Eine andere Perspektive
Schränke werden zu gewaltigen Türmen, die hohen Türgriffe scheinen unerreichbar und Bücherstapel müssen als Klettergerüst herhalten: In Little Nightmares fühlt man sich ein bisschen wie bei „Liebling, ich hab die Kinder geschrumpft“ und betrachtet die Welt mit ihren verzerrten Größendimensionen durch die Augen des neunjährigen Mädchens Six. Mit ihr sucht man einen Ausweg aus dem seltsamen Ort „The Maw“ und dessen bizarren Einwohnern. Dabei sind vor allem Köpfchen und Geschick gefragt, wenn man den kindlichen Alpträumen entkommen will. Wie bei LittleBigPlanet steuert man das kleine Mädchen im gelben Regenmantel frei durch die liebevoll gestalteten Räumlichkeiten, wandert also nicht nur wie in einem klassischen Plattformer von links nach rechts, sondern auch in vordere und hintere Bereiche innerhalb der Areale.
Der bizarre Hausmeister ist zwar blind, verfügt aber über fantastische Hör- und Geruchtssinne.
Das Ziel besteht in der Regel darin, den nächsten Raum zu erreichen – gar nicht so leicht bei dieser Körpergröße und all den Hindernissen, die sich deshalb auftun. Also behilft man sich u.a. mit dem Hochklettern an Regalen, dem Schwingen an dünnen Seilen oder schiebt mit vollem Einsatz einen Koffer an die Wand, um dort in Kombination mit einer Sprungeinlage den Hebel zu ergreifen, mit dem man seinem Ziel wieder ein Stückchen näher kommt. Dazu hält man einfach die Schultertaste gedrückt, wenn man ein Objekt aufnehmen oder sich irgendwo festhalten will. So fühlt sich die Interaktion mit der Umgebung herrlich natürlich an. Darüber hinaus kann Six auch wie die meisten anderen Plattform-Helden rennen und auf Knopfdruck springen. Wer bereits mit Yarni die fabelhafte Welt von Unravel erkundet oder sich bei Escape Plan auf die Suche nach einem Ausweg gemacht hat, dürfte sich schnell heimisch fühlen. Dazu noch eine Prise der düsteren Atmosphäre eines Inside oder Limbo, die zwar nie wirklich gruselig wirkt, aber dennoch den Duft von Gefahr und Bedrohung verströmt.
Ein Hausmeister auf der Jagd
Dazu tragen vor allem die grotesken Figuren bei, die sich Six bei ihrer Flucht immer wieder in den Weg stellen. Wurde man bei der Vorstellung auf der gamescom noch von einem verunstalteten Koch gejagt, ist es jetzt ein blinder Hausmeister, der mit seiner hässlichen Fratze für Unbehagen sorgt und immer wieder seine unheimlich langen Arme ausstreckt, um die Kleine mit den widerlichen Griffeln zu schnappen, mit denen er sich auch an der Einrichtung entlang tastet.
Erwischt! Wie komme ich jetzt wieder aus dem Käfig raus?
In solchen Momenten rückt der Schleichaspekt innerhalb der Spielmechanik in den Vordergrund. Der Hausmeister mag zwar blind sein wie ein Maulwurf, verfügt dafür aber über ein ausgezeichnetes Gehör. Jedes Knarzen der Holzdielen, jedes unachtsam umgeworfene Objekt oder andere Geräusche erregen seine Aufmerksamkeit. Doch genau das kann man auch zu seinem eigenen Vorteil nutzen: Schmeißt man z.B. ein kleines Stoff-Äffchen durch die Gegend und lässt es die Becken schlagen, kann man den unheimlichen Hausherren gezielt ablenken. Alternativ hält man die Augen nach ausgelegten Stoffteppichen aus, welche die Schrittgeräusche dämpfen. Überhaupt spielt die fantastische Klangkulisse eine übergeordnete Rolle und wird klasse in den Spielverlauf eingebunden. An einer Stelle muss man zum Beispiel das affige Spielzeug dafür nutzen, um mit einem gezielten Wurf einen Schalter zu aktivieren. Problem dabei: Das anschließende Klatschen der Becken ruft umgehend den Hausmeister auf den Plan, der sich ohnehin schon in unmittelbarer Nähe herumtreibt. Was also tun? Abwarten! Denn in regelmäßigen Abständen erklingt das wirre Glockenspiel der Standuhren, das den Affenwurf übertönt. In anderen Momenten lässt es sich dagegen nicht vermeiden, die Aufmerksamkeit des übermächtigen Gegners zu erregen: Hier nimmt man in dramatischen Fluchtsequenzen die Beine in die Hand oder muss in einer Art Mini-Bosskampf den tastenden Klauen geschickt ausweichen sowie mit Gegenmaßnahmen der gefährlichen Situation entkommen.