Der Mensch ist dem Mensch ein Wolf
Auch wenn der Wilde Westen ein gnadenloser war, gab es einen gewissen Kodex. Und selbst Gesetzlose verfolgten zumindest ein Ziel, wenn sie über Leichen gingen. Aber was man aktuell in
Red Dead Online erlebt, ist einfach nur frustrierende Anarchie. Zu viele Leute ballern alles und jeden über den Haufen, so dass man kaum zur nächsten Mission kommt. Man betritt einen Saloon und wird niedergemäht. Man reitet nur etwas langsamer durch die Wildnis und bekommt einen Kopfschuss. Und weil man den Namen des Täters noch zeigt, gibt es natürlich auch überall Rache nach dem Respawn...
Herrenlose Pferde, primitives Geballer und wüste Beschimpfungen gehören gerade zum Alltag der offenen Beta - gut, dass man zumindest den Chat mit "Fuck you bitch!" und "Aufs Maul du Hure!" abstellen
In der Beta könnt ihr diverse Szenarien bzw. Startpunkte wählen oder die offene Welt frei erkunden.
und nicht ausgeraubt werden kann. Aber es ist ausgesprochen nervig, dass man nicht nur die bescheuerten Namen der Mitspieler ertragen muss, sondern auch ihr Verhalten. Aktuell gibt es keinerlei spürbare Konsequenzen dafür, dass man einfach jemanden mit Blei vollpumpt. Musste man in der Kampagne noch die Marshals fürchten, passiert hier nix - und die Moralanzeige bleibt schön stabil. Was soll bitte in diesem Kontext noch ein Begriff wie Ehre? Rockstar sollte weit unter dem "Outlaw" noch den Status des "Asozialen" einführen. Nur in seinem Lager ist man sicher, wenn man die weiße Fahne hisst. Dort hat man übrigens einen Kumpel namens Cripps, der es weiter ausbauen kann. Zu Beginn hat man nicht mal ein Zelt...
Filmischer Einstieg
Dass es aktuell noch kaputte Statistiken, Abstürze und Verbindungsprobleme gibt, stört mich nicht so stark, weil es sich hier um eine Beta handelt. Aber der ungenügend sanktionierte anarchistische Status quo ärgert mich deshalb so, weil gerade diese wunderbare Spielwelt auch online großes Potenzial für Rollenspiel bieten würde. Das flackert vor allem in den kooperativen Missionen auf, wenn man z.B. in einer Vierergruppe darüber abstimmen kann, ob jemand verschont oder zum Sheriff gebracht wird. Innerhalb dieser Aufgaben gibt es dann einige gute Kurzgeschichten und auch so einige Überraschungen, die immer wieder die Stärke der Regie aufblitzen lassen.
Denn Rockstar setzt mit diesem Multiplayer-Modus seine filmische Regie fort. Schon in den ersten Minuten öffnet sich der Vorhang für eine weitere Story im Wilden Westen - inklusive neuer Figuren, die auf den ersten Blick ebenso markant ausgearbeitet sind wie jene
Es gibt einige coole kooperative Missionen inklusive Abstimmungen im Team.
im Hauptspiel. Man fühlt sich im Einstieg fast wie in einer zweiten Kampagne, wenn man mit einem männlichen oder weiblichen Helden in einem Gefängnis beginnt. Bevor man als verurteilter Sträfling dort landet, kann man seinen Charakter im starken Editor erstellen.
Mann oder Frau
Dabei darf man aus einigen Grundtypen wählen, das Alter von 18 bis weit über 50 festlegen und den Körperbau bestimmen, bevor man in Feinarbeit am Gesicht von den Augen über die Brauen bis zu Nase und Mund sehr ausdrucksstarke Typen inklusive persönlichem Pfeifton und Gang gestalten kann - nur eine eigene Stimme gibt es nicht, so dass man später auch in der Kommunikation über L2 auf sperrige Gesten wie das Nicken beschränkt ist. Auch das führt dazu, dass meist alle aneinander vorbei reiten...
Dafür darf man zwei freie Punkte auf Gesundheit, Ausdauer oder Dead Eye verteilen, wobei sich das Fähigkeitensystem später mit seinen freischaltbaren Karten von der Kampagne unterscheidet - man kann sich quasi besser auf und in einem Bereich spezialisieren, indem man bis zu vier Karten mit Boni ausrüstet. Wer sich auf Dead Eye konzentriert regeneriert z.B. entweder
Im Lager hilft einem Cripps beim Ausbau.
Lebenspunkte während des Zielens oder kann Körperteile anvisieren. Gerade Letzteres ist eigentlich Pflicht und man fragt sich, warum man in dieser martialischen Welt etwas anderes entwickeln sollte? Oder anders: Das Fähigkeitensystem muss sich auf lange Sicht erstmal beweisen und wirkt weniger vielfältig als jenes in Fallout 76. Aber dafür ist die Regie besser.
Kaum wird man nach Valentine zur Strafarbeit geschickt, wird die Kutsche von einer Bande überfallen. Und das war scheinbar kein Zufall, denn der Anführer interessiert sich nicht für die anderen Gefangenen oder seine vermummten Helfer, die er alle wegschickt, sondern nur für den Spieler. Wieso, weshalb, warum? An dieser Stelle beginnt die Story und damit auch das Tutorial, das auf die wesentlichen Merkmale der Spielmechanik wie das Reiten eingeht, während man zusammen zum mysteriösen Auftraggeber reitet. Dahinter verbirgt sich eine sehr gut gekleidete Lady, die zunächst wie eine weibliche Variante von Dutch wirkt.