Spieler, bleib bei deinen Leisten!
Von Spielern für Spieler - schöne Vorstellung: Ein Publisher hat nichts zu melden, Entscheidungen über Inhalte werden nicht für eine vermeintliche Masse getroffen und es werden auch während der Entwicklung keine Inhalte angepasst, nur weil der Zielgruppe im Fokusgruppentest entweder Steuerung, Artdesign, Schwierigkeit oder Handlung nicht schmeckt.
Kein Wunder, dass Warren Spector gerne betont, wie sehr er solche Vorab-Tests verabscheut: Sie engen seinen künstlerischen Freiraum ein, weil andere über sein Werk entscheiden. Man stelle sich vor, Eidos hätte einem Thief halbautomatische Schusswaffen spendiert, falls die anvisierte Zielgruppe fehlende Bullet-Time bemängelt hätte...
Einen besonders großen Stolperstein müssen viele Kreativköpfe sogar schon eher überwinden, wenn sie unter Produzenten arbeiten, die an Spielen null Interesse haben. Die lediglich Bilanzen wälzen und Entertainment als kalkulierbares Produktionsmittel begreifen. Einem solchen Tabellentier muss man erst mal klar machen, dass sich Unterhaltung durchaus rentieren muss - dass sie ohne freie kreative Vision aber gar nicht erst entstehen kann. Wenn Geldgeber solchen Kalibers einen Titel mit diesen oder jenen Bestandteilen ordern, dann entwickelt ein Designer kaum noch mit Leidenschaft; dann stellt er Fließbandware her.
Aber das ist Schnee von gestern - heute blüht
Kickstarter!
Die Plattform, auf der Spieler ihre "eigenen" Spiele finanzieren. Immer wieder betonen dort Entwickler, dass sie unabhängig von Publisher-Eingriffen eigene Ideen umsetzen möchten:
Tim Schafers Adventure wollte offenbar kein großer Konzern haben,
Wasteland 2 stieß bei Tabellentieren auf taube Ohren und
Leisure Suit Larry ist angeblich ohnehin tot. Es sind ja nicht nur Neuauflagen: Auch Entwickler wie jene von
République oder
The Banner Saga hoffen auf Geldgeber, die ihre Arbeit nicht erst nach einem Blick auf den kalkulierten Ertrag wertschätzen.
Das Gute daran: Die Finanzierer dürfen in Foren diskutieren. Welche Elemente sollen enthalten sein? Was darf auf keinen Fall im Spiel passieren? Soll mehr Geld in die Sprachausgabe oder in eine verzweigte Dialogstruktur
fließen? Wie gesagt: schöne Vorstellung!
Moment mal. Die Spieler entscheiden über das Spiel? Die Geldgeber bestimmen über Inhalte? Klingeln da nur bei mir die Alarmglocken?
Ist ja fantastisch, dass das Publikum endlich helfen kann, damit kreative Visionen ungefiltert Wirklichkeit werden. Aber um Himmels Willen: Lasst die Fans eines Projekts nicht zur dazwischen funkenden Fokusgruppe werden! Lasst die euphorischen Geldgeber keine indoktrinierenden Produzenten sein! Das ist die Befürchtung, die ich bei aller Euphorie mit Kickstarter und Co. verbinde.
Natürlich bestehen die Entwickler darauf, dass sie letztlich alle Entscheidungen treffen - das ist wichtig. Aber verstehen ihre Fans das auch? Viele Spieler sind heute alt genug, um schon im Vorfeld Geld zu investieren. Aber sind sie auch alt genug, um sich mit Beginn der Entwicklung wieder zurückzuziehen? Um ohne Zwischenrufe dabei zuzusehen, wie ein Kreativkopf seine ganz eigene Vision eines Abenteuers entwickelt? Um zu riskieren, dass ihnen Schafer und Co. nicht ihr Traumspiel zusammenschrauben, sondern im schlimmsten Fall etwas ganz anderes? Flaut die Welle der Schwarmbegeisterung im kommenden Jahr schon ab, wenn die neue Generation an Produzenten unzufrieden über die ersten Ergebnisse ist?
Hoffentlich sind sich die Kickstarter über die Grenzen ihres Einflusses bewusst. Hoffentlich lernen sie nicht von dort, wo selbst ein Rollenspielgigant wie BioWare vor seinen Anhängern
in die Knie sinkt. Denn nach andauerndem Protest blieben die Mass Effect-Macher nicht etwa ihrem Werk treu: Um den Mob zu beruhigen, verändern sie ihre Vision des Finales, damit die Meute endlich Ruhe gibt.
BioWare setzt damit ein deutliches Zeichen für die zwingende Einflussnahme finanzieller Interessen. Denn inhaltlich war das Finale genau der Abschluss, mit dem die Entwickler ihre Trilogie beenden wollten – das machen zahlreiche Stellungnahmen deutlich. Es war weder Schnellschuss noch Fehler. Es darf nur deshalb nicht so sein, weil drängelnde Marktschreier mit Boykott drohen - der Ausverkauf an eine zahlende Masse, damit diese auch in Zukunft zu zahlen bereit ist.
Die Mass Effect-Masse hat nicht verstanden, wo ihr Einfluss enden sollte - das ist nicht das "von Spielern für Spieler", von dem Brian Fargo redet! Was sie mit ihrer Einflussnahme erreicht hat? Dass ihr wohl auch in Zukunft möglichst glatte, probat zurechtgekaute Häppchen angeboten werden.
Nicht nur BioShock-Vater Ken Levine
äußert sich kritisch über das Einknicken BioWares. Mass Effect 3 dürfte nach den Änderungen nicht an Qualität verlieren. Aber kein Leser, kein Zuschauer und kein Spieler hat Anrecht auf eine Erzählung, die sich nach seinen Vorstellungen richtet! Nicht einmal der größte Fan. Nicht einmal die Gemeinschaft aller Fans. Denn Designer müssen unabhängig arbeiten, damit Unterhaltung mehr als Fließbandware sein kann.
Schwarmfinanzierer wissen hoffentlich um diese Gefahr. Sie verstehen hoffentlich, dass sie nur Geldgeber, vielleicht sogar Ideengeber sind - dass viele Ergebnisse aber nicht ihren Vorstellungen entsprechen werden. Und dann trennt sich die Spreu vom Weizen. Dann zeigt sich hoffentlich, dass die Welt tatsächlich reif für "Von Spielern für Spieler" ist.
Benjamin Schmädig,
Redakteur