Kommentar

hundertprozent subjektiv

KW 15
Freitag, 13.04.2012

Spieler, bleib bei deinen Leisten!


Von Spielern für Spieler  - schöne Vorstellung: Ein Publisher hat nichts zu melden, Entscheidungen über Inhalte werden nicht für eine vermeintliche Masse getroffen und es werden auch während der Entwicklung keine Inhalte angepasst, nur weil der Zielgruppe im Fokusgruppentest entweder Steuerung, Artdesign, Schwierigkeit oder Handlung nicht schmeckt.

Kein Wunder, dass Warren Spector gerne betont, wie sehr er solche Vorab-Tests verabscheut: Sie engen seinen künstlerischen Freiraum ein, weil andere über sein Werk entscheiden. Man stelle sich vor, Eidos hätte einem Thief halbautomatische Schusswaffen spendiert, falls die anvisierte Zielgruppe fehlende Bullet-Time bemängelt hätte...

Einen besonders großen Stolperstein müssen viele Kreativköpfe sogar schon eher überwinden, wenn sie unter Produzenten arbeiten, die an Spielen null Interesse haben. Die lediglich Bilanzen wälzen und Entertainment als kalkulierbares Produktionsmittel begreifen. Einem solchen Tabellentier muss man erst mal klar machen, dass sich Unterhaltung durchaus rentieren muss - dass sie ohne freie kreative Vision aber gar nicht erst entstehen kann. Wenn Geldgeber solchen Kalibers einen Titel mit diesen oder jenen Bestandteilen ordern, dann entwickelt ein Designer kaum noch mit Leidenschaft; dann stellt er Fließbandware her.

Aber das ist Schnee von gestern - heute blüht Kickstarter!

Die Plattform, auf der Spieler ihre "eigenen" Spiele finanzieren. Immer wieder betonen dort Entwickler, dass sie unabhängig von Publisher-Eingriffen eigene Ideen umsetzen möchten: Tim Schafers Adventure wollte offenbar kein großer Konzern haben, Wasteland 2 stieß bei Tabellentieren auf taube Ohren und Leisure Suit Larry ist angeblich ohnehin tot. Es sind ja nicht nur Neuauflagen: Auch Entwickler wie jene von République oder The Banner Saga hoffen auf Geldgeber, die ihre Arbeit nicht erst nach einem Blick auf den kalkulierten Ertrag wertschätzen.

Das Gute daran: Die Finanzierer dürfen in Foren diskutieren. Welche Elemente sollen enthalten sein? Was darf auf keinen Fall im Spiel passieren? Soll mehr Geld in die Sprachausgabe oder in eine verzweigte Dialogstruktur fließen? Wie gesagt: schöne Vorstellung!

Moment mal. Die Spieler entscheiden über das Spiel? Die Geldgeber bestimmen über Inhalte? Klingeln da nur bei mir die Alarmglocken?

Ist ja fantastisch, dass das Publikum endlich helfen kann, damit kreative Visionen ungefiltert Wirklichkeit werden. Aber um Himmels Willen: Lasst die Fans eines Projekts nicht zur dazwischen funkenden Fokusgruppe werden! Lasst die euphorischen Geldgeber keine indoktrinierenden Produzenten sein! Das ist die Befürchtung, die ich bei aller Euphorie mit Kickstarter und Co. verbinde.

Natürlich bestehen die Entwickler darauf, dass sie letztlich alle Entscheidungen treffen - das ist wichtig. Aber verstehen ihre Fans das auch? Viele Spieler sind heute alt genug, um schon im Vorfeld Geld zu investieren. Aber sind sie auch alt genug, um sich mit Beginn der Entwicklung wieder zurückzuziehen? Um ohne Zwischenrufe dabei zuzusehen, wie ein Kreativkopf seine ganz eigene Vision eines Abenteuers entwickelt? Um zu riskieren, dass ihnen Schafer und Co. nicht ihr Traumspiel zusammenschrauben, sondern im schlimmsten Fall etwas ganz anderes? Flaut die Welle der Schwarmbegeisterung im kommenden Jahr schon ab, wenn die neue Generation an Produzenten unzufrieden über die ersten Ergebnisse ist?

Hoffentlich sind sich die Kickstarter über die Grenzen ihres Einflusses bewusst. Hoffentlich lernen sie nicht von dort, wo selbst ein Rollenspielgigant wie BioWare vor seinen Anhängern in die Knie sinkt. Denn nach andauerndem Protest blieben die Mass Effect-Macher nicht etwa ihrem Werk treu: Um den Mob zu beruhigen, verändern sie ihre Vision des Finales, damit die Meute endlich Ruhe gibt.

BioWare setzt damit ein deutliches Zeichen für die zwingende Einflussnahme finanzieller Interessen. Denn inhaltlich war das Finale genau der Abschluss, mit dem die Entwickler ihre Trilogie beenden wollten – das machen zahlreiche Stellungnahmen deutlich. Es war weder Schnellschuss noch Fehler. Es darf nur deshalb nicht so sein, weil drängelnde Marktschreier mit Boykott drohen - der Ausverkauf an eine zahlende Masse, damit diese auch in Zukunft zu zahlen bereit ist.

Die Mass Effect-Masse hat nicht verstanden, wo ihr Einfluss enden sollte - das ist nicht das "von Spielern für Spieler", von dem Brian Fargo redet! Was sie mit ihrer Einflussnahme erreicht hat? Dass ihr wohl auch in Zukunft möglichst glatte, probat zurechtgekaute Häppchen angeboten werden.

Nicht nur BioShock-Vater Ken Levine äußert sich kritisch über das Einknicken BioWares. Mass Effect 3 dürfte nach den Änderungen nicht an Qualität verlieren. Aber kein Leser, kein Zuschauer und kein Spieler hat Anrecht auf eine Erzählung, die sich nach seinen Vorstellungen richtet! Nicht einmal der größte Fan. Nicht einmal die Gemeinschaft aller Fans. Denn Designer müssen unabhängig arbeiten, damit Unterhaltung mehr als Fließbandware sein kann.

Schwarmfinanzierer wissen hoffentlich um diese Gefahr. Sie verstehen hoffentlich, dass sie nur Geldgeber, vielleicht sogar Ideengeber sind - dass viele Ergebnisse aber nicht ihren Vorstellungen entsprechen werden. Und dann trennt sich die Spreu vom Weizen. Dann zeigt sich hoffentlich, dass die Welt tatsächlich reif für "Von Spielern für Spieler" ist.

Benjamin Schmädig,
Redakteur

 

Kommentare

Keyalha schrieb am
AMEN! besser hätte ich es nicht sagen können
Kajetan schrieb am
MiLCHMAUSiE hat geschrieben: ...
Du weisst schon, dass es Filmen, vor allem bei Hollywood-Produktionen, schon seit vielen, vielen Jahren üblich ist, dass Filme zuerst in Testvorführungen auf Zuschauerreaktionen getestet werden und dann je nach Auswertung Filmenden zT. komplett neu gedreht und geschnitten werden?
Und ein ME3 ist, um es nochmals in aller Deutlichkeit zu sagen, KEIN elitäres Kunstwerk, wo ein kreativer Kopf eine ganz bestimmte Botschaft vermitteln will, sondern ein nach Zielgruppengeschmäckern hergestelltes Industrieprodukt, mit dem viel Geld verdient werden soll. Wenn man mit einem Ende, welches den meisten Spielern gefallen wird, mehr Geld verdienen kann, dann wird man das dort ohne Zweifel sofort tun. Weil es bei den Majors um Big Business geht und sonst um gar nix.
Von daher kann man sich diese etwas alarmistische Hysterie sparen ...
MiLCHMAUSiE schrieb am
Sehr guter Kommentar. Ich habe allerdings eher die Befürchtung, dass das Mass-Effect-Desaster zu solchen Blüten treiben wird, als die Kickstarter-Spiele. Ich habe mich, interessiert an dem neuen Spiel des Titan-Quest-Teams "Grim Dawn", auf der Seite informiert und mir angesehen, was man für wieviel Finanzierung bekommt. Das höchste der Gefühle war mMn ein Charakter im Spiel (eigener Name auf Wunsch), bei dessen Design man mitreden darf. Ausdrücklich behält sich der Entwickler vor, sollte der Charakter nicht dem übrigen Design entsprechen, nicht zu zustimmen.
Die Regeln für Kickstarter-Spiele sind also in der Regel sehr klar und deutlich formuliert.
Das Geschehen um Mass Effect 3 allerdings zeigt ganz deutlich, dass der Begriff "Kunst" in den Köpfen von vielen Spielern offensichtlich keinerlei Bedeutung mehr, oder zumindest nicht die gebräuchliche, hat.
Ich bin wirklich gespannt, ob bei einen künftigen "Biss" / "Herr der Ringe" / "Harry Potter" / "World of Warcraft" / "Star Wars"-Buch oder auch Film ebenso eine vom Ende enttäuschte Gruppe an Kunden einen derartigen Aufstand macht und verlangt, dass das Filmende abgeändert oder gar eine Neuauflage des jew. Buches gedruckt wird.
Ich halte, wenn ich mir die Sachen hinsichtlich Online-Zwang, DRM, usw. ansehe ganz viel vom Spruch "Der Kunde ist König.". Aber die Geschichte ist immernoch das Kunstwerk, die Vision des Entwicklers/Schriftstellers/Drehbuchautors.
Die darf einem gefallen oder nicht, aber hier muss auch König Kunde seine klaren Grenzen aufgezeigt bekommen. Ich hoffe, BioWare´s Einknicken löst hier in Zukunft keine Spieleentwicklung mit vorherigen Spielerbefragungen aus.
( ) trauriges Ende
( ) lustiges Ende
( ) offenes Ende
( ) gar kein Ende
Fiddlejam schrieb am
Und dann kommt das Ende - da ist kein krönender Abschluss, nichts bewegendes, nein: Einige Szenen, ein deus ex machina, und dann ist Schluss.
Um mal hier einzuklinken, das ist es nicht wirklich.
Ein Deus ex machina kommt komplett entgegen allen Hoffnungen und wurde zuvor nie erwähnt - bzw. wurde klar gemacht, dass er nicht helfen wird (was dann aber invertiert wird).
Auch ist ein Deus ex machina komplett unerklärt, kurz, es ist eine 180 Grad Wende, die ohne jede Erklärung oder Reflektion herkommt.
Das SpaceChild in Mass Effect ist KEIN Deus ex machina.
Es ist von Anfang an bekannt, wie das Crucible wirkt, und der Illusive Man impliziert, dass es möglich sein muss, die Reaper zu kontrollieren - lediglich der Synthese-Effekt ist neu.
Ein Deus ex machina wäre es hingegen, wenn die Reaper ganz plötzlich explodieren würden oder die Protheaner auf einmal zurück kehren.
Was nichts daran ändert, dass das Ende scheiße ist.
Ich kanns auch nicht verstehen, dass alle das Ende von Mass Effect 3 schlecht fanden. Ich fand es super ,endlich mal etwas das nicht vorhersagbar war und wirklich nicht der ständige Einheitsbrei, den man ständig vorgesetzt bekommt. Ich bin mit dem Ende sehr zufrieden und find das es mehr als ein würdiges Ende von Mass Effect ist.
Ich kann nur für mich sprechen, aber warum ich persönlich es schlecht fand:
Es widerspricht allem, was wir über Spiele je gelernt haben.
In Spielen war man schon IMMER für seine eigenen Taten verantwortlich. Wenn ich in Tetris verliere, dann weil ich nicht vernünftig gestapelt habe. Wenn ich in Dark Souls verliere, dann, weil ich schlecht gespielt habe.
Spiele sagen uns: "Hey, du ganz allein bist verantwortlich".
Wenn ich am Ende von Mass Effect 2 einige meiner Teammitglieder verliere, liegt das ganz allein daran, dass ich versagt habe - weil ich ihre Loyalität nicht hatte, sie den falschen Aufgaben zugewiesen habe oder spielerisch versagte.
Mass Effect funktioniert genau anders herum. Es sagt mir "Hey, die Reaper haben Mist gebaut, denn...
Bunker BoB schrieb am
Nur ein kurzes einhaken, von wegen gegen Kritik, und Kunst ist unantastbar. Genau das wird Grad in der aktuellen gamepro geschrieben . Klar hat das nix mit 4p zutun aber viele Journalisten lassen sich im Moment zu diesem User bashing hinreissen. Mein lieblingssatz dazu kommt aus der gamepro und geht sinngemäss so: wo kommen wir denn dahin wenn jeder Spieler sich für einen obulus sein Wunsch ende downloaden kann? Zitat ende. Ich würde sagen wir kaemen dann an gute enden, aber was weiss ich schon ,ich soll den kram ja nur kaufen und durchspielen.
schrieb am