von Julian Dasgupta,

Der 4P-Kommentar: Plastikschluckauf und schiefe Töne



Rummsbumms - 550 Millionen Dollar hat Modern Warfare 2 innerhalb der Startwoche eingespielt. Und wer die Absatzzahlen der beiden vorherigen Call of Duty-Teile kennt, kann sich denken, dass da im Laufe der Zeit noch ein ordentlichen Sümmchen hinzukommen wird. Bobby Kotick hatte im Vorfeld einen Rekordlaunch versprochen - und er hat ihn bekommen.

Aber auch beim Marktführer wird nur mit Wasser gekocht. Einem massiven Verkaufsstart stehen nämlich auch zwei Titel gegenüber, die nach dem Stapellauf abgeblubbert sind. Und eine der drei Hauptsäulen im Portfolio des Herstellers zeigt erste Risse.

Mit Tony Hawk: Ride hat sich Activision Blizzard - um mal ein für Skateboarder typisches Bild zu bemühen - wohl ziemlich auf die Fresse gepackt, wie nicht nur unser Test zeigt: 39% = mangelhaft. Und zwar sowohl in wertungs- als auch in verkaufstechnischer Hinsicht. In Großbritannien schaffte man es nicht in die Top 40. Wenn demnächst die US-Verkaufszahlen erscheinen, dann wage ich zu prophezeien, dass es auf jener Seite des Atlantiks vielleicht etwas, aber nicht deutlich besser laufen wird.

Tony Hawk: Whine gibt es hingegen auf Twitter: Dort setzt sich der Namenspatron der Serie den Alufolien-Hut auf und schwadroniert etwas über miesepetrige Journalisten, die dem Projekt von Anfang an Pech und Schwefel an den Hals gewünscht hätten. Am Spiel selbst kann es natürlich nicht gelegen haben, denn das sei doch schließlich "innovativ und unterhaltsam."

Ob der Hersteller das Ganze genau so schönreden wird wie die angeblich ungeschnittene deutsche Fassung von Modern Warfare 2? Es ist davon auszugehen, dass mindestens eine der folgenden Phrasen Verwendung finden wird: "Lieferengpässe beim Verkaufsstart", "schwieriges Marktumfeld" und/oder "behutsamer Aufbau der Reihe". Das wäre natürlich ausgesprochen nebulös - als ob ausgerechnet Activision Blizzard mit einem derartigen Abschneiden einer Serie zufrieden wäre, die früher regelmäßig in den oberen Chartpositionen zu Gast war. Immerhin hatte man ihr eine Auszeit gegönnt, um endlich frischen Wind in die Marke zu bringen.

Obwohl man sich der Qualität des eigenen Produktes ja scheinbar sicher war, wollte man den Verkaufsstart des ersten Wochenendes nicht mit möglichen Kritiken gefährden. Oder warum zog man dann einen alten Trick ab? Es gab keine Rezensionsversionen zum Release - stattdessen nur eine dreistündige Testveranstaltung, bei der man sich sicher sein konnte, dass kein ernsthaft arbeitendes Magazin darauf eingehen würde. Und die Ausreden waren hanebüchen: Als ob die Lieferengpässe so drastisch gewesen wären, dass man dabei nicht mal 50 - 100 Einheiten für ausgewählte Magazine hätte verschicken können! Dass Lieferengpässe kein Problem sein müssen, hat Nintendo anderthalb Jahre lang in den USA beweisen können. Ganz im Gegenteil: Die andauernde Warenknappheit zementierte den Ruf der Wii als absolutes 'In-Produkt'. Und dass man umfassendere, also zum Durchspielen geeignete Testevents aus dem Boden stampfen kann, demonstrieren andere Hersteller auch bei wesentlich größeren Titeln.

Hier ist nicht die böswillige Presse am Werk - es ist die Hybris eines Herstellers. Diese Selbstüberschätzung verdankt man einerseits Guitar Hero III, welches sich seinerzeit sensationell gut verkaufte, sowie andererseits Wii. Der Kunde wolle einfach Zubehör und frische Controller, hieß es damals aus dem Management. Also passierte das, was oft passiert, wenn Leute geblendet vom eigenen Erfolg glauben, dass alles so weitergeht wie bisher. Dabei ist "Marktsättigung" auch Menschen ein Begriff, die weder BWL noch Kommunikationswissenschaften studiert haben. Es ist nicht alleine die fehlende Produktqualität, die ausschlaggebend dafür sein dürfte, dass sich Tony Hawk: Ride nicht wie erhofft verkaufen wird. Es ist auch die mangelende Bereitschaft der Leute, sich neuen Plastikkram ins Zimmer zu stellen, nur weil es ihn gibt.

Mal im Ernst: Die Gruppe derjenigen, die gerne mal Rockstar sein wollen und Spaß an Musik haben, ist mit Sicherheit größer als die der Leute, die davon träumen, ein Skateboard-Pro zu sein. Und von der verlangt man auch noch, knapp 100 Euro für ein Produkt hinzulegen, dessen Controller sich auf absehbare Zeit auch nur mit diesem nutzen lässt. Das sieht man übrigens auch an DJ Hero, welches ja eigentlich kein schlechtes Spiel ist. Es hat sich bis dato nicht gut verkauft, und ich würde auch davon ausgehen, dass es im Januar, spätestens im Februar einige Verkaufsaktionen bei Saturn & Co. geben wird, bei denen das Spiel zu einem deutlich niedrigeren Preis angeboten wird.

Auch hier gilt: Der Preis ist recht hoch, und wer der Mehrspielertauglichkeit zuliebe ein zweites Pult haben wollte, hätte ein zweites Komplettpaket kaufen müssen, weil der Controller nicht separat zur Verfügung stand. Vielleicht war es zu teuer, vielleicht war es aber auch nicht 'anders' genug und die Leute haben die Lust daran verloren, sich jedes Spiel zuzulegen, in dem man Symbole mit dem richtigen Timing erwischen muss.

Activision jedenfalls ruderte schon vor dem Launch zurück, nachdem man intern anhand der Vorbestellungen gesehen haben dürfte, dass die Nachfrage nicht so groß ist wie erhofft: Statt von Hype und frühen Verkaufsspitzen redete man plötzlich etwas von einem schrittweisen und langsamen Etablieren einer Marke. Als ob heute einer der großen Hersteller noch irgendwas "schrittweise" oder "langsam" machen wollen würde!

Noch tollkühner wurde es, als sich Kai Huang noch darin verstieg, das Ganze mit Guitar Hero vergleichen zu müssen. Jene Marke habe auch erst ruhig begonnen und dann ordentlich Fahrt aufgenommen, so der RedOctane-Chef. Autsch. Als das erste Guitar Hero erschien, existierte noch keine etablierte und bekannte "Hero"-Marke - Musik- bzw. Rhythmusspiele waren mit der Ausnahme von Singstar und Dance Dance Revolution ein vorwiegend nur in Japan ansässiges Phänomen. Guitar Hero wurde vor allem durch Mundpropaganda bekannt. Zwei Teile lang gab es fast ausschließlich Coverversionen statt Mastertracks, weil die Musikindustrie die Zugkraft solcher Spiele unterschätzt hatte. DJ Hero hatte einen gehörigen Marketingmuskel samt hiesigem Presse-Event im Juli und Renegade-Edition mit Unterstützung von Eminem und Jay-Z sowie den Segen diverser bekannter DJs. Mit anderen Worten: Huangs Guitar Hero-Vergleich war ziemlicher Unsinn.

Auch im Reich der Gitarrenhelden ist derzeit nicht alles Gold was glänzt. War Guitar Hero III noch mehrere Monate in den US-Top 10 vertreten, so gelang dies Guitar Hero: World Tour und Guitar Hero 5 nur noch zweimal bzw. einmal. In den USA verkaufte sich der jüngste Teil gar schlechter als The Beatles: Rock Band, obwohl man den Konkurrenten in den Jahren zuvor immer hinter sich lassen konnte, obwohl GH5 neun Tage früher erschien, obwohl man Vorbestellern in Nordamerika Guitar Hero: Van Halen noch schnell als kostenlose (!) Dreingabe aufgenötigt hatte, obwohl es im Gegensatz zu den Pilzköpfen auch auf der PS2 veröffentlicht wurde.

Womit wir schon wieder beim Thema "Marktsättigung" wären: Vielleicht spricht es sich irgendwann auch bis zu Activision herum, dass Wachstum nicht grenzenlos ist - ab einem gewissen Punkt gibt es nicht mehr Umsatz, wenn man mehr Produkte derselben Art (GH Metallica, GH Greatest Hits, Guitar Hero, Band Hero, DJ Hero) in die Regale prügelt. Der Umsatz verteilt sich nur anders. Oder geht sogar zurück, weil ein Teil der Käufer irgendwann genug hat oder eben wirklich der Gattung 'Gelegenheitsspieler' angehört.

Mit jenem Problemen haben auch MTV Games, Harmonix und EA zu kämpfen, wo man zudem die Ernte für die zuvor katastrophale PAL-Releasepolitik einfährt - in Großbritannien, dem Heimatland der Beatles, belegte das Spiel Platz 4 in den Charts, während das in hiesigen Gefilden zwei Tage später veröffentlichte GH5 dort immerhin die Spitze der Top 10 erklomm. In Deutschland unterflog der Titel das Radar der Verkaufsrelevanz noch deutlich konsequenter.

Insgesamt ist die Rock Band-Reihe aber nicht ganz so abhängig vom Retailbereich, da man seit jeher auf Downloadinhalte setzt und die Spiele als "Musikplattform" bezeichnet hat. Und während man dort schon seit dem ersten Teil Songs exportieren konnte, zieht Neversoft erst jetzt nach. Aber selbst wenn Guitar Hero hier irgendwann mal auf Touren kommen sollte, ist Harmonix längst wieder weiter: An das Rock Band Network dürfte auf absehbare Zeit nichts von Activision heran kommen.

Harmonix war seit jeher auf Musikspiele spezialisiert, Neversoft hingegen war früher - und da sind wir wieder beim anderen Thema - für die Tony Hawk-Reihe zuständig. Und das macht sich bei den Spielen bemerkbar, auch wenn der neue Guitar Hero-Hirte seit der Zepterübernahme in Form von Guitar Hero III dazugelernt hat.



Vor über einem Jahr noch hatte Kotick getönt, dass sich fast 2000 Leute bei Activision um die Noten, neue Software und Hardware im Musikbereich kümmern würden - bei der Konkurrenz seien es nur einige hundert. Angesichts des derzeitigen Trends im Markt darf ruhig gemutmaßt werden, dass der sonst nie um Worte verlegene Geschäftsführer des Unternehmens jene Äußerungen am liebsten aus unser aller Gedächtnis tilgen würde, wenn er denn nur könnte.

Denn der Hersteller betreibt zwar mehr Aufwand, verdient aber weniger Geld damit. Und da sich der Kurs eines Riesentankers schwerer ändern lässt als der eines mittelgroßen Schiffs, könnten die Entlassungen bei den 7 Studios nur der Vorbote weiterer Einschnitte sein, sollte der Publisher all jene Leute nicht im Laufe der Zeit an andere Projekte setzen können. Vor Wochen hatte man immerhin durchblicken lassen, dass man 2010 weniger Musiktitel veröffentlichen wird.

Etwas mehr Bodenhaftung würde den Damen und Herren aus Kalifornien auch in Zeiten moderner Kriegsführung gut zu Gesicht stehen.

Julian Dasgupta
Redakteur



Kommentare

AIex schrieb am
Also eine Vorhersage hat sich ja bereits erfüllt. Zumindest Amazon verramscht DJ Hero.
p1ng001n schrieb am
;gamebliker hat geschrieben:@mindflare:
Ja , sie sollen als eigene Meinung identifizierbar sein , aber sind deise Ausdrücke wirklich nötig , auch wenn begründet ? Ich bin nicht der Überzeugung ; eine Mehrheit würde mir wahrscheinlich zustimmen . Es gibt immer ein passenderes Synonym , wenn man lange genug darüber nachdenkt . Vorallem bei dem Wort "Fresse" , bin ich sicher , dass es einen besseren Ausdruck gäbe .
Ich kann deine Beschwerde/Anmerkung in gewisser Weise verstehen, auch wenn ich persönlich das Wort "Fresse" als nicht wirklich schlimm einstufen würde.
Allerdings vermute ich, dass diese von dir beanstandete "heftige Wortwahl" durchaus beabsichtigt ist, da imo Julian ziemlich genervt zu sein scheint vom Gebahren Activisions. Und eben solche Gefühle kann man häufig einfach besser durch entsprechend drastische Wortwahl ausdrücken, denn durch "passendere Synonyme". Es sollte, wenn ich mich irre, darf mir Julian gerne widersprechen, eben absichtlich "Fresse" und nicht "Gesicht" heißen, einfach um zum Ausdruck zu bringen, dass Activision da Scheiße (für dich auch alternativ gerne "Mist" :wink: ) gebaut hat und sich wieder mal rausreden und die Schuld auf andere Umstände/Personen/Firmen schieben wird.
Samarius schrieb am
Wird jetzt hier über Diskussionen diskutiert?
Naja, ich wollte eigentlich nur sagen, dass der letzte Penny Arcade Comic Tony Hawks Äußerungen schön aufgreift.
;gamebliker schrieb am
@mindflare:
Ja , sie sollen als eigene Meinung identifizierbar sein , aber sind deise Ausdrücke wirklich nötig , auch wenn begründet ? Ich bin nicht der Überzeugung ; eine Mehrheit würde mir wahrscheinlich zustimmen . Es gibt immer ein passenderes Synonym , wenn man lange genug darüber nachdenkt . Vorallem bei dem Wort "Fresse" , bin ich sicher , dass es einen besseren Ausdruck gäbe .
schrieb am