Im Test: Letzte Chance auf der Konsole
Adventure XXL
Puuh, was für ein Trip! Nachdem ich Deponia Doomsday (ab 16,98€ bei kaufen) abgeschlossen hatte, musste ich mich erst einmal sammeln, tief durchatmen und ein paar Bilder aus dem frühen Spielverlauf betrachten, um mir noch einmal alte Details zu Beginn ins Gedächtnis zu rufen. Aus dem frühen Kapitel, bevor Jan „Poki“ Müller-Michaelis seine Helden in Unmengen wilder Zeitstrudel stürzt, welche den Lauf der Geschichte immer wieder umschreiben. Offenbar diente diesmal auch der Klassiker Day of the Tentacle als inspirationsquelle. Gefühlt ist es schon eine Ewigkeit her, seit ich mit Rufus in sein neues Adventure gestartet bin. Kein Wunder: Mit rund 20 Stunden Spielzeit fällt es sogar noch üppiger aus als die umfangreichen Vorgänger. Allzu viel will ich natürlich nicht ausplaudern - aber sogar Daedalic erwähnt im Trailer, dass nach Teil 3 manch ein Fan offenbar nicht ganz zufrieden mit dem Ausgang war. Also bekommt Rufus eine weitere Chance.
Das Abenteuer startet damit, dass er aus einem seltsamen Traum erwacht. Als gealterter Mann mit Schnauzbart und rauchiger Frank-Zander-Stimme robbt er sich an ein paar grünen Monstren vorbei, um mit letzter Kraft die Sprengung Deponias auszulösen. Natürlich macht solch eine apokalyptische Vision selbst einem selbstbewusstem Chaoten wie Rufus zu schaffen. Welch Anblick des Grauens: Wer läuft denn bitteschön freiwillig mit einem „Kotzbalken“ im Gesicht herum? Auch die Geschehnisse aus Teil eins bis drei geistern ihm noch im Gedächtnis herum, Rufus hält allerdings auch sie nur für einen wilden Traum.
Alles nur ein Traum?
Leider durchkreuzt er auch Rufus‘ Plan, die chronisch cholerische Toni zum Gang in den vorbereiteten Ballon zu überreden, mit dem die beiden nach Elysium abheben wollten. Beim Einparken mit seinem Zeitmobil rammt Mc Chronicle ihre fein säuberlich aufgestapelten Gläser über den Haufen, also schaltet Toni wieder mal in den Schmollmodus. So muss ich also erst einmal eine Menge klassischer Adventure-Rätsel lösen, um doch noch abheben zu können. Zu allem Überfluss spukt auch noch ein rosa Elefant im Ort herum, der meine Aufgaben immer wieder durch Ablenkungsmanöver sabotiert.
Bienengift, Rasierer und allerlei Steampunk-Gerümpel
Zurück auf Anfang
Aber zurück zum Anfang: Zum Glück lässt sich die Zeitmaschine des unsicheren Mc Chronicle zum Beheben von Missgeschicken missbrauchen. Ein Dreh an der Kurbel, schon verschwimmt das Bild, es macht „Wiku-wiku-wiku“ und Rufus wacht erneut im Ballon auf, um von seinen wirren Träumen zu erzählen. Falls ich etwas letztes Mal noch nicht lösen konnte oder falsch gemacht habe, besteht dann die Chance, es anders zu machen – so ähnlich wie im Kinofilm „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Mit einem technischen Trick bekomme ich z.B. den notorischen Trinker Tuck dazu, sich wie Rufus an vergangene Durchgänge zu erinnern (natürlich nicht ohne zahlreiche Anspielungen auf alkoholbedingten Gedächtnisverlust), so dass er bei der Jagd auf den rosa Elefanten helfen kann. Die stetigen Wiederholungen sind mir zunächst noch richtig auf die Nerven gegangen. Oft wusste ich nicht, ob ich sämtliche Gegenstände und Rätsel noch einmal abklappern sollte, oder ob nach dem nächsten Dreh an der Kurbel eh alles für die Katz gewesen sein würde. Bei späteren Durchgängen schrumpften aber zum Glück die Möglichkeiten, so dass ich meist auf die richtige Fährte geführt wurde.
Im weiteren Spielverlauf haben die Entwickler den Umgang mit Zeitebenen und Portalen zum Glück etwas motivierender gestaltet. Auch auf seine elysianische Angebetete Goal trifft der Protagonist im Laufe seiner Reise immer wieder, wobei sie ihn zunächst natürlich noch gar nicht kennt - was Vor- und Nachteile besitzt. Zu Beginn weiß sie natürlich noch nicht, ob sie Cletus‘ seltsamem Doppelgänger vertrauen kann, andererseits war sie immerhin noch kein Opfer seiner zahlreichen Schnapsideen.
Elysium sah auch schon mal heiler aus...
Auch beim Design anderer bizarrer Figuren und ihrer Dialoge offenbart sich wieder Pokis unverwechselbares Gespür für unterhaltsamen Wahnsinn. Jedes noch so profane Detail wird mit herrlich unsinnigen Kommentaren und Seitenhieben ausgeschmückt: „Oh, ein Schnabeltierkorb. Wofür der wohl gut ist?“
Mein nerviges Ich
Flucht vor den Fewlocks
Wie genau die aggressiven Biester in die Welt der Menschen geraten sind, verrate ich natürlich nicht. Jedenfalls tauchen sie immer wieder in den Zeitebenen auf, in die auch Rufus hineinplatzt. Oft muss ich diverse Voraussetzungen in einer Zeitlinie verändern, um später ans Ziel zu kommen. Eine eingepflanzte Bohne z.B. sorgt nach einer Zeitreise dafür, dass eine Ranke gewachsen ist, die zum nächsten Portal führt. Manchmal steckt Rufus sogar einfach seine Hand durch ein Portal in die Vergangenheit, um z.B. einen spitzen Ring zu mopsen oder eine Zeitmaschine zu manipulieren. In solchen Momenten befinden sich glücklicherweise nur wichtige Objekte in Reichweite, so dass ich nie lang suchen musste. Trotzdem ergeben sich durch die zeitlich und räumlich verschachtelten Puzzles viele angenehm knackige Kopfnüsse. Dabei laufen sich schon mal mehrere Rufusse über den Weg und auch andere Figuren tauchen gleich mehrfach auf.
Jetzt wird es kompliziert: Inmitten mehrerer Zeit-Linien und -Portale sabotiert Rufus sich mitunter selbst.
Wer in den letzten Jahren über den gesunkenen Knobel-Anspruch in filmisch inszenierten Adventures geschimpft hat, bekommt hier also endlich wieder genügend Arbeit für die grauen Zellen. Der Fokus liegt nach wie vor auf klassischen Aufgaben im Point-and-Klick-Stil, ab und zu muss man aber zeitlich um die Ecke denken.
Schattenseiten der Manipulation
Der Rummelplatz drumherum ist ebenfalls eine schöne Location, die man gleich zu mehreren Zeiten zu Gesicht bekommt. Auch anderswo gibt es viel Neues zu entdecken, z.B. die Lehranstalt von Zeit-Forscher Mc Chronicle, an der man mit erfreulich neurotischen Studenten und einem erstaunlich simplen Versuchsaufbau konfrontiert wird. Wer hätte gedacht, welch wichtige Rolle Schnabeltiere und schreckhafte Ziegen bei der Erzeugung von Zeitanomalien spielen? Zwischendurch lockern immer wieder kurze Zeichentricksequenzen den Rätselalltag auf. Sie sorgen dafür, dass sich die Reise trotz klassischer 2D-Perspektive dynamischer anfühlt als Teil 3. Schön auch, dass die Kamera das Geschehen innerhalb einer Location immer mal wieder aus der Nähe einfängt.
Klassisches Knobeln
Fazit
Schön, dass Rufus noch einmal zurückgekehrt ist, um seine Umwelt zu terrorisieren: Die Mischung aus Selbstüberschätzung und technischem Unvermögen macht die zerstörerische Reise wieder zu einem wilden Ritt, der diesmal sogar mit durchgeknallten Zeit-Tricks aufgepeppt wird. Meist sorgt die Vermengung des typischen Kombinations-Wahnsinn mit verschiedenen Zeitebenen für bizarre Momente und angenehm knifflige Rätsel. Manchmal überspannen die Entwickler den Bogen allerdings, z.B. mit übertriebener Hektik oder wenn man wie am Murmeltiertag zum x-ten Mal unmotiviert eine Szene abklappern muss. Der Trip gestaltet sich aber weitgehend sehr unterhaltsam, denn Pokis Humor Humor ist mal wieder eine Klasse für sich! In fast jedes noch so kleine Detail ist unheimlich viel Hingabe geflossen - und das, obwohl man mit rund 20 Stunden ungefähr zehnmal so lang beschäftigt ist wie in einer Telltale-Episode. Das Adventure sprüht nur so vor albernen Figuren, schlagfertigen Pointen und lustigen Anspielungen. Lediglich das Ende wirkt nach all dem Tohuwabohu etwas abrupt und seltsam. Sei’s drum: Wer klassisch, knifflig und durchgeknallt rätseln will, wird mit Deponia Doomsday noch einmal richtig gut bedient. Das gilt auch auf der PlayStation 4, denn die zu Beginn gewöhnungsbedürftige Steuerung geht auf Dauer gut von der Hand. Auf der Xbox One wurde das Spiel übrigens ebenfalls veröffentlicht - dort allerdings nur als Download, für den wir noch keinen Review-Key bekommen haben.
Pro
Kontra
Wertung
PlayStation4
Herrlich durchgeknalltes klassisches Adventure mit vielen kniffligen Kopfnüssen und Zeittricks.
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