Eine normale Nacht in New York…
Ich knie über der Leiche eines Unbekannten. Wieso habe ich ein Messer in der Hand? Verdammt! Das Letzte, an was ich mich erinnere ist, dass ich in dem kleinen idyllischen Diner in einer Seitenstraße in New York City auf die Toilette gegangen bin…
Habe ich den Mann getötet? Oh mein Gott! Meine Hände sind voller Blut! Ich muss hier raus! Nein. Draußen sitzt ein Cop. Ich muss meine Spuren verwischen. Also gut: Die Leiche kann ich auf einem der Klos absetzen und die Tür schließen. Mit dem Wischmop kann ich den Boden von Blutspuren reinigen. O.K. Und jetzt raus. Stopp! Meine Hände sind voller Blut. Nur die Ruhe bewahren. Hände waschen – ahh, jetzt geht es mir besser.
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Nicht nur die Splitscreen-Technik sorgt für Filmatmosphäre! |
Und jetzt ohne Aufsehen zu erregen das Lokal verlassen – oder sollte ich mich lieber stellen? Nein, das kommt nicht in Frage – keiner würde mir meine Geschichte abnehmen.
So… Nur noch ein paar Schritte zur Tür.
"Entschuldigung" – die Bedienung.
Sie weiß, was passiert ist. Soll ich rauslaufen? Nein, ich warte, was sie von mir will.
"Sie haben vergessen, zu bezahlen."
Noch mal Glück gehabt. Ich lege das Geld auf meinen Tisch und gehe raus. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass der Cop aufsteht und in Richtung der Waschräume geht. Ich habe nicht mehr viel Zeit. Bald wird die gesamte New Yorker Polizei nach mir suchen…
Entscheidungsfreiheit
Bereits diese erste Szene macht deutlich, was die Entwickler bei der Konzeption im Kopf hatten: Weg von herkömmlichem Point&Click (selbst, wenn es in einer 3D-Umgebung spielt), hin zu einem Erlebnis, das nur auf eure Entscheidungen baut und sich dementsprechend entwickelt.
Denn alle Aktionen, die im ersten Absatz geschildert wurden, werden von euch initiiert. Über kontextsensitive Icons seht ihr, mit welchen Gegenständen, Personen usw. ihr interagieren könnt. Ob ihr dies macht, bleibt euch überlassen.
So könntet ihr z.B. die Leiche einfach liegen lassen und voller Panik fliehen. Ob ihr damit durch kommt, ist eine andere Frage, aber einen Versuch könnte es auf jeden Fall wert sein.
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Vorsicht: Wenn die Depression zu groß wird, kommt es evtl. zum Selbstmord. |
Dieses Prinzip zieht sich durch alle etwa 40 Kapitel, aus denen die spannende und in manchen Punkten an "Das Schweigen der Lämmer" erinnernde Geschichte um Ritualmorde besteht.
Dabei hat es das Team geschafft, eine Art lineares und dennoch freies Erzählsystem aufzubauen. Das bedeutet, dass Anfang und Ende jedes Kapitels im Wesentlichen vorgegeben sind. Doch da ihr innerhalb jedes einzelnen Abschnitts zahlreiche Entscheidungsmöglichkeiten habt, ist der Weg erstaunlich offen und wirkt sich auf die späteren Kapitel aus.
In einem anderen Erzählabschnitt redet ihr z.B. mit eurem Bruder (ein Priester) über den Mord. Endet dieses Multiple-Choice-Gespräch in einem Streit, taucht euer Bruder für den Rest des Spieles nicht mehr auf, so dass sich die ganze Geschichte anders entwickelt.
Aber da es kein "Richtig" oder "Falsch" im engeren Sinne gibt, könnt ihr unbesorgt weiter machen, müsst euch aber auf neue Ereignisse einstellen, die möglicherweise nicht passieren würden, wenn ihr euch nicht mit ihm überworfen hättet.
Oder was ist mit dem Kind, das in den zugefrorenen See einbricht? Rettet ihr den Jungen, auch wenn der Cop aus dem Diner gerade Patrouille läuft? Oder nehmt ihr ein Sinken eurer geistigen Konstitution in Kauf und werdet leicht depressiv, weil ihr zu feige wart, euch in Gefahr zu bringen?