Kommentar

hundertprozent subjektiv

KW 02
Mittwoch, 13.01.2010

Traumjob Spiele-Entwickler?


Wovon träumt man als Zocker nachts? Also nachdem sich das Bettlaken in der Laraphase noch wie von Geisterhand wölbte? Vielleicht davon, einmal selbst Spiele zu entwickeln. Man hat ein Flashgame programmiert, zeichnet leidenschaftlich Comics oder schreibt gerne Kurzgeschichten. Und was könnte es Schöneres geben, als das herrliche Hobby zum Beruf zumachen? Schließlich sind die Aussichten ruhmreich: Einmal Warren Spector sein! Mit Hideo Kojima zum Sushi schleichen! Mit Peter Molyneux über Gott und die Wirklichkeit diskutieren! Und dann noch Geld dafür bekommen. Oh, das wär's doch...

Aber egal ob Feuerwehrmann, Fallschirmspringer oder Fußballprofi - so mancher Traumjob mit verlockender Perspektive entpuppt sich nicht nur als harte Arbeit, sondern als Alptraum. Da werden romantische Berufsideale vom Alltag aufgefressen, von zu wenig Euros ersetzt und schließlich über Jahre bis hin zum Burnout verheizt. Wer sich all die witzigen Trailer anschaut , all den sympathischen Lead-Designern mit ihren visionären Sprüchen lauscht oder im Laden zu einem Grand Theft Auto IV mit all seiner street credibility greift, muss sich denken: Hey Alter, das kann nur in einem coolen Team entstehen - wer da mitmacht, hat's geschafft! Geil, ich werde Rockstar und Spieledesigner!

Wie viele Millionen hat Grand Theft Auto bisher eingespielt? Oder Modern Warfare 2? Oder FIFA 10? Die virtuellen Welten mögen in den Schlagzeilen noch so viel Reichtum suggerieren, noch so fantastisch designt sein: Auch hinter den bunten Kulissen der Spielewelt geht es teilweise erschreckend frustrierend zu - vor allem im Bereich der Arbeitszeiten, der Verträge und des Berufsalltags. Es gibt Ausbeutung, Lohndumping und grobes Missmanagement im Personal. Wer glaubt, dass das weit entfernte Gespenster sind, die nur Günter Wallraff als Minijobber aus der Lidl-Bäckerei ruft, der irrt sich. 

Auch in diesem Big Business sind nicht alle die Big Winner, vor allem nicht die einfachen Angestellten. Natürlich gehört die so genannte "Crunchtime" vor der Fertigstellung eines Spiels zum Alltag; das ist die Zeit, in der alle nochmal Feinschliff ansetzen und länger ranklotzen. Aber viel zu oft wird aus dieser dreiwöchigen Überstundenperiode, die man noch verkraften kann, eine sechsmonatige Plackerei ohne Ausgleich und Gegenleistungen - die Zeit der dunklen Augenringe und Schlaflosigkeit. So manche Berichte aus der Entwicklerszene erinnern an das überwunden geglaubte Malochen des Industriezeitalters.

Der Unmut, der vor knapp fünf Jahren erstmals bei einer Frau eines EA-Mitarbeiters zu hören war, wird jetzt im Rahmen des Mitarbeiterprotests gegen RockStar San Diego wieder laut - da scheinen einige Familien so frustriert, dass sie die Macher von Red Dead Redemption sogar verklagen wollen. Und aus Angst davor, den Job zu verlieren, wird natürlich vieles anonym veröffentlicht. Ein Traumjob sieht anders aus als das, was da ans Tageslicht kommt: Sechs mal pro Woche zwölf Stunden arbeiten; unabhängig davon, ob man seine Ziele schon erreicht hat; Kürzung des Überstundenausgleichs und der Gesundheitsvorsorge; Streichung der Urlaubswoche zwischen Weihnachten und Neujahr; Gehalt der Angestellten seit vier Jahren nicht erhöht; willkürliche Reduzierung der Bonuszahlungen; Entlassung von teuren Altgedienten, dafür billige Junge einstellen.

Und kaum haben sich die Familien beschwert, werden auch Ex-Mitarbeiter munter und feuern über Joystiq eine Breitseite Richtung RockStar New York, wo sie die Ursachen all der Probleme an der Spitze sehen: Die Entwicklung von Red Dead Redemption sei auch deshalb eine "Vollkatastrophe" mit "vielen Problemen", weil die Produktion des Westernspiels von Dan und Sam Houser angeblich schlecht organisiert und nicht so ernst wie GTA genommen wird - klare Ansagen und Meilensteine fehlen, fähige Mitarbeiter werden degradiert, unnötige Überstunden geschoben. Man redet sogar von "Furcht" in San Diego vor dem Management in New York.

Stimmt das alles? Natürlich muss man die Anklagen von Ex-Mitarbeitern immer mit gesunder Skepsis einordnen. Natürlich wird da manches übertrieben - aber wo ein Haufen Pferdemist stinkt, ist zumindest ein Pony nicht weit. Spätestens, wenn die Frauen auf die Barrikaden gehen, sollte das Management wenigstens Ursachenforschung betreiben. Und wenn man die Rahmenbedingungen in der Spielebranche aus Gesprächen und Entwicklerforen kennt, dann geht es hier weniger um persönliche Schwarzmalerei einzelner Frustrierter, sondern eher um eine authentische Beschreibung der katastrophalen Arbeitssituation vieler Spielemacher weltweit. Spaß an der Spielentwicklung? Activision-Chef Bobby Kotic setzt lieber auf ein Klima des Drucks - nicht Motivation und Euphorie, sondern Skepsis, Pessimismus und Angst sollten aufgrund der wirstchaftlichen Lage die Leitgedanken sein:

"We have a real culture of thrift. The goal that I had in bringing a lot of the packaged goods folks into Activision about 10 years ago was to take all the fun out of making video games. We are very good at keeping people focused on the deep depression."

San Diego liegt ja nicht in China, sondern in Amerika: Hier regen sich nicht Fließbandarbeiter der alten US-Arbeiterklasse, so genannte blue-collar worker auf, die meist drei, vier Jobs haben, um überhaupt zu überleben. Nein, hier regen sich Angestellte aus der besser gestellten Gruppe der white-collar worker über Überstunden & Co auf - und das ist doppelt brisant. Denn in diesem Land ist man es gewöhnt, hart anzupacken und mit wenig Urlaub auszukommen. Da jammern keine verwöhnten Schweden mit 33 oder Deutschen mit durchschnittlich 30 freien Tagen im Jahr. Da beschweren sich Amerikaner, die mit durchschnittlich vierzehn Tagen ohnehin das weltweite Schlusslicht der privaten Freizeit darstellen. Und das Interessante: Trotz dieser kurzen Zeit lassen im Schnitt fast die Hälfte aller Amerikaner noch Urlaub verfallen - warum? Sie sind laut Erhebungen zu gestresst dafür!

Aber sie beschweren sich eigentlich nicht so oft wie wir. Wenn man mit Berufstätigen aus den USA spricht oder Verwandte fragt, die seit Jahren jenseits des Atlantiks arbeiten, hört man eher die Verwunderung darüber, dass wir Deutsche uns so aufregen - hier mal ein Zitat aus einem deutsch-amerikanischen Forum:

"Das Arbeiten in Amerika ist ja ein völlig anderes als aus Europa gewohnt. Es wird zwar lang und oft gearbeitet aber nicht so abgestresst wie in Europa. Ich hätte eigentlich aus Erholungszwecken niemals Urlaub gebraucht. Der Job gehört zum leben dazu und meistens geht das im Vergleich zu Europa recht locker ab."

Das dürften die Familien aus San Diego anders sehen. Und auch in Deutschland sieht es in den Entwicklerbüros nicht immer so aus, wie sich Gewerkschaften das vorstellen. Der Frust beginnt hierzulande allerdings schon vor Karriere: Wer als junger Deutscher in der Spielebranche durchstarten will und nicht als genialer Autodidakt geboren wurde, findet kaum Ausbildungs- oder Studienplätze wie z.B. an der Fachochschule Trier - private Akademien sind oftmals die kostspielige Alternative: Man investiert also viel Geld in seinen Traumberuf und kann hinterher nicht damit rechnen, auch traumhaft bezahlt zu werden. Warum sollte man einem jungen Artdesigner aus Frankfurt einen guten Lohn auszahlen, wenn der Kollege aus Bratislava für die Hälfte arbeitet?

Das Problem der Auslagerung teurer Arbeitsplätze ins Ausland, das mancher vielleicht nur von der Automobil- oder Textilbranche kennt, ist auch in der Spielebranche virulent. Natürlich gibt es auch hier Ausnahmen: Man kann es auch als Deutscher mit Fleiß und Talent so weit schaffen, dass man schließlich bei Naughty Dog landet - so wie Hanno Hagedorn, der für die weiblichen Charaktere in Uncharted 2 verantwortlich zeichnete. Aber diese Legionäre im Ausland sind so selten wie deutsche Profis in der Premier League.

Natürlich kann man letztlich nicht alle Firmen über einen Kamm scheren: Je nach Publisher, je nach Studio gibt es anderen Philosophien. Und man darf nicht vergessen, dass ein großer Entwickler wie BioWare seit Jahren zu den besten kanadischen Arbeitgebern gehört - gerade weil man sich vorbildlich um seine Leute kümmert und ihnen optimale Bedingungen sowie Zusatzleistungen bietet. Vor allem einen Punkt auf dieser Liste sollten sich Dan und Sam Houser als Arbeitgeber näher anschauen:

"rewards long-term employees with a seven-week paid sabbatical, to help employees stay refreshed and creative in an industry known for long hours and demanding schedules" (aus: Some of the reasons why BioWare was selected as one of Canada's Top 100 Employers for 2010; Mediacorp Canada)

Ist es ein Wunder, dass die Kanadier seit Jahren Top-Spiele präsentieren? Es ist wie mit den Pflanzen: Nur in einem gesunden Umfeld kann etwas Schönes wachsen. Nur wenn man sich wohl fühlt, kann man kreativ arbeiten. 

Wie unfruchtbar schlechte Arbeitsbedingungen und Überstunden sein können, hat letztlich auch Gothic 3 gezeigt. Ich erinnere mich noch an mein Gespräch mit dem JoWooD-Producer auf der Games Convention 2006: Er erklärte mir auf meine Frage, wie weit man denn sei, dass das Team von Piranha richtig Gas gibt und "seit Wochen zwischen Pizzakartons und Schlafsäcken ranklotzt", damit das Rollenspiel rechtzeitig erscheint. Die Leute würden gar nicht mehr nach Hause gehen und im Büro schlafen. Und das klang richtig stolz...

Ich habe ihn gefragt, ob das denn gesund sei und ob die Überstunden bezahlt werden, worauf er nur irritiert lächeln konnte. Nach dem Release des verbuggten Spiels hat dann keiner mehr gelacht. Ich bin gespannt, wie sich Red Dead Redemption präsentiert.


Jörg Luibl
Chefredakteur

 

Kommentare

Guwie schrieb am
bei mir auf der Arbeit ist 4players schon immer geblockt. Ist wohl zu subversiv. Mein Arbeitgeber versteckt sich hinter der Schutzbehauptung es sei eine Spieleseite... das sollte ich mal dem Betriebsrat melden!
:wink:
johndoe793863 schrieb am
lol bei mir haben sie auf der arbeit gerade 4players geblockt!.
FreshG schrieb am
Ich denke aber, dass es neben einigen stressigen Angelegenheiten in einem Entwicklerstudio, auch sehr schöne und aufregende Momente gibt.
Besonders wenn man das glück hat und in ein "Arbeiter freundliches Entwicklerstudio" kommt. Mich würde es interessieren wie so ein neues Spiel entsteht. Ich stelle mir vor, dass sich ein großes Team von Entwicklern an einen großen Tisch setzt und ersteinmal auf einen Whiteboard extrem Brainstorming veranstaltet :) Und danach wuseln alle an ihren rechner und gestalten irgentwelche Konzeptgraphiken von Charakären und Landschaften.
Bei solch einer Situation dabei zu sein muss unglaublich aufregend sein. :D
DeadPoet schrieb am
Als Spieleentwickler kann man aber wirklich froh sein, dass sich die XBLA, PSN, WiiWare Märkte entwickelt haben und dass die digitalen Plattformen boomen.
Das erinnert mich ein bisschen an die guten alten Zeiten, als viele kleinere innovative Projekte rauskamen. (das war nach den Beatles aber vor dem Internet ;))
Man kan so wenigstens entscheiden, wohin der Weg gehen soll und es muss nicht zwangsläufig ein 200 Mann Unternehmen sein.
Ich denke wichtig ist einfach, dass man sich Stück für Stück seine Projekte erarbeitet. So wie es z.b. Stalker mit dem letzten Teil gemacht hat.
Mag ja sein, dass dann die Presse hier und da über die Grafik meckert, aber für die Entwickler war das Spiel hoffentlich angenehmer als ihr Debut. ;)
schrieb am