Dieter Schmidt
Trailerflut: Die Gezeiten ändern sich Ein Kommentar von Dieter Schmidt, 12.06.2012
„Ach du scheiße!“ Die Trailer rollen einer Flutwelle gleich auf mich zu. Noch einmal prüfe ich gewissenhaft den Aufmerksamkeitspegel an meinem Schutzdeich, der sich langsam dem Höchststand nähert. Begleitet von Blitzen, Schrifteinblendungen und wummernden Elektro-Sounds bäumt sich die Welle wie eine langgezogene Disko vor mir auf, erwischt mich dann voll und spült mich in die Tiefe der Bewusstlosigkeit. Die Deiche sind gebrochen – das Gehirn hämmert wie wild auf den roten Alarmschalter, dessen Signal den Finger dazu veranlasst, den Trailer auszuschalten. Ich kann nicht mehr. Input Overflow!

Als ich bei 4Players vor vier Jahren anfing, schaufelte ich mit genüsslichem Kaffeegesicht fünf bis zehn Trailer auf unseren Server. „Sutje sacht der Smutje!“ Mit all den Free-to-Play-Klonen, Indie-Titeln, den PSN und XBL-Spielen, den tausenden von Über-, Neben- und Hinter den Kulissen-Videos sowie der massiv erhöhten Schlagzahl an Werbung für die Triple AAA-Monster schlinge ich derzeit den Kaffee in einem Zug runter und drücke wie ein Wilder die tägliche Trailer-Flut ins Netz – als knallharte Auswahl. Wo hier mit Spielszenen-Schnipseln aufgerüstet wird, bringt man dort die nächsten Bewegtbilder in Position. Kalter Krieg der Bilder.

Nicht nur die Anzahl der veröffentlichten Spiele wächst von Jahr zu Jahr, sondern auch der mit harten Bandagen geführte Kampf um die Aufmerksamkeit der Konsumenten. Die großen Publisher, allen voran EA und Ubisoft, setzen auf die Methode der Dauerbestrahlung: Fast schon einer Industrie gleich werden die Filmschnipsel auf hoch professionellem Niveau durch die After Effects-, Maya-, 3ds-Max- und Final Cut-Experten auf die ftp-Server geladen. Da kann man für eine neue Marke vom Kaliber „Dragon Age“ durchaus mal 63 Trailer raushauen! Oder wie wäre es mit einem Video von jedem Fahrer in SSX? Habt ihr Star Wars: The Old Republic schon gespielt? Nein? Braucht ihr auch nicht, schaut euch einfach die 94 Trailer an, dann könnt ihr auf dem Schulhof mitreden.

Bei dem ganzen Geflacker, das auf mich einstrahlt, habe ich manchmal das Gefühl zwischen den pompösen Paukenschlägen die Solistengeige nicht mehr zu hören – das, was ein Spiel ausmacht. Magische Momente. Emotionale Regung. Faszination. Ich kann mich noch genau an den E3-Trailer von Deus Ex: Human Revolution erinnern - bei Mass Effect 3 gräbt mein Gedächtnisvermögen in Sachen Commander Shepard in einem wabernden Sumpf von Zerfließbildern auswechselbarer Action-Sequenzen. Wenn man das einmal mit der Erotik vergleicht, würden wir täglich einer Massenmasturbation von aufgestapelten Körpern beiwohnen – wie unglaublich erotisierend wirkt dagegen der kecke Blick einer hübschen Brünetten, wie sie ihr Kleid zurechtrückt, das für einige Sekunden ihre nackte Schulter preisgibt?

Ich wünschte, es gäbe eine Art Nintendo-Quote: Ein Debüt, ein Überbrückungs-Video und dann der Launch-Trailer. Fertig! Das ziehen die Japaner knallhart durch. Und wie entzückt man doch sein müsste, wenn zum ersten Mal der Illusive Man an seiner Zigarette zieht und Martin Sheens-Stimme ertönt. Statt „Wow, wer ist das denn?“ funkt das Teaser-vom-Ankündigungs-Trailer-für-das-Hinter-den-Kulissen-Video geplagte Hirn nur „Ah, da ist er ja.“ Ich wünschte, es gäbe eine von außen reglementierte Institution, die einen Riegel vor unsere Neugierde schiebt. Eine Art Spoiler-Behörde, die uns vor dem verführerischen Klick schützt. Niemand braucht 40 Trailer. Wir brauchen allerhöchstens fünf. Die 40 brauchen nur die großen Publisher, damit PR-Manager schöne Kurven an die Wand projizieren, die sagen, dass die Wahrnehmungskurve des Quartal-Hits nicht abzureißen scheint. Trailer-Benchmarking, Imagetransfer, Monitoring, Attention-Kurven, Fokuszielgruppe – ein Bombardement auf unser Hirn. Aber so lange jeder klickt, ist ja alles okay. Für den Publisher, den User und für uns. Aber wer würde dem Weniger-ist-mehr nicht zustimmen?

Na, dann erhöhen wir doch die Deiche! Nur die Harten kommen in den Garten! Aber dort beginnt das eigentliche Problem: Da gibt es durchaus den einen oder anderen netten Free-to-Play-Titel. Dann dürfen wir vor allen Dingen nicht die Indie-Spiele vergessen. Die müssen bitte schön alle dabei sein! Und ab und zu ein wenig Werbung für den Shepard – sonst vergessen wir zwischenzeitlich, wie der aussieht. Und die meisten dieser Triple AAA-Trailer sind ja auch irgendwie nett gemacht. Die Musik reicht ja manchmal schon. Also die kann man ja nicht alle ausblenden. Und manchmal erzählen die Entwickler echt spannende Geschichten aus dem Entwicklungsprozess. Und Vita und 3DS-Trailer? Also so ganz ohne geht das ja auch nicht. Und mit jedem Satz türmt sich die Trailer-Welle wieder auf. Ich glaube, ich höre sie schon wieder heran rauschen…


Dieter Schmidt
Video-Redakteur
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