Mit Haut und Haaren
Man muss sich von dem Gedanken verabschieden, ein Spiel zu spielen. To the Moon ist kein Adventure. Es ist kein Rollen- und kein Puzzlespiel. Es wurde auf einer Plattform ähnlich dem Selbstbau-Kasten "RPG Maker" erstellt. Man löst kleine Rätsel und man bewegt die pixelflachen Akteure mit Maus oder Tastatur. Meist „trägt“ man eine Figur aber nur von einer Filmszene zur nächsten - etwas mehr als fünf Stunden lang.
Filmszenen erlebt man in To the Moon, wenn die liebevoll animierten Pixelmenschen mit einem Auge blinken, auf einen Stuhl springen oder urplötzlich quer durchs Bild schießen. Sie sprechen in Textblasen und freuen sich mit zusammengekniffenen Augen. Nichts will teuer aussehen, nichts drängt sich auf. Wie früher denkt man sich in die Kleinigkeiten hinein. Und versinkt mit Haut und Haaren darin.
Aus Alt mach Jung
Denn Independent-Schöpfer Kan Gao schrieb und erzählt die zärtlichste, traurigste, lustigste und ehrlichste Kurzgeschichte des Spielejahres! Ehrlich deshalb, weil er seine Figuren bei aller Leichtigkeit und allem Pathos immer als Menschen versteht - vom sterbenden Johnny bis zu seiner großen tragischen Liebe, River. So kindlich das Äußere scheint, so sehr spiegeln sich echte Charaktere mit echten Ängsten und Wünschen in den Figuren. Johnnys letzter Wunsch ist es, einmal auf den Mond zu fliegen, doch wie soll er dieses Ziel erreichen?
Kan Gao erzählt ebenso gefühlvoll wie lebendig: To the Moon deutet an, welche Geschichten das interaktive Medium noch nie erzählt hat.
Die Wissenschaftler Eva Rosalene und Neil Watts haben eine Antwort: Sie arbeiten für ein Unternehmen, dessen Technologie Erinnerungen erschafft. Auf Johnnys Auftrag hin reisen sie deshalb in sein Haus und schließen den im Sterben Liegenden sowie sich selbst an ein Gerät an, das die Erinnerungen eines ganzen Lebens erlebbar macht - von der letzten bis zur allerersten. So sammeln Rosalene und Watts Informationen, mit denen sie in Johnnys früher Kindheit schließlich eine neue Erinnerung pflanzen.
Klingt furchtbar verquast, ist es aber in keiner Weise. Man sieht einfach dabei zu, wie Eva und Neil wichtige Episoden aus Johnnys Leben beobachten. Man lernt den jungen Mann kennen, wie er um das Leben seiner Liebsten kämpft, wie sie ihr Haus bauen, wie er sie kennenlernt. Man erkennt, warum ihre beiden Seelen zueinander fanden. Man lacht, man weint, man entdeckt Geheimnisse in Geheimnissen und genießt die knisternde Spannung, bis endlich alle Fragen aufgelöst werden. Gebannt lauscht man einem verträumten Klavier, gefühlvollen Geigen und dem leisen Spiel einer Harfe. Das „kleine“ To the Moon deutet an, welche Geschichten das interaktive Medium noch nie erzählt hat.
Das Alibi
Gerade als interaktiver Film müsste To the Moon aber noch dazu lernen, denn echte Spielelemente gibt es kaum. Mal knobelt man an wenigen und viel zu einfach Bilderrätseln, ein andermal weicht man Fallen aus, ohne je Schaden zu nehmen. Das sind Alibi-Elemente, die den Spielfluss eher stören als spannende Herausforderungen zu erschaffen. Bevor Neil und Eva von einer Erinnerung zur nächsten reisen, sammeln sie außerdem Gegenstände, die eine Bedeutung für Johnny haben. Aber auch dieses Erforschen der Umgebung könnte man eleganter lösen. So fehlen „unbedeutende“ Details, die man beim Stöbern entdecken, lesen oder betrachten darf. In
The Path trug das freie Entdecken viel dazu bei, dass man auch spielerisch in der stimmungsvollen Welt ankam - hier erlebt man geradlinig aneinander gereihte Dialogszenen.