Untitled Goose Game08.10.2019, Matthias Schmid

Im Test: Gans schön lustig

Vorstadtidylle

Nachdem ihr die grundlegenden Gans-Kontrollen (Laufen, Ducken, Schnattern, Flattern) gelernt habt, werfen euch die Entwickler direkt ins Haifischbecken einer englischen Kleinstadt. Dort gibt es penibel gepflegte Vorgärten, spielende Kinder, geschäftige Verkäufer, resolute Barangestellte. Oder wie man auch dazu sagen könnte: eure Feinde! Denn die Gans hat nur Schabernack im Sinn - sie bringt Unordnung in die Gärten, erschreckt die Kinder, bestiehlt die Verkäufer und narrt die Barangestellten. So verbringt man schon mal einige Minuten damit, einem Knaben die Brille von der Nase zu stibitzen und ihn genau dann von hinten anzuschnattern, wenn es der Arme am wenigsten erwartet. 

Erste Aufgabe im Spiel - den Gärtner nass machen. Und dann ganz unbeteiligt schauen…
Welche Aufgaben ihr tatsächlich erledigen müsst, um im Spiel voranzukommen - das diktiert ein kleiner Zettel, den ihr auf Knopfdruck einblendet. Da steht dann z.B.: „Klau dem Gärtner seine Schlüssel“ oder „Sperre den Jungen in die Telefonzelle ein“. Ersteres Missiönchen ist rasch erledigt: Von hinten zum Gärtner laufen, den Hals strecken und per Knopfdruck den Schlüsselbund vom Gürtel mopsen. Erledigt! Die zweite Angelenheit verlangt ein wenig Hirnschmalz und Planung: Anfangs ist die Telefonzelle für euch verschlossen und der Bub so gar nicht daran interessiert. Also schleppt die Gans erst mal zwei Walkie-Talkies an, die auf dem nahegelegenen Spielplatz liegen. Dann treibt sie den Knaben mit aggressivem Geschnatter in Richtung der antiken Fernsprechbox - er öffnet die Tür, will aber nicht hinein. Also legt das Federvieh ein Walkie-Talkie in die Zelle und behält eines im Schnabel. Jetzt schnattern und schon tönt es aus dem anderen Lautsprecher - das muss sich der Junge genauer ansehen. Und wenn er schon drin ist, schnattert ihr ihn noch einmal kräftig an, damit er die Tür hinter sich zuzieht. Zweite Aufgabe erledigt!

Mini-Sandkasten

Habt ihr ein paar Ziele erfüllt und die Stadtbewohner genug geärgert, stellen sie ein Gans-Verbotsschild auf. Das wird natürlich ignoriert!
Um Zugang zu den Abschnitten der Kleinstadt zu erhalten, solltet ihr solche Missionsziele zwingend erfüllen - dann taucht eine finale Aufgabe auf, die euch den Weg zum nächsten Ort ebnet. Ein gut getimter Schnatterer sorgt z.B. dafür, dass sich der Gärtner mit dem Hammer auf den Finger schlägt, dann hinfällt und so ein Gartentor aufstößt - es steckt also eine gehörige Portion Slapstick in Untitled Goose Game. Die Schauplätze selbst (Gärten, Straßen, Restaurant) sind ziemlich klein und bieten auf den ersten Blick wenige vergnügliche Optionen; nur wer sich gut umsieht und allerlei ausprobiert, wie er die Anwohner narren kann, findet alle versteckten Schmunzler. Hättet ihr gedacht, dass es der Gans gelingen kann, sich in einer Kiste über den Gartenzaun werfen zu lassen?

Wer sich die gemeine Hausgans, meist eine domestizierte Form der Graugans (anser anser), im echten Leben genauer angesehen hat, entdeckt allerlei possierliche Gesten und Verhaltensweisen im Spiel wieder: Gänse sehen nun mal so aus, als könnten sie kein Wässerchen trüben, werden bei Bedarf aber zu laut schnatterndem, wild mit den Flügeln schlagendem Federvieh. Die Schleichanimationen oder das behutsame Linsen aus einem Versteck sind freilich weniger realistisch, aber trotzdem köstlich anzusehen. Mit dieser Charakterwahl ist den Entwicklern ein Volltreffer gelungen - da verzeiht man als Spieler fast schon gern, dass Untitled Goose Game in vielerlei Hinsicht nur ein kleines Indie-Game ist…

Rasch durchgespielt

Gut versteckt ist halb gewonnen: In fast jeder Ecke der Spielwelt gibt es Bereiche, wo ihr vor den Blicken der Kleinbürger sicher seid, z.B. unter dem Tisch.
Auch wer viel herumalbert und alles einmal in den Schnabel nimmt, der knobelt sich als marodierende Gans in drei Stunden zum Abspann - eine Rahmenhandlung gibt es übrigens nicht. Nach dem stimmungsvollen Finale tut sich erfreulicherweise eine ganze Liste an Zusatzzielen auf - die sind bisweilen mühselig (einen Ball unkomfortabel durch die halbe Spielwelt schubsen), bisweilen aber erstaunlich abwegig (einen Schirm klauen und diesen in einem TV-Geschäft öffnen, wenn der Verkäufer nicht aufpasst). Wer dann immer noch nicht genug hat, darf sich an Time-Attack-Anläufen in den einzelnen Gebieten versuchen. 

Habt ihr ein Objekt verlegt, etwas Wichtiges kaputt gemacht oder stolpert über einen der seltenen Bugs, hilft der Zurücksetzen-Knopf - dann bleibt zwar euer grober Fortschritt erhalten, aber das angerichtete Ungemach an Items und Menschen wird auf Null gesetzt. Komfortabel ist die Option, dass ihr für Aktionen wie Zoomen oder Rennen zwischen Halten und Umschalten wählen könnt - gerade beim Herauszoomen für einen besseren Überblick empfanden wir die Einstellung Umschalten als viel angenehmer für eure Hände an der Switch. Untermalt wird der Gänse-Klamauk von entspannten Klavierklängen, die vortrefflich zum gediegenen Kleinstadt-Ambiente passen.

Fazit

Ich mag lustige Spiele, schleiche gern und bin ein Freund der heimischen Avifauna - Untitled Goose Game ist also wie gemacht für mich! In der Tat merkt man dem Titel an, dass sich das Entwicklerteam von Hitman inspirieren ließ: die Gans ist kein Killer, bewegt sich aber ähnlich unscheinbar durch die Areale wie Agent 47. In einem Moment watschel ich entspannt durchs Gemüsebeet, im nächsten wird ein massiver Kürbis abtransportiert, wenn mir der Gärtner den Rücken zudreht. Hier kommt den tollen Animationen, die an die englischen Stop-Motion-Künstler von Aardman erinnern, eine entscheidende Rolle zu: Es ist zum Schießen, wie die Gans scheinbar unschuldig zur Seite schaut oder sich neckisch unter einem Tisch versteckt - nur um kurz darauf ihren Terror über die Leute zu bringen. Ich bin froh, dass Untitled Goose Game nicht so chaotisch und anarchisch ausfällt wie der Goat Simulator oder der Toastbrot-Quatsch I am Bread - ihr könnt zwar einiges ausprobieren, aber eben im Rahmen eines Spielkorsetts, das auf das Erfüllen von Aufgaben, nicht auf die Überlistung der Spielphysik setzt. Die in helle Farben getauchte, etwas grobe Comic-Optik erfüllt ihren Zweck und flimmert stets sauber über den Schirm. Allerdings muss ich dem Spiel ankreiden, dass die Areale recht klein sind und dass die Bewohner recht durchschaubar auf den gefiederten Eindringling reagieren - sie passen ihr Verhalten nicht intelligent an. Zudem bringt die Gans leider keine freispielbaren Kostüme oder andere Federkleider mit und hat nach rund fünf Stunden schon ihre ganzen Lachsalven und Juxraketen verschossen.

Pro

possierlich animierte Hauptfigur: eine Gans
pfiffiges Spielkonzept
Schnattern auf Knopfdruck
gewitzte Mischung aus Nachdenken, Stealth und Schabernack
kurzweilige Aufgaben jenseits von Bringe-alle-Gegner-um
Spielphysik funktioniert gut
simple, aber sympathische Optik mit stabiler Bildrate

Kontra

ziemlich schnell durchgespielt
Zusatzaufgaben nach dem 1. Durchlauf zum Teil mühselig
Steuerung nicht 100%ig akkurat
sehr überschaubare Spielwelt
KI der NPCs passt sich nicht an euer Spielverhalten an
freispielbare Kostüme für die Gans oder andere Gänserassen als Skins wären nett gewesen

Wertung

PC

Vergnügliches Gänseleben: kurzweiliger, sympathischer Indie-Titel, der ein bisschen Stealth mit viel Humor kreuzt.

Switch

Vergnügliches Gänseleben: kurzweiliger, sympathischer Indie-Titel, der ein bisschen Stealth mit viel Humor kreuzt.

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