Die gute alte Zeit?
Mittlerweile scrollen die Abschnitte zwar sauber, anstatt wie zu NES-Zeiten immer „weiterzuschalten“, wenn man den Bildschirmrand erreicht. Doch geschossen wird im neuen Mega Man, pardon: Mighty No. 9 nach wie vor nur horizontal. Dass sowohl hinter den Klassikern, die bei Capcom erschienen sind, als auch der farbenfrohen Neuinterpretation mit Keiji Inafune der gleiche Kreativkopf steckt, merkt man an fast jeder Ecke. Die Abschnitte sind wie früher von Beginn an einzeln wählbar - naja fast: Neben den acht "normalen" Levels, an deren Ende jeweils ein anderer der "Mighty" als fieser Boss wartet, der im Kampf besiegt und damit gerettet werden muss, sowie einer Tutorial-Mission gibt es einen geheimen Bereich, der nicht von Anfang an zur Verfügung steht.
Plattform-Action ganz alter Schule in farbenfroher Kulisse: Das ist Mighty No 9.
Überall warten Gegner, die an strategischen Positionen versuchen, einem das Vorwärtskommen zu erschweren. Es warten Leitern, an denen man sich festklammern kann und die man ebenso sicher navigieren sollte wie Plattformen, Laufbänder etc., wenn man nicht an den letzten Kontrollpunkt zurückgesetzt werden möchte, falls man ein Leben verloren hat. Zumal man auch nicht unendlich Leben zur Verfügung hat und irgendwann zwangsläufig neustarten muss, wenn man festgestellt hat, dass entweder die Fähigkeiten nicht ausreichen oder man einfach nicht darauf geachtet hat, welches Muster der Boss gerade einsetzt.
Erweiterte Dynamik
Es gibt aber ein wesentliches Element, mit dem sich Mighty No. 9 von seinen Brüdern im Geiste abhebt. Zwar kann man wie gehabt versuchen, den Feinden durch Dauerbeschuss den Garaus zu machen. Die Auseinandersetzungen gewinnen allerdings durch den „Dash“, eine beschleunigende Bewegung nach vorne, die auch für Sprungpassagen genutzt werden kann und keinem Abkühltimer unterworfen ist, eine zusätzliche Dynamik. Denn wenn man sein Punktekonto möglichst prall füllen möchte, sollte man die Gegner durch Schüsse schwächen, bis sie blinken und dann den Dash als Finisher nutzen. Zusätzlich übernimmt man bei jedem besiegten Endboss, die alle einem bestimmten Element zugeordnet sind, seine Kraft und kann diese von nun an einsetzen - allerdings nur temporär, so dass man überlegt vorgehen sollte und z.B. die Elektroschüsse, die man kurzzeitig abfeuern kann, nicht im wahrsten Sinne des Wortes verpuffen.
Auch wenn der Schwierigkeitsgrad etwas entschärft wurde, ist Mighty in jeder Hinsicht MegaMans Nachfahre im Geiste.
Favorisierte Kräfte kann man auf Schnelltasten legen, darf aber auch komfortabel durch das volle Programm schalten - wenn man denn alle Bosse besiegt hat und neue Taktiken innerhalb der Level ausprobieren möchte. Es gibt zwar keine vorgegebene Reihenfolge, in der man die Abschnitte in Angriff nimmt. Allerdings kann man sich Vorteile erspielen, wenn man bestimmte Levels samt Boss bereits beendet hat. So kann es z.B. passieren, dass Cryosphere (Wasserkraft) in einem Flammenlevel zu Hilfe eilt und Gegner ausschaltet, die einen aus der Hintergrundebene unter Beschuss nehmen. Diese Unterstützung sorgt dafür, dass man sich auf die einen direkt angreifenden und in Reichweite liegenden Feinde konzentrieren kann und findet natürlich nur statt, wenn man vorher in ihrem Abschnitt war und sie besiegt hat. Allerdings legt Keiji Inafune Wert darauf, dass man auch ohne den Einsatz jeglicher Kräfte das Spiel beenden kann – was nach meiner Erfahrung zumindest bei den Bossen eine hohe Frusttoleranz erfordern dürfte, da diese mit ihren wechselnden Angriffsmustern stets aufs Neue fordern und die Kräftehier eine enorme Erleichterung darstellen.
Retro vs. Moderne
Häufig ist eine gute Hand-/Auge-Koordination nötig, um sich schadlos zu halten - und natürlich der Einsatz von Spezialkräften.
Die Mechanik zeigt sich mit Ausnahme des Dash sehr klassisch - und ist mir mit der Reduzierung auf den horizontalen Schuss einen Tick zu retro. Das wird aber wenigstens dadurch abgefedert, dass das Leveldesign sehr gut auf diese Einschränkung bzw. den ergänzenden Dash abgestimmt ist. Die bonbonbunten Umgebungen haben mir übrigens gut gefallen, gleiches gilt für das Gegnerdesign. Bei den Flammen übertreibt es Inafune allerdings mit dem bunten, immer wieder ins comichafte abgleitenden Look: Die wenigen Orangetöne, aus denen das Feuer besteht, wirken grobschlächtig und passen so gar nicht in das ansonsten sehr solide visuelle Bild. Allerdings habe ich nur in ein paar der zehn Abschnitte reinspielen können, so dass die Kulisse noch in beide Richtungen ausschlagen kann. Darauf wird die finale Testversion eine Antwort geben.
Ebenso auf den Umfang, der mit gerade mal zehn Abschnitten nicht üppig erscheint. Doch eines der in der Kickstarter-Kampagne erreichten „Stretch Goals“ versprach einen Herausforderungsmodus. Und in diesem warten etwa 40 zusätzliche Aufgaben. Ob diese allerdings ausreichen, um die Anhänger klassischer Plattform-Action auch über die Kampagne hinaus ans Pad zu binden, wird sich zeigen.