatte. 'Alt' ist das neue 'Neu'.

Die Hoffnung auf jenes Bekenntnis zu frischen Marken war seit jeher ein zartes Pflänzlein in einer rauen Umgebung - ohne kurzfristige Erfolge reißt bei börsennotierten Unternehmen der Geduldsfaden fix. Extrem fix. So gesehen stand eine Neuorientierung, die aufgrund der üblichen Entwicklungszyklen erst zwei oder drei Jahre später wirkliche Früchte hätte tragen können, nie unter einem guten Stern.

Was aus den Projekten geworden wäre - von "mehr als einem Dutzend" war die Rede -, die der Hersteller im Rahmen der Kürzungen eingestampft hat, werden wir nie erfahren. Ob sich darunter auch Titel wie die von der Gerüchteküche angedeutete Neuauflage von Syndicate oder Viscerals The Ripper befinden, werden die kommenden Wochen und Monate zeigen. Auch wenn bei EA in den vergangenen zwei Jahren nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen war - man erinnere sich an Need for Speed: Undercover oder die Kopierschutzdiskussion, die die Veröffentlichung von Spore und Mass Effect (PC) umlärmte -, so bemühte man sich doch.

Ein Spiel wie Army of Two hätte sich der Publisher früher vermutlich nicht ins Portfolio gepackt, um ja nicht das familienfreundliche Image des Unternehmens zu gefährden. Ganz zu schweigen vom versponnenen Brütal Legend, bei dem selbst viele Schafer-Fans schon vor der Veröffentlichung unkten, dass es zu abgedreht für den Massenmarkt sein könnte. EA nahm das Projekt unter Vertrag und setzte damit ein Zeichen - und zwinkerte in Richtung der Hauptkonkurrenz: Activision Blizzard hatte Brütal Legend nämlich genau aus jenem Grund aufs Abstellgleis geschoben.

Die jüngste Version von Madden NFL wartete mit mehr Feinschliff auf als das, was EA Tiburon in den Jahren zuvor abgeliefert hatte. Und seit FIFA 09 bin selbst ich, der seit der Veröffentlichung von International Super Star Soccer auf dem SNES immer mit den Konami-Kickern unterwegs war, eher von dem angetan, was EA Canada präsentiert - von den lausigen PC-FIFAs und PES auf der Wii natürlich mal abgesehen. Boom Blox unterhält sowohl im Einzel- als auch im Mehrspielermodus und machte sich die Eingabemöglichkeiten der Wii sinnvoll zu Nutze. Auch Dead Space: Extraction ist - unabhängig davon, was man vom Genre hält - nicht das, was man als billige und lieblose Umsetzung bezeichnen könnte. Im Gegenteil: Hier zeigt ein Entwickler, was technisch auf Wii möglich ist.
 
Warum geht es dann trotzdem wirtschaftlich bergab mit EA? Die Gründe für das Scheitern sind vielfältiger Natur und mit einfachen Erklärungen ist niemandem geholfen. So haben einerseits viele Dritthersteller Probleme, auf der Wii ihre Spiele trotz der großen Hardwarebasis an den Mann zu bringen - andererseits hat EA seinen Produktionen auch nie den Marketingmuskel verpasst, den man 360/PS3-Titeln üblicherweise spendiert.

Auch Mirror's Edge verfehlte die ursprünglichen Erwartungen. "Viel zu kurz!", heißt es da schnell. Als ob es nicht auch andere Spiele mit vergleichbarer Länge gegeben hätte, die sich trotzdem gut verkauft hätten. Und die Schlaumeier, die nachher mitteilen konnten, was für eine dumme Idee es doch gewesen sei, eine neue Marke im Weihnachtsgeschäft zu verheizen, hätten Ubisoft ein Jahr zuvor vermutlich auch davon abgeraten, Assassin's Creed im November zu veröffentlichen.

Zweifelsohne fehlte an mancher Stelle ein strategischer Fokus. Drei von der Veranlagung her unterschiedliche Need for Speed-Titel auf einen Schlag anzukündigen, zeugt von Experimentierfreudigkeit - oder dem Fehlen eines klaren Konzepts. Wie es da im Englischen zu schön heißt: Throw it all against the wall and see what sticks.

Battleforge, von dem ursprünglich gemunkelt wurde, es sei ein Spiel auf Free-to-Play-Basis, kam als Vollpreistitel in den Handel. Das Paket beinhaltete zwar ein Kartenguthaben - dennoch blieb eine Einstiegshürde in Höhe von 40 bis 50 Euro. Ein paar Monate später passierte dann doch, was mancher eigentlich von Beginn an erwartet hatte: EA stellt den Basis-Client kostenlos zur Verfügung.

2007 formierte der Publisher eine Casual-Sparte, nur um diese dann anderthalb Jahre später mit der Sims Division zusammen zu legen. Auch an anderer Stelle verhob man sich: Tiberium wurde knapp ein Jahr nach seiner Ankündigung eingestampft, die nie offiziell angekündigte Versoftung von The Dark Knight wurde nach einigen Rettungsversuchen auf Eis gelegt. Man muss dem Hersteller allerdings auch anrechnen, dass er das Spiel nicht auf Teufel komm raus in mittelmäßigen Zustand veröffentlichen wollte.

Ein weiteres Unterfangen, das Geld und Aufwand kostete, letztendlich aber ohne Ergebnis blieb, war der Versuch, Take-Two aufzukaufen. Monatelang umgarnte EA die Aktionäre des Konkurrenten, um eine feindliche Übernahme einzuleiten. Nachdem die beiden Managements dann endlich den Weg an den Verhandlungstisch gefunden hatten, blies Riccitiello das Vorhaben plötzlich ab.

Immerhin: Mit der Absage dürfte er richtig gehandelt haben. Die Übernahme hätte mit einem Volumen von mehr als zwei Mrd. Dollar die Kriegskasse EAs weiter geleert, nachdem man zuvor schon über 800 Mio. Dollar für den Kauf von BioWare/Pandemic ausgegeben hatte. Dafür hätte man Zuwachs in Form eines Unternehmens bekommen, das es bis dato nicht wirklich vermag, in GTA-losen Quartalen schwarze Zahlen zu schreiben und dessen Integration weitere immense Kosten verursacht hätte. Ärgern dürften sich rückblickend nur die Take-Two-Aktionäre, die ihre Wertpapiere für 26 Dollar pro Stück losgeworden wären. Auch hier darf gefragt werden, ob jenem Unterfangen einst ein langfristiges Konzept zu Grunde lag - oder doch nur der Blick auf die Monate zuvor verkündete Fusion von Activision und Vivendi Games. EA sei zu fett geworden, ließ Riccitiello vor einiger Zeit verlauten. Der Zukauf Take-Twos aber wäre dann wohl eine Diät mit Fast Food gewesen für den Konzern, der auch so schon beschäftigt genug damit ist, seine Betriebskosten in den Griff zu bekommen.

Ob BioWare/Pandemic ein Schnäppchen war, wird sich noch zeigen müssen. Pandemic musste schon reichlich Federn lassen. Die fleißigen  Rollenspiel-Spezialisten arbeiten dagegen an mindestens einem unangekündigten Titel, für alle drei aktuellen Projekte - Mass Effect 2, Dragon Age: Origins und Star Wars: The Old Republic - gilt aber: Sie befanden sich schon in der Pipeline, bevor EA sich das Studio einverleibte.

Von den noch vor anderhalb Jahren verkündeten Umsatzzielen hat man sich schon vor einiger Zeit verabschiedet - statt eines Umsatzes in Höhe von 5,13 Mrd. Dollar wird man im Geschäftsjahr 2010 derzeitigen Schätzungen zufolge Einnahmen im Bereich von 3,6 bis 3,9 Mrd. Dollar erwirtschaften - auch aufgrund des verkleinerten Portfolios. Gleichzeitig versucht man den Kurs des Kahns in eine neue Richtung zu bringen: Während in den bisherigen Abteilungen 1500 Stellen gekürzt werden, genehmigte sich der Publisher für 300 Mio. Dollar die Social Games-Spezialisten Playfish. Weitere 100 Mio. Dollar könnten fällig werden, wenn die Firma bestimmte Ziele erreicht. Auch sehe man sich generell zukünftig mehr als Anbieter digitaler Dienstleistungen, der nicht mehr so abhängig von Produkten sein will, die über den herkömmlichen Handel vertrieben werden.

Mit Übernahmen hat das Unternehmen in der Vergangenheit aber selten ein glückliches Händchen bewiesen. Beispielsweise schluckte man vor vier Jahren den Handyspiel-Hersteller Jamdat für satte 680 Mio. Dollar und verwies auf jenen Zukunftsmarkt. Ebenfalls tiefer in den Geldbeutel dürfte man für die Übernahme Mythics gegriffen haben, um endlich Fuß im Markt der Online-Rollenspiele fassen zu können  diese Strategie hat sich firmenintern allerdings nur das Gütesiegel 'Geldgrab' verdient, wenn man mal von Ultima Online absieht. Nachdem Warhammer Online nicht der erhoffte Erfolg geworden war, wurde aber auch dort der Rotstift angesetzt. Und nachdem das Team Monate zuvor BioWare unterstellt wurde, wurden in der vergangenen Woche geschätzte 40 Prozent der Belegschaft entlassen.

Ob der neueste Kurswechsel unter jenen Bedingungen also erfolgreich verlaufen wird, bleibt abzuwarten. Mit Hinblick auf die jetzt verkündete Produktstrategie bleibt aber zu sagen: Machs gut, altes EA - war schön mit dir. Hallo, neues altes EA - du wurdest nicht wirklich vermisst.


Julian Dasgupta
Redakteur


 

Kommentare

sieva schrieb am
Nö, aber sind Cosmic Walker, Dynamic Slash, etc. Nintendo Interne Entwicklungen?
Und die sechs Punkte hab ich mit dem No More Hereos Beispiel angesprochen.
Interessant ist ja nicht immer gut. Und No More Hereos war erst super interessant und dann, bei genauem hinschauen (als es fertig war) sah´s super langweilig aus.
crewmate schrieb am
Du hast nur meine markierten Stellen gelesen, richtig?
sieva schrieb am
Na es geht aber nicht um Co-finanziert, das macht Sony auch.
Es geht um kreativ sein ; )
Und da sind Cofinanzen für mich kein Beispiel.
crewmate schrieb am
sieva hat geschrieben:@Nintendo
Ich finde das sind immernoch reichlich wenig Titel für eine Plattform die es schon seit drei Jahren gibt.
Ich bin auch der Meinung das sich Nintendo mal wieder "kreativ" neue Franchises ausdenken lassen sollte.
Damals, zwischen Zelda für Snes und dem N64 lagen Jaaaahre. Und es war sowas besonderes das ein neues Zelda erscheint.
Heute; ist es immer die fast gleiche Story mit der fast gleichen Steuerung und allem, dass mich das erscheinen eines neuen Zeldas leider nicht mehr reizt. Und das selbe befürchte ich bei Super Mario Galaxy II, Nintendo verramscht grad seine klassischen Franchise.
Allgemein finde ich, ist als Resümee zu ziehen, dass Nintendos Wii einfach keine Konsole für "core"Spiele ist.
No More Heros ist ein gutes Beispiel, für ein Spiel, das ich mir nicht gekauft habe. Weil von anfänglicher lust und verlangen nur noch "ach schade in dem Spiel fuchtelt man eh nur rum" übrig blieb.
Also Fazit: Nintendo ist meiner Meinung nach nicht wirklich kreativ.
Gegenbeispiel:
Ich wette EA´s System das sie in Deadspace erfunden haben, alle Inventorys/Infos/etc. nur noch IM SPIEL zu haben, ist eine viel Zukunftsweisendere Idee, die nicht nur in Splinter Cell sondern bestimmt noch viel öfter zum Einsatz kommen wird.
Ergo ist EA vielleicht sogar nochma nen Tick kreativer als Nintendo ; )
Crewmate hat geschrieben: Nintendo entwickelt abseits von ZeldaMetroidMarioKirbyDK
Cosmic Walker, Monado: Beginning of the World (RPG), Dynamic Slash, Sin&Punishment2, Endless Ocean2, Pikmin3
Sie haben zudem mit "You, Me & The Cubes" das neue Spiel von Kenji Eno produziert
und Fatal FrameIV von Grasshopper Manufacture kofinanziert.
Dann gab es noch die "Art Style" Puzzle Reihe über WiiWare.
"Captain Rainbow" lass ich mal außen vor o_0
Das nur nebenher.
Aber Nintendo können machen was sie wollen, Spiele abseits von ZeldaMetroidMario werden nicht wahrgenommen
oder gehasst, schließlich bremsen sie, wie jedermann weiß, das nächste Zelda aus!!!111: Bei "Disaster: DoC" gab es...
sieva schrieb am
@Nintendo
Ich finde das sind immernoch reichlich wenig Titel für eine Plattform die es schon seit drei Jahren gibt.
Ich bin auch der Meinung das sich Nintendo mal wieder "kreativ" neue Franchises ausdenken lassen sollte.
Damals, zwischen Zelda für Snes und dem N64 lagen Jaaaahre. Und es war sowas besonderes das ein neues Zelda erscheint.
Heute; ist es immer die fast gleiche Story mit der fast gleichen Steuerung und allem, dass mich das erscheinen eines neuen Zeldas leider nicht mehr reizt. Und das selbe befürchte ich bei Super Mario Galaxy II, Nintendo verramscht grad seine klassischen Franchise.
Allgemein finde ich, ist als Resümee zu ziehen, dass Nintendos Wii einfach keine Konsole für "core"Spiele ist.
No More Heros ist ein gutes Beispiel, für ein Spiel, das ich mir nicht gekauft habe. Weil von anfänglicher lust und verlangen nur noch "ach schade in dem Spiel fuchtelt man eh nur rum" übrig blieb.
Also Fazit: Nintendo ist meiner Meinung nach nicht wirklich kreativ.
Gegenbeispiel:
Ich wette EA´s System das sie in Deadspace erfunden haben, alle Inventorys/Infos/etc. nur noch IM SPIEL zu haben, ist eine viel Zukunftsweisendere Idee, die nicht nur in Splinter Cell sondern bestimmt noch viel öfter zum Einsatz kommen wird.
Ergo ist EA vielleicht sogar nochma nen Tick kreativer als Nintendo ; )
schrieb am