Charmant verklärt
Noch bevor ich wusste, was der Animations-Künstler überhaupt vorhat, hatte sein Spiel mein Interesse geweckt. Eine putzige Maus namens Tilo schleicht da mit angewinkelten Armen durch einen Kerker, der gerade noch ihr Gefängnis war. Sie versteckt sich in Truhen und Schränken und flitzt auf allen Vieren davon, wenn sie von einer der gepanzerten Ratten gesehen wird. Steht sie still, spitzt sie aufmerksam die Ohren oder sieht sich neugierig um.
Gallat schaut mit den Augen einer kleinen Maus auf eine normalgroße Welt mit rustikalen Tischen, dick zerlaufenem Kerzenwachs und Türen aus massivem Holz. Er richtet den Blick auf große Mauersteine, hohe Stufen und schwere Eisengitter. Seine Kamera ist nah an Tilo dran und dessen liebevolle Animationen lassen ihn lebendiger scheinen als
Lionel Gallat zeichnet einen lebendigen Helden in einer fantasievollen Mittelalterwelt.
viele andere Videospielfiguren. So rückt Gallats Ghost of a Tale das verklärte Mittelalter in ein charmantes Licht.
Die Dame fehlt!
Dabei ist Tilos Welt mitnichten freundlich! Der Mäuserich flieht schließlich aus einem Verlies, in dem grimmige Ratten Wache schieben. Seine Frau ist verschwunden und in den Tiefen der Festung lauern zahlreiche Gefahren – Bärenfallen, stockfinstere Keller sowie Giftgas, um nur ein paar zu nennen.
Gefährlich ist sein Abenteuer – ähnlich schwungvoll wie ein Disney-Streifen aber auch. Gewitzte Unterhaltungen und verspielte Gags lockern Tilos Flucht auf. Mal läuft er, von Berufs wegen übrigens Minnesänger, an einem Gefangenen vorbei, der nicht nur lautstark, sondern auch gut sichtbar furzt. Ein andermal trifft er einen Piraten, der lieber in seiner Zelle bleibt, weil ihn das Piratenleben in Freiheit ja erst hinter Gittern gebracht hat...
Von Gothic zu Ghost
Inspiriert wurde Gallat u.a. von Piranha Bytes‘
Gothic-Serie und diese Einflüsse sind vor allem spielerisch erkennbar. Denn natürlich ist Ghost of a Tale keine ausgewachsene Stealth-Action im Sinne eines
Dishonored 2 oder gar
Metal Gear Solid 5, sehr wohl aber ein ausgesprochen kompetentes und an den richtigen Stellen angenehm umfangreiches Versteckspiel.
Ghost of a Tale ist seit Mitte letzten Jahres als Early-Access-Titel sowohl auf
Steam als auch auf
GOG erhältlich und soll Anfang dieses Jahres als fertiges Spiel veröffentlicht werden.
Immerhin findet Tilo nicht nur Kleidungsstücke, mit denen er länger sprintet, leiser tapst oder länger ungesehen bleibt. Er erledigt auch Aufgaben, die ihm verschiedene Figuren auftragen.
Es trägt viel dazu bei den Kulissen ein Profil zu geben, dass Tilo die meisten Wachen nicht nach der ersten Begegnung für immer hinter sich lässt, sondern in bereits gesehene Areale zurückehrt, um neue Aufträge zu erfüllen oder mit einem neuen Schlüssel zunächst verschlossene Türen zu öffnen. „Schreiende Tür“
Nach Lust und Laune erkundet der Mäuserich die Gewölbe des alten Burgfrieds.
heißt eine der ersten, „Flehende Tür“ eine andere und „Schweigende Tür“ die nächste. Es sind die Laute, die Gefangene von sich geben, wenn sie hindurch geschleppt werden: Vieles in der Umgebung hat eine Geschichte und auch das verleiht ihr einen eigenwilligen, starken Charakter.
Schädel und wie man sie gebrauchen kann
Köpfchen braucht der Mausmann, um diese vielen Geschichten überhaupt zu erleben! Hören oder sehen ihn die Ratten, laufen sie nämlich schnurstracks auf ihn zu und verstecken kann er sich nur, wenn er in eine Truhe oder einen Korb huscht, ohne dabei gesehen zu werden. Die Wachen verfolgen ihn zwar nicht allzu lange, doch Vorsicht ist immer geboten. Deshalb schleicht er auf Zehenspitzen an schlafenden Ratten vorbei, lenkt sie mit geworfenen Stöckchen ab, rollt ein Fass auf sie herab oder wirft ihnen eine Flasche an den Schädel.
Kerzen und ein Öllicht ebnen den Weg in dunklen Kellern, Käfer und Apfelgriebse stellen verlorene Gesundheit wieder her und in Geheimgängen belohnt sich Tilo mit zusätzlichen Gulden. Immerhin rückt der Schmied z.B. hilfreiche Informationen nur gegen bare Münze heraus.