The Franz Kafka Videogame04.04.2017, Jörg Luibl
The Franz Kafka Videogame

Im Test: Surreale Rätselreise

Bereits 2012 hat Denis Galanin klassische Point&Click-Tugenden mit einem literarischen Thema verknüpft: In Hamlet rätselte man sich durch kreativ bis bizarr illustrierte Szenen aus dem gleichnamigen Werk von William Shakespeare. Jetzt veröffentlicht Daedalic das neue Adventure des Russen, in dem man sich für knapp zehn Euro auf ähnliche Art durch Bilder knobelt - nur dass Franz Kafka die Motive liefert. Gelingt der Spagat zwischen Spiel und Literatur?

Der Standpunkt

Mein Verhältnis zu Franz Kafka (1883 - 1924) ist zwiegespalten. Als ich "Das Urteil" in der Schule lesen musste, war das eine Quälerei sondergleichen - die Sprache sowie das Thema waren mir als 14-Jährigem zuwider, während der Lehrer uns ganz fasziniert einen psychoanalytischen Vater-Sohn-Konflikt darin sehen lassen wollte. Also mussten wir uns weitgehend ohne Lesevergnügen auf seine Interpretation und die Bildungsprostitution einlassen. Zuhause konnte ich mich dank Tolkien wieder mit der Literatur im Allgemeinen versöhnen.

Der junge K. arbeit noch als Psychotherapeut, aber wird schon bald ein böses Wunder erleben...
Erst als ich viel später an der Uni "Die Verwandlung" gelesen habe, war ich als Freund von E.T.A. Hoffman, Edgar Allan Poe & Co von der unmittelbaren und drastischen Art dieser genialen Geschichte angetan, die das Monströse so knallhart in das Reale einbrechen ließ. Also gab ich dem im deutschsprachigen Teil Prags aufgewachsenen Schriftsteller als Mitte Zwanzigjähriger noch eine Chance, las "Das Schloss" sowie "In der Strafkolonie" und konnte seinen Werken sowie seiner klaren Sprache mit der teilweise kalten bis beklemmenden Stimmung endlich etwas abgewinnen. Trotzdem gehört er bis heute nicht zu meinen Lieblingsautoren.

Die Analyse

Wieviel Kafka steckt nun in diesem Adventure? Auf den ersten Blick so wenig, dass man sich auch ohne Kenntnisse oder Sympathie für Kafka damit beschäftigen kann, wenn man z.B. Logikabenteuer à la Professor Layton mag. Denn es geht hier nicht um literarische Texte oder aktive Erkundungen in seinen obskuren Welten, sondern schlicht und ergreifend um nur leidlich animierte Standbilder, in denen man per Point

Wie kommt man von A nach B, wenn der Weg versperrt ist? Für eineinhalb Stunden rätselt man sich von Bild zu Bild.
und Click diverse Rätsel löst. Man fühlt sich fast wie in einem illustrierten Kinderbuch, wenn man z.B. auf Bälle oder Schilder klickt, um so die Silhouette eines Hasen zu bilden, oder wenn man Papierstreifen eines Labyrinths so bewegt, dass sich ein Weg zum Ziel ergibt.

Das ist auch mal kinderleicht, aber meist angenehm anspruchsvoll und dabei immer logisch sowie erfrischend kreativ, weil man auf subtile Art auch kleine Hinweise deuten, mit Licht und Dunkel sowie etwas Physik und Text- sowie Zahlencodes experimentieren kann. Trotzdem gibt es auch langweilige bis frustrierende Rätsel, wenn man etwa schnöde Schiebetafeln oder Weichen so lange korrekt einstellen muss, bis es passt. In diesen Situationen kann man auf eine mehrteilige Hilfe zurückgreifen, die einem zunächst subtil und dann etwas konkreter unter die Arme greift.

Das Kafkaeske

Auf den zweiten Blick zeigt sich, dass diese Folge von Rätseln einer hintersinnigen roten Nadel folgt, die immer wieder Symbole und Motive aus Kafkas Werken wie z.B. seine Vorliebe für namentliche Abkürzungen à la "K." einfädelt. Dazu gehört auch die allgemeine Stimmung: Als "kafkaesk" gilt bekanntlich etwas, das auf "rätselhafte Weise bedrohlich" ist. Und der lockige Protagonist wird gleich zu Beginn hypnotisiert, nach Amerika entführt, muss sich auf dem Weg ebenso bizarren wie traumartigen Herausforderungen stellen. Das Surreale wird ebenso spürbar wie biografische Fakten zu erkennen sind, denn der auch als "Junggeselle der Weltliteratur" bezeichnete Kafka braucht

Die meisten Rätsel sind logisch, wenn man denn die subtilen Hinweise beachtet...
laut Story genug Geld, um seine Geliebte Felice (der tatsächliche Konflikt mit Felice Bauer hat Kafka zum "Urteil" inspiriert) heiraten zu können - genau das versprechen ihm die Entführer.

Freunde von Kafka werden also genug Anspielungen finden, die das Werk zitieren. Allerdings sorgt der etwas zu heitere Grafikstil mit seinem Kinderbuchflair nicht unbedingt dafür, dass das Bedrohliche wirklich spürbar wird - das Ganze wirkt teilweise wie von einem hintersinnigen Pädagogen illustriert, der zwar mit Farben und Formen umgehen, der auch mit Geometrie und Perspektive zu überraschen weiß, aber nicht wirklich künstlerisch faszinieren kann. Freunde von Knobel-Adventures werden auch einiges vermissen, denn im Gegensatz zum oben genannten Layton geht es streng linear und ohne dramaturgische Auflockerungen um ein Bildrätsel nach dem anderen - eine auf Dauer recht spartanische Reise für genügsame Tüftler.

Fazit

The Franz Kafka Videogame klingt vielversprechender als es ist. Bei allem Respekt vor der kreativen Leistung von Denis Galanin, der nach Hamlet sein zweites Spiel mit literarischen Einflüssen ganz alleine stemmt, löst man hier in weitgehend statischer Kulisse nur ein Bildrätsel nach dem anderen. Die sind zwar meist kreativ konzipiert und für Freunde der subtilen logischen Tüftelei durchaus unterhaltsam, aber es gibt auch einige langweilige Lückenfüller. Obwohl dieses kleine Spiel für eineinhalb Stunden gekonnt einige biografische sowie symbolische Motive aus Kafkas Werken einflechtet, hat mich die Statik des immer Gleichen selbst in der Kürze der Zeit irgendwann gelangweilt, zumal das "Kafkaeske", also das auf rätselhafte Weise Bedrohliche, in diesen bunten Kinderbuchkulissen kaum spürbar wird.

Pro

logische und kreative Rätsel
biografische und symbolische Bezüge zu Kafka
optionale Hilfe in zwei Stufen
deutsche Texte (zum Release anwählbar)

Kontra

kindlicher Grafikstil fängt "Kafkaeskes" nicht ein
lediglich leidlich animierte Standbilder
streng lineare Knobelei ohne Abwechslung
eineinhalb Stunden kurz

Wertung

PC

Die Rätsel sind kreativ, etwas Kafka wird spürbar, aber irgendwann langweilt die Statik des immer Gleichen. Außerdem kann der naive Kinderbuchstil das "Kafkaeske" nicht einfangen.

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