Tote Automatismen
Video:
Neue Kollisionen dank neuer Physik-Engine.
Frank Lampard treibt das Leder an, überquert schon mit seinem Adlerblick die Mittellinie. Und weil ich nach gefühlten tausend Spielen
FIFA 11 natürlich die alternative, an das gute alte
Pro Evolution Soccer angelehnte Steuerung im Blut habe, drücke ich wie immer die Vierecktaste. Warum? Weil ich so einen zweiten Mann automatisch auf den Ball führenden Lampard hetzen kann – aber anstatt so das bekannte Pressing über spurtende defensive Mittelfeldspieler aufzubauen, stolpert Cesc Fabregas nur plump in den Rasen. Was ist hier los? Ganz einfach: Das Team von EA hat
FIFA 12 hinsichtlich der Verteidigung komplett umgebaut. Und das fühlt sich trotz der ersten Fehlschläge, die nur der Macht der Gewohnheit zuzuschreiben sind, spätestens nach zwei, drei Spielen richtig gut an.
Sportspiele können im Jahresrhythmus kein komplett neues Gesicht zeigen. Vor allem nicht, wenn sie in ihrer Spielmechanik bereits auf einem sehr guten, aber vielleicht noch nicht perfekten Weg sind. Umso positiver hat mich dieser radikale Wechsel in der Defensive überrascht. Denn ab sofort gewinnt man den Ball nicht mehr leicht über automatisiertes Dauerpressing, sondern nur über gutes Timing in zwei Phasen: Begleiten und zuschlagen. In der ersten Phase kann man die X-Taste gedrückt halten, um den Ball führenden quasi mit einem Verteidiger auf Abstand zu eskortieren – man läuft wie ein Wachhund auf der Lauer in gleichem Tempo neben ihm her; mit dem Stick lässt sich die Distanz zu ihm verkleinern oder vergrößern. Erst in der zweiten Phase, wenn man nah genug an Lampard & Co ist, sollte man die Viereck-Taste für das entscheidende Tackling nutzen und den Ball stibitzen.
Taktische Defensive
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Taktischere Tacklings, präzisiere Dribblings - FIFA 12 fühlt sich freier an. |
Das erinnert zwar zunächst ein wenig an das Jockeying-Feature, das jedoch in FIFA 11 nahezu überflüssig war – man konnte die Bälle auch ohne locker gewinnen, zumal der Verteidiger beim Begleiten viel zu langsam wurde. Das ist hier nicht der Fall: In den Probespielen zwischen Arsenal und Chelsea (andere Teams waren in der Alphafassung noch nicht spielbar) kam diese neue taktische Defensive richtig gut zur Geltung. Sie erfordert mehr manuelle Planung bei der Eroberung, sie erhöht dadurch die Spannung in den Zweikämpfen und sie bricht den etwas zu automatisierten Spielablauf mit all den heran rasenden Missile Command-Verteidigern auf. Ist der Angreifer damit auf lange Sicht vielleicht zu stark im Vorteil? Bisher haben wir erst ein knappes Dutzend Spiele gemacht, in denen man relativ leicht in den Strafraum kommen konnte, so dass es im Vergleich zu FIFA 11 mehr Torraumszenen gab - was ja zunächst nichts Schlechtes ist. Im Gegenteil: Mehr Dramatik am 16er kann dem Spiel nur gut tun, wenn die Balance stimmt.
Hinzu kommt nämlich, dass die Offensive auch im Ballbesitz weiter profitiert: Denn in FIFA 12 kann man die Zweikämpfe auch ohne akrobatische Tricks für sich entscheiden, indem man das Leder cleverer schützt und sich auf engstem Raum dreht – das ging natürlich auch vorher, aber ist jetzt wesentlich effizienter. Außerdem fördert es die Skills am Stick und das Lesen der kleinen Räume im Spielaufbau. Denn das aus FIFA 11 bekannte Abschirmen kann man auch im Mittelfeld nutzen, um nahende Verteidiger kurz mit dem Rücken zu blocken und sich dann um sie herum zu bewegen, indem man das „Precision-Dribbing“ nutzt. Hört sich toll an, ist aber bloß eine kleine Weiterentwicklung. EA hatte ja die 360-Grad-Steuerung eingeführt, die sich jetzt noch etwas akkurater anfühlt – man kann sich wesentlich einfacher Freiräume schaffen. Und auch das ist eine richtige Entscheidung.
Physik & Intelligenz
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Der neue Cover-Star von FIFA 12: Mats Hummels - das passt zur Überarbeitung des defensiven Spielablaufs. |
Grafisch ist zwar wie zu erwarten kein großer Sprung zu sehen, aber dafür wird es im Oktober neue Kameraperspektiven sowie eine horizontale Menünavigation geben, die für mehr Übersicht sorgt. Was wir außerdem schon beobachten konnten, sind mehr Ecken und Kanten – und zwar nicht im bösen technischen, sondern im guten animierten Sinne: Es wird wesentlich ansehnlicher abgeblockt sowie gestolpert, hinzu kommen glaubwürdigere Kollisionen, Stürze und Pressschläge. Obwohl man also nicht an der Polygonschraube gedreht hat, dürfte dieses FIFA 12 eine Augenweide für jeden Fußballfan werden, der die kleinen Szenen genießen will - auch wenn sie in dieser Version manchmal wie Slapstick anmuteten, wenn der nächste Purzelbaum zu sehen war. Trotzdem ist auch diese physikalische Entwicklung genau die richtige Entscheidung. In einem Laufduell kann man übrigens aktiv die Arme einsetzen, indem man rechtzeitig eine Taste drückt und sich so einen Vorteil verschaffen - wie effizient das ist, werden wir erst in einer zweiten Vorschau überprüfen können.
Fest steht: Das Zweikampfverhalten hat optisch und interaktiv nochmal zugelegt. Hier setzt EA mit dem konsequenteren Einsatz der Physik-Engine authentischere Zeichen als noch in FIFA 11. Die Folgen aus Wucht und Aufprall sollen auch die Art der Verletzungen beeinflussen; und müde Spieler, die man trotzdem spurten lässt, sollen auch mal aus heiterem Himmel angeschlagen zu Boden gehen. Davon haben wir in den ersten Matches zwar noch genau so wenig gesehen wie von der neuen Spielintelligenz der KI, die ihre Strategie gezielt an die Merkmale der eingesetzten Kicker anpassen soll (wenn Crouch den Strafraum unsicher macht, sollen Mitspieler hohe Bälle flanken; wenn Iniesta den Ball führt, soll er tödliche Pässe einleiten), aber all das macht sehr neugierig. Ob EA auch die eklatanten Schwächen im Manager-Modus beseiteigt und endlich die sterile Karriere dramatisiert? Und was ist eigentlich mit der PC-Version? Wird die endlich gleichberechtigt mit den Konsolen laufen? Es bleiben noch viele Fragen offen, die wir im nächsten Bericht beantworten wollen.