Der 4P-Kommentar
21.07.2006 14:57, Benjamin Schmädig

Liebe Dritthersteller:

Es gibt Einsichten, die sind erschreckend. Momente, da man den Kopf über sich selbst schüttelt. Augenblicke der Verzweiflung. Letztens gab es wieder so einen. Ort des Schreckens: Die Hamburger Hochbahn. Die Zeit: Irgendwann zwischen neun und zehn.

In Gedanken noch im Bett (oder war's das ermüdende Bad in der gleißenden Sonne schon früh am Morgen) blicke ich in die Gesichter meiner Mitmenschen. Schaut mich der Kerl mit dem Fahrrad grinsend an? Lächelt die alte Dame wissend zu mir rüber? Grinst das kleine Mädel hämisch in meine Richtung? Selbstverständlich überspiele ich mein fragendes Gesicht mit einer gekonnt lässigen Attitüde. Meine Hände krallen sich jedoch nervös an den einzigen Halt, den sie finden können: Ein schmuckes Kästchen, ganz in schwarz.

Verspielt zieren unterschiedliche Knöpfchen das matt glänzende Schwarz , eine farbenfroh schillernde Fläche sorgt für den zentralen Blickfang und daneben erzählt schickes Understatement von "Sony" und "PSP". Auf dem Beifahrersitz, beim Arbeitsweg, im Ortsamt – ohne gehe ich nicht aus dem Haus. Im kleinen Täschchen versteckt begleitet sie jeden meiner Schritte.

Und dann ist er da, jener aufwühlende Moment, die erschreckende Einsicht: Ich bin eine Frau! Eine dieser Tussis, welche ihr halbes Badezimmer ständig bei sich tragen. Mein Schminkkästchen hat sogar einen Namen: PlayStation Portable. Statt Lippenstift von BeYu trage ich WipeOut Pure herum. Den Mascara von Chanel ersetzt LocoRoco. Und Pursuit Force mimt den Lidschatten von Dior. Kann man da noch von Geschlechtertrennung reden?

Moment mal!

Reger Funkverkehr zwischen den grauen Zellen folgt auf die unangenehme Selbsterkenntnis. Denn ganz so ebenbürtig ist das neue Outing den weiblichen Traditionen dann doch nicht. Ein Blick auf die Packungsbeilage entkräftet jede Häme: WipeOut Pure? Publisher Sony. Pursuit Force? Publisher Sony. LocoRoco? Publisher Sony. Zusammen mit Lemmings – von Sony – sind das vier von fünf Spielen mit dem Prädikat "ausgezeichnet". Wo ist Chanel, was macht BeYu und wo bleibt Dior?

Die tummeln sich eine Klasse tiefer in "sehr gut"-Gefilden. Mit dabei: dreimal EA (SSX on Tour, NBA Street Showdown, Burnout Legends) und erneut Take 2 (Midnight Club 3). Wertvolle Abfallprodukte großer Konsolentitel. Der Rest: Weitere Parallelentwicklungen aus verschiedenen Lagern. Nur Sony bastelt exklusive Unterwegs-Unterhaltung ohne bei jeder Gelegenheit den Recycling-Apparat anzuwerfen.

Eigentlich kein Thema. Bei Nintendo sieht's ähnlich aus: Mario Kart DS, Advance Wars: Dual Strike, Kirby: Power Paintbrush, Nintendogs, Meteos, Another Code – auf der heimischen Daddelkiste sammelt nur der Platzherr Platin-Orden. Was dem GameCube seine Daseinsberechtigung entzogen hat, nämlich kaum exklusive Titel, fehlende Unterstützung der vielen Publisher, funktioniert auf dem DS erstaunlicherweise prächtig. Er platzt geradezu vor einfallsreichen Ideen. Aber Sony könnte genau das das Rückgrat brechen, denn alleine haben die Japaner ihre Erfolgsgeschichte nie geschrieben.

Da waren auch immer die anderen. Da gab es Konami, da überzeugte Namco, da trumpfte Capcom auf, da heimste THQ Lorbeeren ein – mit exklusiven Titeln wie Guitar Hero, WWE Smackdown! Vs. Raw 2006, Katamari Damacy, Final Fantasy 7 bis 12 – um nur ein paar zu nennen. Dass selbst Massenmarkt-Spezialist EA nur für PS2 entwickelte Perlen über den Ozean schiffte, ist der hektisch blinkende Hinweispfeil über der Erfolgsbilanz solcher Spiele.

Sie sind ein Grund, weshalb ich zum ersten Mal den Importhändler bemühte als die PSP erschien. Sie sind der Grund, weshalb Next Gen aus den Häusern Microsoft und Nintendo bei mir das Nachsehen haben. Sie sind aber auch der Grund, weshalb ich eines Abends ins Grübeln kam, die DSL-Leitung glühen ließ und ernüchtert feststellen musste: Auch im Handheld-Bereich sattelt Sony fleißig die exklusiven Pferde, doch traut sich niemand so recht aufzusteigen. Nur für den Handheld erhältliche Knaller? Fehlanzeige.

Gottlieb Pinball Classics ist der einzige Neuling unter den Hits. Ansonsten hagelt es Wiederbelebungen wie MegaMan: Powered Up und Aufgetautes wie Virtua Tennis: World Tour von Sega oder Burnout Legends à la EA. Von enttäuschenden Umsetzungen wie Ubisofts Splinter Cell: Essentials ganz zu schweigen. Immerhin: Die Franzosen konnten mit Lumines und Untold Legends ungesehene Zeichen setzen, Konami gelang mit Metal Gear Ac!d das Gleiche – weiter so!

Und da zeigt er sich doch noch: Der Strohhalm in der Wüste, der Lichtstreif am Horizont. Denn Metal Gear Solid: Portable Ops ist endlich eine echte Fortsetzung. Kein Nachahmer, keine Umsetzung – kein Sony. Aber mit Sicherheit ein Hit! Sag ich jetzt mal so. Denn ich will nicht länger im einfarbigen Rossmann-Look untergehen, sondern mit Chanel, Dior und BeYu strahlen. Und vor Freunden mit Konami, THQ, Capcom, Sega, Namco und wie sie alle heißen protzen. In Anbetracht der aktuellen Umstände hätte ich mir den Rock, Verzeihung: Schuh, der Zweigeschlechtrigkeit jedenfalls gerne angezogen.

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