Mit Monolith verbinde ich einige prägende Momente meiner Zockervita: No One Lives Forever z.B., Shogo, die F.E.A.R.-Serie oder auch die hierzulande nicht mehr erhältlichen Abenteuer eines gewissen Ethan Thomas. Dementsprechend keimte in mir nach der Ankündigung von Mittelerde: Schatten von Mordor die Hoffnung, dass man nach dem biederen Krieg im Norden von Snowblind die Kurve bekommt und dem epischen Universum aus der Feder von Tolkien ein entsprechendes Rollenspiel-Erlebnis spendieren kann.
Erzählerisch begibt man sich in eine Zeit etwa 60 Jahre, bevor die Gefährten um Frodo sich auf den Weg machen, um Sauron zu besiegen. Man schlüpft in die Rolle des Rangers Talion, der ansehen muss, wie seine Familie getötet wird, kurz bevor er selber Opfer von Saurons nach Mordor zurückkehrender Armee wird. Doch er wird von einem zwielichtigen Geist wiederbelebt, der ihm zusätzlich noch Fähigkeiten ähnlich denen der Ringgeister spendiert, mit denen er seine Gegner nicht nur körperlich malträtieren, sondern auch mental beeinflussen kann. Sein Auftrag: Die Hierarchie der Uruks mitbestimmen und so zu beeinflussen, dass er mit seinen Fähigkeiten das Zünglein an der innenpolitischen Waage spielen kann. Und genau hier setzt das so genannte Nemesis-System an, das aus jedem Spiel und aus jeder Mission ein einzigartiges Erlebnis machen soll.
Man hat innerhalb des "Nemesis"-Systems viele Möglichkeiten zur Verfügung, um die Geschicke und Beziehungen der Gegner zu beeinflussen - alles soll Auswirkungen auf den Spielverlauf haben.
Je nachdem, wie und durch wen man stirbt, wen man wie durch seine Geistfähigkeiten beeinflusst oder wen der zahlreichen mit Persönlichkeit versehenen Feinde man auf welche Art tötet, ändern sich die Beziehungen und das Verhalten der Figuren - nicht nur zum Hauptcharakter, sondern auch innerhalb der Uruk-hai-Gesellschaft.
Tötet man einen bestimmten Uruk z.B. aus dem Hinterhalt, wird nicht nur seine Anfälligkeit dafür größer, nachdem er von Sauron wiederbelebt wurde - er wird sich im Gegenzug vermutlich mit mehr Bodyguards umgeben. Allerdings kann man durch weitere Aktionen beeinflussen, wer zum Leibwächter aufsteigt und sich so vielleicht Zutritt verschaffen, wenn der Uruk zum Warchief aufgestiegen ist. Man kann über zahlreiche Nebenmissionen auf die sozialen Strukturen Einfluss ausüben, immer mit dem Ziel, die Uruks entweder zu schwächen oder sie zu loyalen Gefolgsleuten zu machen.
Im Laufe der Zeit entwickeln alle wesentlichen Figuren, denen man begegnet, Sym- und Antipathien sowie Stärken und Schwächen, die bei jedem Spiel anders verlaufen können. Das klingt spannend, könnte aber auch die Gefahr von zu hoher Zufälligkeit oder redundantem Missionsdesign beherbergen. Hier wird viel davon abhängen, wie es Monolith schafft, die Hauptgeschichte um Talion einzubinden und wie weit man die offene Welt Mordors zu einem spannenden Schauplatz machen kann. Und wie abwechslungsreich sich die immer wieder eingestreuten Dialoge bzw. Drohungen der Uruks darstellen. In der Präsentation wirkte es anfangs noch eindrucksvoll, verlor durch erzählerische Zusammenhänge aber an Faszination - vermutlich, weil zu viele Entscheidungen auf engsten Raum zusammengepresst wurden, um möglichst viel des Nemesis-Systems zu präsentieren. Hier hoffe ich in der endgültigen Version auf ein langsameres Erzähltempo und deutlichere Auswirkungen der getroffenen Entscheidungen.
Die Lithtech-Engine zeichnet stimmungsvoller Bilder aus Mittelerde.
Beim Kampfsystem setzt man auf dynamische, gleichermaßen bodenständige wie brachiale Echtzeitgefechte, bei denen man nahtlos zwischen Nah- und Fernkampf sowie Geistfähigkeiten als Magieangriffen wechseln kann. Dabei kommt den drei Waffen in Verbindung mit dem Runensystem besondere Bedeutung zu: Schafft man bestimmte Aufgaben oder erledigt bestimmte Gegner, bekommt man zur Belohnung mächtige Runen, die man in seine drei Waffen (das Schwert Urfael, den Bogen Azkar oder den Dolch Acharn) einarbeiten kann. Dadurch werden sie nicht nur einzigartig, sondern können mit neuen Fähigkeiten wie Elementar-Schaden etc. ausgerüstet werden - was sich wiederum auf das Nemesis-System und Anfälligkeiten bzw. Resistenzen bestimmter Feinde auswirken kann.
Die hauseigene Lithtech-Engine, die hier in ihrer neuesten Version zum Einsatz kommt, zaubert ein stimmungsvolles, düsteres, offen begeh- und erforschbares Mordor auf die Bildschirme - und das zumindest hier ohne nennenswerte Einbußen bei der Bildrate. Doch mit den dritten Teilen von Dragon Age und vor allem The Witcher kann Mittelerde nicht mithalten. Der Detailgrad ist nicht ganz so hoch, die Vegetation in den gezeigten Gebieten nicht so dicht wie bei den anderen ähnlich gelagerten offenen Welten. Dafür machen die Animationen in den dynamischen Kämpfen mehr her als bei Bioware oder CD Projekt Red - wobei ich nicht ausschließen möchte, dass der erhöhte Gorefaktor mich in dieser Hinsicht positiv beeinflusst. In dieser Hinsicht wirkt Schatten von Mordor eher wie ein klassisches Action-Adventure im Stile eines God of War als ein (Action-)Rollenspiel. Der Titel soll Anfang Oktober auf PC, PS4, PS3, Xbox One und Xbox 360 erscheinen.
Einschätzung: gut